Abmahnungen – Sinnvoll oder lästiger Missbrauch?

Mehr zum Thema: Wettbewerbsrecht, Abmahnung, Internet, Missbrauch, Erschöpfungsgrundsatz
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I. Einleitung

Von Rechtsanwalt Max-Lion Keller

Um eins gleich vorwegzunehmen: Prinzipiell sind Abmahnungen eine sinnvolle Sache, da sie die Rechte eines Mitbewerbers wirksam schützen und letztlich dazu dienen, gerichtliche Verfahren und somit auch unnötige Kosten zu vermeiden.

Anders sieht es dagegen bei den Abmahnwellen aus, die gerade in der jüngeren Vergangenheit immer häufiger geworden sind. Diese werden meist initiiert durch einige wenige spezialisierte Anwaltskanzleien, die anscheinend einen großen Teil ihres Umsatzes aus der Überprüfung der Frage generieren, welches Verhalten welcher Privatperson oder Unternehmens abmahnwürdig sein könnte. Oft werden dann die entsprechenden Massenabmahnungen mit dem Kalkül verschickt, dass die meisten Adressaten ohnehin das finanzielle Risiko scheuen und lieber „das kleinere Übel" in Kauf nehmen – also die geforderte (meist völlig überhöhte) Kostenerstattung der jeweiligen Kanzlei zu bezahlen. Gegenstand solcher Abmahnwellen sind aber in vielen Fällen äußerst strittige Fragen aus dem Wettbewerbsrecht, dem Markenrecht sowie dem Urheberrecht.

II. Missbräuchliche Abmahnungen dargestellt an einem Beispielsfall

Gerade in letzter Zeit wurde unsere Kanzlei Zeuge immer dreisterer Abmahnungsversuche. Die Fragwürdigkeit dieser Praxis wollen wir an einem aktuellen Fall verdeutlichen, der es tatsächlich wert ist, einem breiteren Publikum vorgestellt zu werden:

  1. Harmloser eBay-Einkauf

    Es fing ganz harmlos damit an, dass unser Mandant am Anfang dieses Jahres für 9,99 € die Einzelplatzlizenz einer Software (auf CD) bei eBay ersteigerte. Bei der Software handelt es sich um ein sog. „Support-Ticket-System", welches zur Optimierung des Supportsystems einer Website eingesetzt wird. Die Software wird dabei nicht lokal, sondern ausschließlich auf dem jeweiligen Webserver installiert.

    Die Einzelplatzlizenz enthielt unter anderem die folgende Klausel:

    „Es ist dem Lizenznehmer untersagt, die Software ganz, teilweise oder auszugsweise zu kopieren / vervielfältigen, Teile des Source Codes zu verändern oder verändern zu lassen, die Software weiterzuverkaufen, zu vermieten, zu verschenken, zu verleasen oder in sonstiger Art und Weise an Dritte weiterzugeben oder Dritten zugänglich zu machen, sei es auch nur für Installationszwecke. Dies bildet einen Lizenzverstoß und hat den sofortigen Lizenzverlust zur Folge."

    Natürlich ist diese Lizenzbestimmung so nicht wirksam, da sie unseren Mandanten unangemessen i.S.d. § 307 AGB benachteiligt. Sie verstößt nämlich eklatant gegen das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Erschöpfungsprinzip (vgl. § 69 c Nr. UrhG). Dieses sieht vor, dass die Verbreitung einer Kopie eines Computerprogramms in der EU nicht ausgeschlossen werden kann, wenn diese mit Zustimmung des Rechtsinhabers im Wege der Veräußerung in den Verkehr gelangt ist (Erschöpfungsgrundsatz). Von diesem Grundsatz der freien Übertragbarkeit gekaufter Software kann auch nicht wirksam durch AGB abgewichen werden. (vgl. schon unseren aktuellen Beitrag „Erschöpfungsgrundsatz beim Kauf von Software" ).

    Nicht zuletzt ist die AGB-Klausel auch deswegen „problematisch", da sie bestimmt, dass ein Lizenzverstoß automatisch zum Lizenzverlust führen soll. Möglich wäre allenfalls das Recht, das Nutzungsrecht zu kündigen und die Nutzung der Software zu untersagen.

  2. Schenkung contra Lizenzvertrag: Wer ist der Stärkere?

    Unser Mandant nutzte nun die Software selber nicht, sondern verschenkte sie anlässlich eines Geburtstages mitsamt der zuvor gefertigten Sicherheitskopie seinem Bruder. Dieser wollte sie für seine eigene gewerbliche Website nutzen und installierte sie auf seinem Webserver. Die Software funktioniere jedoch nicht, worauf der entnervte Bruder unseren Mandanten auch hinwies. Dieser beschwerte sich daraufhin bei der Hotline des betreffenden Softwareunternehmens und bat um Unterstützung bei der Fehlersuche. Zudem wies er darauf hin, dass auch seine Freundin sich ein Bild von der Funktionsunfähigkeit der Software gemacht habe – diese sei immerhin Informatikerin.

    Eine Unterstützung erfolgte nicht, dafür aber drei Abmahnungen – an unseren Mandanten, dessen Bruder sowie seine Freundin.

