NSU-Prozess - Wer zu spät kommt...

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Türkische Journalisten haben keinen Platz mehr bekommen - war die Sitzplatzvergabe des OLG München rechtlich zulässig?

Der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte sorgt schon jetzt für viel Aufruhr. Die Diskussionen um die Sitzplatzvergabe nehmen kein Ende. Insbesondere türkische Medienvertreter fühlen sich übergangen. Darüber hinaus haben auch juristische Kreise ihre Bedenken hinsichtlich der Sitzplatzvergabe geäußert. Der Beitrag befasst sich mit der Frage, ob die Vorgehensweise des OLG München rechtlich überhaupt zu beanstanden ist.

Sitzplatzvergabe - was war passiert?

Vor dem OLG München beginnt (voraussichtlich) am 17.04.2013 im Saal A 101 der Prozess gegen die oben aufgeführten mutmaßlichen NSU-Täter. Es wurden dabei 50 Journalistenplätze sowie weitere 50 Plätze für Zuschauer vergeben. Weiterhin sind 71 Nebenkläger sowie 49 Rechtsanwälte beteiligt.

Serkan Kirli
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Die Zuschauerplätze werden an jedem Verhandlungstag neu vergeben. Das bedeutet also, dass die ersten Anwesenden Zutritt zum Gerichtssaal haben werden. Anders sieht es aus mit der Vergabe von Journalistenplätzen. Diese wurden bereits im Vorfeld vergeben. Eine Anmeldung per Mail oder Fax war möglich. Knapp drei Stunden nach Beginn der Meldefrist waren alle 50 Journalistenplätze vergeben. Aufgrund der raschen Vergabe wurde eine Liste mit „Nachrückern" erstellt. Kein einziger türkischer Medienvertreter war unter den 50 Journalistenplätzen angemeldet.

Öffentlichkeitsgrundsatz verletzt?

Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist in § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) geregelt. Demnach muss jeder zumindest die theoretische Möglichkeit haben, als Zuhörer Zugang zu einer Gerichtsverhandlung zu bekommen. Satz 2 der Vorschrift gibt allerdings vor, dass Ton-, Fernseh- und Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung untersagt sind.


Kapazität des Sitzungssaals

Das Recht auf Zugang ist nur im Rahmen der gegebenen Kapazitäten möglich. Hierbei ist das Gericht auch nicht verpflichtet, zusätzliche Kapazitäten zu schaffen (BeckOK StPO/Allgayer, § 169 GVG, Rn. 7).


Vergabekriterien

Die Vergabe von Zuschauerplätzen erfolgt grundsätzlich nach dem Prioritätsprinzip. Maßgebliches Kriterium ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erscheinens am Gerichtssaal. Eine Vorreservierung oder gar Bevorzugung türkischer Mitbürger würde somit gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen.

Nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung ist hingegen bei der Vergabe von Journalistenplätzen die Bereitstellung eines bestimmten Pressekontingents zulässig (BverfG 2003, 500). Auch die Pressevertreter sind hierbei denselben Zugangsbeschränkungen unterworfen wie einfache Zuschauer. Auch hier ist der Grundsatz „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" zu wahren. Eine Willkürentscheidung des OLG München könnte allenfalls darin zu sehen sein, wenn eine bestimmte quotenmäßige Berücksichtigung für ausländische Medienvertreter bei der Vergabe von Journalistenplätzen geboten wäre. Eine derartige Berücksichtigung wäre dann geboten, wenn ausländische Medienvertreter nicht dieselben Zugangschancen hätten, wie die inländischen Medienvertreter. Dies könnte dann der Fall sein, wenn beispielsweise türkische Medienvertreter keine Gelegenheit gehabt hätten, von der Anmeldefrist Kenntnis zu erlangen. Ob dies im Zeitalter des Internets und der damit verbundenen Möglichkeit der Massenkommunikation überhaupt möglich ist und man von daher von einer Benachteiligung sprechen könnte, soll hier von dem Verfasser nicht entschieden werden.

Revision und Befangenheit

Eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes würde einen Revisionsgrund nach sich ziehen. Weiterhin bestünde die Gefahr, dass durch eine nachträgliche Abänderung der Zugangsmodalitäten der vorsitzende Richter der Gefahr läuft, einem Befangenheitsantrag ausgesetzt zu sein. Jenseits jeglicher politischer Diskussionen und im Hinblick auf den bevorstehenden Prozess sollte nicht verkannt werden, dass das Gericht in formal juristischer Hinsicht wohl kaum fehlerhaft gehandelt haben dürfte, soweit auch den ausländischen Medienvertretern dieselben Zugangsmöglichkeiten gewährt wurden.

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Leserkommentare
von Realist-1942 am 08.04.2013 13:42:33# 1
Welche Art von Berichterstattung ist von Journalisten zu erwarten, die nicht einmal in der Lage sind das deutsche Rechtssystem zu verstehen und darauf drängen eine Lösung über wachsenden Druck auf die Politik zu erzwingen? Da kann von objektiver Berichterstattung selbst bei bestehendem guten Willen dazu wohl kaum die Rede sein. Hier prallen die Kulturen aufeinander und erbringen den Beweis wie unvorbereitet die Türkei der westlichen Kultur begegnet. Sie haben uns einfach nicht verstanden und scheinen auch nicht dazu in der Lage zu sein es zu können.
    
von Anjuli123 am 08.04.2013 15:59:16# 2
Zu diesem Thema ist ein sehr lesenswerter Artikel des türkischen Autors Akif Pirincci
im Focus erschienen. Den direkten Link zum Focus hab ich nicht (möglicherweise ist er nur in der Papierausgabe erschienen), sondern den Link zu einer Seite wo er auch erschienen ist: <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://www.zukunftskinder.org/?p=40048" target="_blank">http://www.zukunftskinder.org/?p=40048</a>
    
von meri am 10.04.2013 12:41:52# 3
Anders als in der Türkei hat hier die Politik sich nicht in die Angelegenheiten der Justiz einzumischen.
Wenn die Öffentlichkeit von einer Hauptverhandlung durch Vergabe von Sitzplätzen an Pressevertreter praktisch ausgeschlossen wird..was dann?
Wer bereits an einer Hauptverhandlung teilgenommen hat und anschließend die Presseberichte deutscher Nachrichtenblätter liest, der erkennt, dass der Verlauf einer Verhandlung nicht so wiedergegeben wird, wie er tatsächlich war.
Wie falsch werden dann erst ausländische Pressevertreter berichten?
    
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