Pflichtverteidigung: Was bedeutet das eigentlich?

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Aufgabe und Funktion der Verteidigung im Strafverfahren

Es herrscht Einigkeit darüber, dass es Aufgabe und Funktion der Verteidigung als Institution ist, den Beschuldigten bei der Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte zu unterstützen, insbesondere dadurch, dass er die beim Beschuldigten faktisch vorhandenen Defizite kompensiert.

Der Verteidiger hat die Aufgabe, den als juristischen Laien und direkt Betroffenen in der Regel überforderten, z. B. in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten in rechtlicher Hinsicht zu beraten, die Verfahrensführung der Strafverfolgungsorgane auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu kontrollieren und den Beschuldigten bei der aktiven Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte zu unterstützen.

Die Notwendigkeit der institutionellen Gewährleistung formeller Verteidigung ergibt sich aus dem rechtsstaatlichen Prinzip des fairen Verfahrens, das als unverzichtbares Element der Gewährleistung beinhaltet, dass der betroffene Bürger prozessuale Rechte und Möglichkeiten haben muss, die ihn als Subjekt des Verfahrens konstituieren und die er wirksam zu nutzen vermag.

Beschuldigter hat in jeder Lage des Verfahrens das Recht auf Verteidigung

§ 137 I StPO beschreibt das Recht des Beschuldigten, sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen. Dieses Recht ist Teil des durch Art. 6 I 1, III lit. c EMRK gewährleisteten sowie verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf ein faires Verfahren. Der Begriff „Verfahren" ist weit zu ziehen. Er umfasst das Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren inklusive Rechtsmittel-, Vollstreckungs- und Wiederaufnahmeverfahren. Der Strafprozess beginnt mit der ersten Ermittlungshandlung. Dazu gehören auch alle Ermittlungen, welche die Polizei – in dem Fall als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft – durchführt.

Der Anspruch besteht somit insbesondere schon im Ermittlungsverfahren ab dem Zeitpunkt, ab dem sich das Verfahren gegen die beschuldigte Person richtet, also auch schon bei der ersten Vernehmung. Der Beschuldigte ist dabei so früh wie möglich über den Tatvorwurf zu informieren, damit er von seinen Rechten Gebrauch machen kann, weil gerade im Stadium des Anfangsverdachts die Weichen für alle Ermittlungen gestellt werden und sich Ermittlungsfehler im Vorverfahren wie auf einer Rutschbahn bis hin zur Wiederaufnahme des Verfahrens erstrecken.

Durch Übernahme der Verteidigung entsteht ein Geschäftsbesorgungsvertrag

Durch die Übernahme der Verteidigung entsteht ein Geschäftsbesorgungsvertrag i. S. d. § 675 BGB. Das Verteidigerverhältnis erstreckt sich auf alle in dem Verfahren gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe und, wenn es nicht auf bestimmte Prozesshandlungen oder Verfahrensabschnitte beschränkt ist, auf das gesamte Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss und darüber hinaus bis in das Vollstreckungsverfahren und die Strafvollzugsangelegenheiten. Die Beendigung des Vertragsverhältnisses kann von beiden Seiten jederzeit herbeigeführt werden. Wird der Verteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt, so endet damit die Wahlverteidigung.

Beiordnung eines Verteidigers durch das Gericht, sog. Pflichtverteidiger

Macht der Beschuldigte, aus welchem Grund auch immer, nicht von seinem Recht aus § 137 StPO Gebrauch, so kann ihm, unter näher darzustellenden Umständen, ein Verteidiger beigeordnet werden (§§ 140 StPO), der so genannte Pflichtverteidiger. Sinn und Zweck des Instituts der Pflichtverteidigung beruhen auf dem Interesse des Rechtsstaats an einem ordnungsgemäßen Verfahren und der dazu gehörenden wirksamen Verteidigung.

„Die Verfassung selbst will sicherstellen, dass der Beschuldigte auf den Gang und das Ergebnis des gegen ihn geführten Strafverfahrens Einfluss nehmen kann" (BVerfGE 70, S. 322 (322)).

Notwendige Mitwirkung eines Verteidigers gemäß § 140 StPO

Gemäß § 140 I StPO wird die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, wenn

  • die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet;
  • dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
  • das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
  • gegen einen Beschuldigten Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a oder einstweilige Unterbringung nach § 126a oder § 275a Absatz 6 vollstreckt wird;
  • der Beschuldigte sich mindestens drei Monate auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird;
  • zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
  • ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
  • der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
  • dem Verletzten nach den §§ 397a und 406g Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.

In anderen Fällen wird gemäß § 140 II StPO ein Verteidiger bestellt, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Machen Sie von Ihrem Recht, einen Strafverteidiger zu wählen, Gebrauch

Auch bei notwendiger Verteidigung besteht für den Beschuldigten die Möglichkeit, gemäß § 142 I StPO innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Rechtsanwalt zu bezeichnen. Tut er dies, handelt es sich um die so genannte Wahl-Pflicht-Verteidigung, unterlässt er dies, handelt es sich um die einfache Pflichtverteidigung.

Sie haben also die Wahl, entweder selbst einen Rechtsanwalt zu bestimmen, der Ihre notwendige Verteidigung übernimmt, oder sich einen vom Gericht ausgesuchten Rechtsanwalt beiordnen zu lassen. Wir empfehlen dringend Ersteres: Es ist unbedingt anzuraten, dass Sie die Auswahl Ihres Verteidigers selber treffen und nicht dem Gericht überlassen. Für eine sachgerechte Verteidigung ist ein intaktes Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Angeklagten die Basis. Dieses Vertrauensverhältnis kann von Anfang gestört sein, wenn die Auswahl des Verteidigers vom Gericht übernommen wird.

Nach unserer Auffassung gehört es zum Selbstverständnis eines gewissenhaften Strafverteidigers, Pflichtmandate mit derselben Einsatzbereitschaft, Diskretion und Akribie zu bearbeiten, wie andere Mandate.

Vergütung des Pflichtverteidigers

Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet das Institut der Pflichtverteidigung in einer seiner jüngeren Entscheidungen als „staatliche Fürsorge für den vermögenslosen Beschuldigten" (BVerfG, AnwBl 2004, S. 309 (317)). Pflichtverteidigung ist nach Auffassung des Gerichts daher eine besondere Form der Indienstnahme Privater im öffentlichen Interesse. Der Staat kommt nämlich zunächst für die Kosten des Pflichtverteidigers auf und entlohnt diesen aus der Staatskasse.

Es ist allerdings wichtig zu wissen, dass auch eine Pflichtverteidigung für den Angeklagten für den Fall, dass er verurteilt wird, nicht kostenlos ist. In diesem Fall holt sich nämlich die Staatskasse das Geld, das von dem Pflichtverteidiger in Rechnung gestellt wurde, von dem Beschuldigten wieder.

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