Abkommen von der Fahrbahn – Autoversicherer leistungsfrei?

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2. Grobe Fahrlässigkeit mangels plausibler Erklärung?

(OLG Hamm – Urteil vom 7.02.2007, Az. : 20 U 134/06)

1. Das Problem

In der Kaskoversicherung gilt – wie auch in anderen Versicherungssparten - § 61 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Danach wird der Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt.

In dem Fall, den das OLG zu beurteilen hatte, verlangte der Versicherungsnehmer Entschädigung aus seiner Vollkaskoversicherung. Er kam bei einer Geschwindigkeit von 90 km/h beim Durchfahren einer Linkskurve auf gerader Strecke nach rechts von der Fahrbahn ab, konnte das Fahrzeug durch Gegenlenken nicht mehr auffangen und prallte infolgedessen gegen einen Straßenbaum. Das Fahrzeug erlitt Totalschaden. Der Kläger gab an, er sei unaufmerksam gewesen. Er habe durch einen Blick auf den Beifahrersitz kontrolliert, ob er alles dabei habe, insbesondere seine Geldbörse. Der Versicherer warf ihm grob fahrlässige Unaufmerksamkeit vor.

Der Senat konnte keine Umstände feststellen, die den Vorwurf grob fahrlässiger Unfallverursachung rechtfertigten. Zwar sei es zunächst Sache des Versicherungsnehmers, ihn entlastende Umstände näher darzulegen, da der Versicherer die maßgebenden Tatsachen nicht kennen kann. Trägt der Versicherungsnehmer allerdings entlastende Umstände vor, ist es Sache des Versicherers, diese zu widerlegen. Dies gelang hier nicht. Denn:

  • der Kläger hatte vorgetragen, unaufmerksam gewesen zu sein und für kurze Zeit auf den Beifahrersitz geschaut zu haben und müsse dabei versehentlich nach rechts gelenkt haben, sodass er von der Fahrbahn abgekommen sei. Nach Angaben eines Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren sei es aber problemlos möglich, kurzfristig seinen Blick von der Fahrbahn abzuwenden und auf den Beifahrersitz zu richten, ohne dabei eine Lenkbewegung auszuführen, die das Fahrzeug von der Fahrbahn abbringt.

  • auch wenn der vom Versicherungsnehmer angegebene Kontrollblick alleine den Unfall nicht erklärt und er sich evtl. nach heruntergefallenen Gegenständen gebückt hat (wie es der Versicherer vermutete), was grob fahrlässig gewesen wäre, muss der Versicherer dies auch beweisen. Auch wenn ein plausibler Grund für das Abkommen von der Fahrbahn fehlt, führt dies zu keiner Änderung der sog. Beweislast beim Versicherer.

  • alleine das Abkommen von einer schmalen Fahrbahn rechtfertigt nicht den Vorwurf eines schlechthin unentschuldbaren Verstoßes gegen die Sorgfaltspflichten eines Fahrzeugführers.

3. Fazit

Ungeklärtes Abkommen von der Fahrbahn führt, dies zeigt die besprochene Entscheidung auf, nicht in jedem Fall zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Natürlich ist es stets eine Frage des Einzelfalls, welches Ergebnis richtig ist. Es reicht aus, wenn (natürlich wahrheitsgemäß) entlastende Umstände vorgetragen werden. Dann ist es Sache des Versicherers, selbst bei fehlender Plausibilität, grobe Fahrlässigkeit zu beweisen. Dies ist für ihn erfahrungsgemäß schwer, da er außerhalb des Geschehensablaufes steht. Es gibt eine Reihe von Fallkonstellationen in diesem Bereich, wo gerne grobe Fahrlässigkeit eingewandt wird. Demnach ist die Bedeutung dieser Entscheidung nicht zu unterschätzen.

Wie die vorliegende Entscheidung nun aber zeigt, ist die Frage der groben Fahrlässigkeit sehr differenziert zu betrachten. Die Entscheidung lässt beispielsweise offen, wie auf einer gut ausgebauten Straße zu urteilen gewesen wäre. Vermutlich wird grobe Fahrlässigkeit dann anders zu beurteilen sein – aber schließlich hängt es auch dabei wieder vom Sachverhalt ab.

Sind Sie in einem solchen Fall betroffen, kann nur dringend zugeraten werden, den Fall anwaltlich überprüfen zu lassen!

Burgwedel, den 26.06.2007
Hans-Christoph Hellmann
Rechtsanwalt
RA Hellmann ist u. A. Mitglied der Arbeitsgemeinschaften Verkehrsrecht und Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein

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