    Die Abmahnungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen, da sie das in Deutschland geltende Urheberrechtsgesetz ignorieren.

    Folgender Auszug aus der Abmahnung an unseren Mandanten soll an dieser Stelle wörtlich wiedergeben werden:

    „Es wird Ihnen zur Last gelegt, gegen die Lizenzbestimmungen verstoßen zu haben, und die Urheberrechte der Firma X verletzt zu haben. Hierbei handelt es sich um das Softwareprodukt X [welches Sie unberechtigterweise kopieren und weiterverkaufen, bzw an Dritte weitergeben, ohne hierfür Rechte vom Urheber erhalten zu haben. Sie haben ohne dazu berechtigt zu sein einem Dr. X die in der Ebay Auktion XXXX, von Ihnen ersteigerte Software X verkauft, bez. unberechtigter weise weitergegeben, welche auf der Domain http://xxx.net installiert wurde. Als Lizenzinhaber wurde " xxx", obwohl Sie genau wussten, daß diese Firma keinen gültigen Lizenzcode besitzt. Sämtliche Daten, Webseiten und sonstige Beweismittel wurden von uns gesichert. Die Ihnen zugeteilte Lizenz ist somit ersatzlos verfallen, und Sie dürfen diese Software weder selbst nutzen, noch weiterveräussern, und sind verpflichtet, diese sofort restlos zu löschen und alle Datenträger, die diese Software enthält, zu löschen oder zu vernichten."

    Eine rechtliche Würdigung des Textes kommt zu folgendem Ergebnis:

    • Text der Abmahnung:

      „welches Sie unberechtigterweise kopieren und weiterverkaufen, bzw an Dritte weitergeben"

      Kommentar:

      Unser Mandant hat sich eine Vervielfältigung i.S.d. § 16 UrhG nicht zu schulden kommen lassen. Vielmehr hat er die auf der CD enthaltene Software mitsamt der Sicherheitskopie seinem Bruder geschenkt. Hierzu ist er ohne Zustimmung des Urhebers berechtigt (siehe oben Erschöpfungsprinzip). Dieses Recht konnte durch die Lizenzbestimmungen nicht wirksam ausgeschlossen werden.

    • Text der Abmahnung:

      „ohne hierfür Rechte vom Urheber erhalten zu haben"

      Kommentar:

      Eine entsprechende Rechteeinräumung des Urhebers war hinsichtlich der vorgenommenen Schenkung aber gerade nicht erforderlich.

    • Text der Abmahnung

      „Die Ihnen zugeteilte Lizenz ist somit ersatzlos verfallen"

      Kommentar:

      Dies ist unzutreffend. Die Lizenz wurde stattdessen wirksam an den Bruder unseres Mandanten weiter übertragen.

    • Text der Abmahung:

      „weder selbst nutzen, noch weiterveräußern, und sind verpflichtet, diese sofort restlos zu löschen und alle Datenträger, die diese Software enthält, zu löschen oder zu vernichten."

      Kommentar:

      Diese Behauptung entbehrt im Falle unseres Mandanten jeglicher Rechtsgrundlage bzw. ist schlichter Unsinn.

  3. Aufwandsentschädigung i.H.v. € 1.200 überzogen

    Die der Abmahnung beigefügte strafbewehrte Unerlassungserklärung sah vor, dass dem Verfasser der Abmahnung dem Rechtsanwalt der Gegenseite ein Betrag i.H.v. 2.200 Euro binnen 7 Werktagen zu zahlen sei. Grundsätzlich hat der Verletzer im Falle von berechtigten Abmahnungen die Rechtsanwaltskosten des Verletzten zu zahlen. Diese richten sich nach dem in der Unterlassungserklärung festgelegten Streitwert. Der Rechtsanwalt ignorierte hier souverän die Vorgaben des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes. Sein gesetzlicher Vergütungsanspruch hätte bei einer Mittelgebühr von 1,5 und einem Streitwert von 25.000, € lediglich 1029 Euro betragen dürfen.

    Sollten auch Sie es mit ähnlichen Missbrauchsfällen zu tun gehabt haben, schreiben Sie uns. Wir stehen in ständigen Kontakt mit Verbraucherverbänden wie auch Wettbewerbszentralen und haben zudem die Möglichkeit, ähnliche Fälle in den einschlägigen Print- wie auch Onlinemedien zu publizieren. Wir freuen uns über jede Zuschrift.

III. Strategien bei Erhalt einer Abmahnung

Um noch einmal möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Unsere Haltung hinsichtlich des „Instituts der Abmahnung" ist eindeutig. Abmahnungen erfüllen ihren legitimen Zweck in der deutschen Rechtsordnung und sind ein probates Mittel, um insbesondere Verletzungen aus dem Bereich des Wettbewerbsrechts, des Urheberrechts sowie des Markenrechts wirksam, weil schnell und effektiv ein Ende zu setzen.

