Unterlassene Hilfeleistung auf Sylt

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Unterlassene Hilfeleistung auf Sylt

Die Bild Zeitung berichtet in ihrer Onlineausgabe vom 05. Juni 2009 über eine körperliche Auseinandersetzung eines (ehemaligen) Prominentenpaares, die auf der Insel Sylt, genauer in Kampen, stattgefunden hat. Nach der Zeitung ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Mann wegen Körperverletzung.

Möglicherwiese darf auch der Reporter der Bild Zeitung mit der Einleitung eines Strafverfahrens rechnen. Er könnte sich nämlich einer unterlassenen Hilfeleistung i.S. d. § 323c Strafgesetzbuch (StGB) strafbar gemacht haben. Ausführlich berichtet der Reporter – unterlegt mit zahlreich von ihm gefertigten Fotos – in einer beiliegenden Videodokumentation über die Auseinandersetzung, die sich einige Zeit hinzog.

Folgendes gibt er in dem Interview zu Protokoll:

„Hier hat er sie dann eingeholt(…). Dann ging es halt zu Handgreiflichkeiten und es war halt schon ne` Steigerung, es wurde halt, hatte man den Eindruck, immer schlimmer letztendlich. Nachher drückte er sie halt auf den Friesenwall auch rauf (….). Das war schon, wie gesagt, wo man dachte, das kann nicht sein, dass das mitten in der Öffentlichkeit in Kampen passiert."

Die Frage, die sie sich unweigerlich stellt, ist: Hätte der Reporter, anstatt mannigfach bunte Bildchen zu schießen, nicht einschreiten und dafür Sorge tragen müssen, dass die Situation nicht weiter eskaliert.

Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. So lautete § 323c StGB.

Prüfen wir also durch:

Zunächst müsste ein Unglücksfall oder gemeine Gefahr oder Not gegeben sein. Für die Beurteilung, ob eine die Handlungspflicht auslösende Lage i.S. v. § 323c StGB vorliegt, stellt die Rechtsprechung auf eine objektivierte ex-ante Sicht ab: Eine aus objektiver Sicht i.S. einer nachträglichen Prognose vorliegende Gefahr entfällt nicht, weil sich später Hilfe als nicht erforderlich erweist (Fischer, 56. Auflage 2009, § 323c StGB, Rn. 2). Vereinfacht gesagt, muss die Bewertung, ob ein Unglücksfall vorgelegen hat, immer aus der zeitlichen Perspektive vorgenommen werden, in der sich der zur Handlung verpflichtetet im Augenblick seines Unterlassens befunden hat. Ein Unglücksfall ist ein plötzliches äußeres Ereignis, das eine erhebliche Gefahr jedenfalls für Personen bringt oder zu bringen droht (vgl. BGHSt 3, S. 65 (66)). Es ist nicht erforderlich, dass bereits irgendein Schaden eingetreten ist. (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, 27. Auflage 2006, § 323c StGB, Rn. 5 m. W.N.).

Dieses Merkmal dürfte wohl erfüllt sein. Wenn ein Mann auf eine Frau in ersichtlicher Aggression losgeht, steht der Eintritt eines Schadens für die körperliche Integrität der Frau zu befürchten. Ob dabei der Schäden tatsächlich eingetreten ist, ist für die Bewertung ohne Belang.

Fraglich ist nun das Merkmal der erforderlichen Hilfeleistung. Erforderlich ist eine Hilfe, wenn der Täter die objektive Möglichkeit hatte, durch seinen Einsatz den Geschehensablauf zu beeinflussen, also die Notlage zu beheben oder wenigstens abzumildern (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, 27. Auflage 2006, § 323c StGB, Rn.15 m. W.N.).

So wie der Sachverhalt durch die Bild Zeitung dargestellt wurde, wird man wohl annehmen können, dass auch dieses Merkmal erfüllt ist. Wer so ausdauernd einen Streit beobachten, verfolgen und ausgiebig Fotografien fertigen kann, hat auch die Möglichkeit Hilfe anzufordern (Polizei) oder gar selbst einzuschreiten.

Die Hilfe muss auch zumutbar gewesen sein. Maßgebend dafür ist nicht das allgemeine Sittlichkeitsempfinden (so aber BGH 11 S. 136 (354)), sondern eine anhand positivierter Wertentscheidungen durchgeführte Abwägung der widerstreitenden Interessen, sodass die Zumutbarkeit bei einer rechtlich nicht mehr angemessenen Überforderung des Täters entfällt (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, 27. Auflage 2006, § 323c StGB, Rn. 20 m.w.N.). Zumutbar wäre zumindest die Anforderung von Hilfe durch Dritte gewesen. Auch ein Einschreiten, wenigstens in Form eines Zurufes, hätte den Reporter nicht überfordert. Sein journalistischer Hunger bedeutet in diesem Fall kein berechtigtes Interesse, welches auf die Abwägung der Angemessenheit Einfluss hätte.

Der Reporter handelte auch vorsätzlich. Ein wie auch immer geartetes Einschreiten und damit die Verhinderung der Weiterung eines (bevorstehenden) Schadens, hätte gleichzeitig eine lukrative Geschichte verhindert.

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