Reparatur bei wirtschaftlichem Totalschaden

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Nachweis des Integritätsinteresses durch 6-monatige Weiternutzung

Reparatur bei wirtschaftlichem Totalschaden

1.Was bedeutet wirtschaftlicher Totalschaden?

Ein wirtschaftlicher Totalschaden liegt vor, wenn die Reparatur technisch gesehen zwar möglich, jedoch wirtschaftlich unvernünftig ist. Von einem wirtschaftlichen Totalschaden ist die Rede, wenn Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegen. Zur Feststellung der einzelnen Werte ist die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich, der ein Gutachten über den Fahrzeugschaden erstellt.

Stefanie Helzel
Partner
seit 2007
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Verkehrsrecht
Elbinger Str. 11
90491 Nürnberg
Tel: 0911/95699944
Web: http://www.verkehrsrecht-nuernberg.eu
E-Mail:
Verwaltungsrecht, Ordnungswidrigkeiten, Strafrecht, Reiserecht

Der Sachverständige ermittelt unter anderem die voraussichtlichen Reparaturkosten, den Wiederbeschaffungswert, den Restwert sowie eine eventuelle Wertminderung des Fahrzeuges.

Dies sieht in der Zusammenfassung des Gutachtens beispielsweise so aus:

Reparaturkosten ohne MwSt:   2.500,00 €
19% MwSt   475,00 €
Reparaturkosten mit MwSt   2.975,00 €

Wiederbeschaffungswert           2.700,00 €
Restwert           600,00 €

Unter Wiederbeschaffungswert wird der Wert verstanden, den Ihr Fahrzeug unmittelbar vor dem Unfall hatte bzw. was ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug bei einem seriösen Gebrauchtwagenhändler kosten würde. Im genannten Beispiel müsste für ein vergleichbares Fahrzeug 2.700 € gezahlt werden. Dieser Wiederbeschaffungswert ist der Dreh- und Angelpunkt für die Bewertung des entstandenen Schadens. Es wird davon ausgegangen, dass für 2.700 € ein vergleichbares Fahrzeug gekauft werden kann.

Wenn Sie aufgrund eines Verkehrsunfalls einen Schaden erleiden, sind Sie grundsätzlich wieder so zu stellen, wie vor dem Unfall. Ihnen muss der Wert, den Ihr Fahrzeug vor dem Unfall hatte (2.700 €) wieder zur Verfügung stehen; unabhängig davon, ob Sie den Wagen reparieren lassen oder sich ein anderes Fahrzeug zu einem entsprechenden Preis kaufen.

Mit dem Restwert wird angegeben, was das Fahrzeug aufgrund des Unfallschadens in unrepariertem Zustand noch wert ist, hier also noch 600,00 €.

Für die Reparatur veranschlagt der Gutachter Kosten in Höhe von 2.975,00 €. Die Reparatur käme demnach teurer, als die Anschaffung eines gleichwertigen Wagens und ist wirtschaftlich betrachtet nicht sinnvoll. Grundsätzlich ist es Sache des Geschädigten zu entscheiden, was er mit dem erstatteten Geld macht. Sofern das Fahrzeug noch verkehrssicher und fahrbereit ist, kann man sich dazu entschließen, auf eine Reparatur ganz zu verzichten.

Sie können beim wirtschaftlichen Totalschaden zwischen zwei Wegen der Schadensabrechnung wählen:

a) Abrechnung auf Totalschadenbasis:

Wird keine Reparatur durchgeführt oder ein Ersatzfahrzeug gekauft, ist eine Abrechnung auf Totalschadenbasis vorzunehmen. Dies bedeutet, die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers ersetzt lediglich den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes. Legt man oben genanntes Beispiel zugrunde, würden 2.100 € (2.700 € – 600 €) erstattet. Mehr zahlt die gegnerische Haftpflichtversicherung nicht. Durch den Verkauf des Unfallfahrzeugs können noch 600 € erzielt werden, so dass Sie wieder 2.700 € zur Verfügung haben. Es steht Ihnen völlig frei ob Sie einen neuen Wagen kaufen oder mit Ihrem kaputten Fahrzeug weiterfahren. Wie Sie dieses Geld verwenden ist allein Ihre Angelegenheit.