Anderseits gilt auch, wie obiges Beispiel (vgl. Ziffer II) zeigt, dass es immer mal wieder zu Missbrauchsfällen kommen kann. Sollte Ihnen eine Abmahnung ins Haus flattern, sei Ihnen daher folgende Herangehensweise empfohlen:

  1. Prüfung der formalen Wirksamkeit der Abmahnung

    Die Abmahnung selbst muss bestimmten Mindestanforderungen genügen, um überhaupt vom Abgemahnten beachtet werden zu müssen. Aber Vorsicht: Eine falsch formulierte Abmahnung heilt nicht die ursprüngliche Verletzungshandlung!

    Folgende Voraussetzungen muss etwa eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung erfüllen:

    • Die Abmahnung muss deutlich machen, aus welchem Grund überhaupt abgemahnt wird. Auch muss der Abmahnende erkennbar werden.
    • Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zu deren Abgabe man aufgefordert wird, hat der Abmahnung beizuliegen.
    • Die Abmahnung muss dem Abgemahnten eine Frist setzen, bei deren Verstreichen die Einleitung gerichtlicher Schritte angedroht wird.
    • Der Abmahnende muss überhaupt erst einmal berechtigt sein, abzumahnen. Dies hört sich vielleicht banal an, ist es aber nicht. So sind beispielsweise im Wettbewerbsrecht im Wesentlichen nur Mitwettbewerber sowie bestimmte Wirtschaftsverbände wie auch Verbraucherverbände abmahnberechtigt.
    • Die Abmahnung darf nicht „missbräuchlich" sein. Dies könnte insbesondere bei den sog. Massenabmahnungen der Fall sein. Die Missbräuchlichkeit einer Abmahnung ist nicht leicht nachzuweisen – kann sich aber aus den jeweiligen Umständen ergeben (bspw. die in der „Szene" einschlägig bekannten Abmahnenden").

  2. Prüfung des Inhalts der Abmahnung

    Sollte es sich bei der Abmahnung um eine formal wirksame Abmahnung im obigen Sinne (vgl. Ziffer III Nr.1) handeln, geht es in der Sache nun darum zu klären, ob an dem in der Abmahnung enthaltene Verletzungsvorwurf „etwas dran" ist oder nicht. Davon hängt ganz entscheidend die weitere Vorgehensweise ab:

    1. Unberechtigte Abmahnung

      Ist eine Abmahnung unberechtigt, bieten sich mehrere Verteidigungsmöglichkeiten an:

      • Zunächst ist es bei komplizierteren Fällen immer tatsächlich empfehlenswert, einen spezialisierten Anwalt aufzusuchen. Es sollte gerade bei größeren Streitsummen nicht „am falschen Ende gespart werden".

      • Eine negative Feststellungsklage vor dem zuständigen Gericht könnte erhoben werden mit dem Antrag festzustellen, dass dem Abmahnenden kein Anspruch auf Abgabe der entsprechenden Unterlassungserklärung zusteht. Vorteil ist hier, dass nun der Abmahnende die (immer kritische) Beweislast zu tragen hat.

      • Es könnte eine Gegenabmahnung erhoben werden mit der die Unterlassung weiterer Abmahnungen gefordert wird. Hier wäre auch an die Geltendmachung von Schadensersatzansprüche zu denken.

      • Man könnte sich der sog. Schutzschrift als präventives Verteidigungsmittel bedienen mit dem Ziel, vor Erlass einer einstweiligen Verfügung unbedingt „rechtliches Gehör" zu bekommen.

      • Ein Aussitzen der Abmahnung wird nur in den wenigsten Fällen zu empfehlen sein. Dies wäre nur dann eine Alternative, wenn die Abmahnung mit absoluter Sicherheit unberechtigt ist wobei man sich insoweit mit seinem Rechtsanwalt absprechen sollte.

    2. Berechtigte oder zumindest teilweise berechtigte Abmahnung

      Auch bei einer berechtigten Abmahnung kann der Gang zum Rechtsanwalt lohnen. Ein ganzer Blumenstrauß an Reaktionsmöglichkeiten sind denkbar, wie z.B. :

      • Möglicherweise ist es tatsächlich die sinnvollste Lösung, die geforderte Unterlassungserklärung abzugeben und so ein gerichtliches Verfahren mit entsprechenden Kosten zu vermeiden.

      • Sollte die geforderte Unterlassungserklärung zu weitgehende Verpflichtung enthalten, bietet sich eine entsprechende Umformulierung an.

      • Das Gleiche gilt, wenn die von der Gegenseite veranschlagte Auslagenpauschale übertrieben hoch sein sollte.

      • Auch besteht immer die Möglichkeit, die Unterlassungserklärung abzugeben ohne sich mit der Kostenerstattung einverstanden zu erklären. Die Unterlassungserklärung wird damit wirksam. Oft ist der Abmahnende damit schon zufrieden und wird nicht alleine wegen der Kosten einen Rechtstreit beginnen wollen. Geschieht dies doch, wird in dem Verfahren zugleich auch über die Berechtigung der Abmahnung entschieden. Sind die Kosten zu hoch angesetzt, empfiehlt es sich, lediglich aus einem als angemessen empfundenen Satz anzuerkennen.

      • Auch sind im Einzelfall Vergleichsverhandlungen erfolgsversprechend.