b)Reparatur

In gewissen Grenzen ist es Ihnen auch bei einem wirtschaftlichen Totalschaden erlaubt, den Wagen reparieren zu lassen. Eine Reparatur ist erlaubt, wenn die vom Gutachter ermittelten Reparaturkosten maximal 30% über dem Wiederbeschaffungswert liegen. In oben genanntem Beispiel ist der Wiederbeschaffungswert mit 2.700 € angesetzt. Die geschätzten Reparaturkosten dürfen sich auf maximal 3.510 € belaufen. In vorliegend Fall hat der Sachverständige Kosten für die Reparatur in Höhe von 2.975 € angesetzt – diese liegen somit innerhalb der erlaubten 130%-Grenze, da sie 3.510 € nicht übersteigen.

Eine Reparatur darf durchgeführt werden.

(1) Anforderungen des BGH

Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt an den Anspruch auf volle Kostenerstattung jedoch noch eine weitere Bedingung. Sie dürfen – auch wenn es wirtschaftlicher Unfug ist – reparieren lassen, müssen jedoch nachweisen, dass Sie ein besonderes Interesse an der Reparatur dieses Fahrzeugs haben.

Allgemein wird in diesem Zusammenhang von dem Integritätsinteresse gesprochen – das ist das Interesse am Erhalt des Rechtsguts. Haben Sie ein besonderes Interesse daran, diesen Wagen auch zukünftig zu fahren, da Sie vertraut im Umgang mit dem Fahrzeug sind, dieses für Sie einen ideellen Wert hat, etc., dann dürfen Sie das Fahrzeug reparieren lassen, müssen Ihr Integritätsinteresse jedoch nachweisen.

(2) Neueste BGH-Rechtsprechung

Diesen Nachweis sieht der BGH (Urteil vom 22. April 2008 - VI ZR 237/07)– trotz durchgeführter fachgerechter Reparatur – erst als erbracht an, wenn Sie das Fahrzeug weitere sechs Monate behalten und nutzen. Veräußern Sie das Fahrzeug vor Ablauf dieser 6 Monate, verlieren Sie Ihren Anspruch auf vollen Reparaturkostenersatz. Ihr Erstattungsanspruch beschränkt sich damit wieder nur auf die Abrechnung auf Totalschadenbasis (siehe Punkt a).

Vollen Reparaturkostenersatz erhält man bei einem wirtschaftlichen Totalschaden im Übrigen nur, wenn eine fachgerechte Reparatur durchgeführt wird.

Eine Teil- bzw. Notreparatur ist nicht zulässig.

(3) Regulierungsverhalten der Versicherer

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Versicherer sich natürlich bei der Schadensregulierung auf dieses Urteil stützen werden. Es wird nach wie vor davon auszugehen sein, dass die Versicherer zunächst nur auf der Basis des Totalschadens – wie unter a) ausgeführt – abrechnen und die restlichen Reparaturkosten erst dann zahlen, wenn Sie nach Ablauf von 6 Monaten der Versicherung nachweisen, diese Fahrzeug noch immer zu fahren.

Konkret sieht die Abrechnung dann so aus:

Erstattung direkt nach dem Unfall: 2.100 €
Erstattung nach 6 Monaten: 875 €

Den Versicherung ist es dabei völlig egal, dass diese Abrechnungsweise gesetzeswidrig ist. Verpflichtet wären sie zur sofortigen Erstattung der vollen Reparaturkosten nach Vorlage der Reparaturrechnung, denn zu diesem Zeitpunkt werden die Kosten bereits fällig. Den Versicherungen stünde Ihnen gegenüber allenfalls ein Rückforderungsrecht der gezahlten Reparaturkosten zu, wenn Sie den Wagen nach der Reparatur doch veräußert und nicht weitere sechs Monate genutzt haben.

Ihre fehlerhafte Abrechnungsmethodik ist den Versicherungen jedoch gleichgültig. Diese lassen es gerne auf ein Gerichtsverfahren ankommen. Leider ist Ihnen mit einem Prozess nicht viel geholfen – dieser wird in aller Regel mehr als 6 Monate dauern, sodass Sie in jedem Fall die Reparaturkosten vorfinanzieren müssen. Dass Sie am Ende des Gerichtsverfahrens Recht bekommen, ändert jedoch nichts daran, erst einmal selbst für die Reparaturkosten aufkommen zu müssen.