Erledigterklärung der angeordneten Sicherungsverwahrung

Mehr zum Thema: Strafrecht, Strafvollstreckung, Sicherungsverwahrung, StGB, Anlasstaten, Mischfälle
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Die Sicherungsverwahrung bei Mischfällen

 

BGHSt; Erledigterklärung der nach § 66 StGB aF angeordneten Sicherungsverwahrung in Fällen, in denen lediglich einzelne Vorverurteilungen, nicht aber die Anlasstaten in den Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nF fallen ("Mischfälle"); Freiheit der Person; Meistbegünstigungsprinzip.

Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB; § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nF; § 66 StGB aF; Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; § 121 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 GVG

Bundesgerichtshof 5 StR 451/11- Beschluss vom 25.04.2012 (OLG Frankfurt am Main)

Leitsätze

1. In dem Verfahren nach Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB ist die nach § 66 StGB aF angeordnete Sicherungsverwahrung nur dann für erledigt zu erklären, wenn alle für die Anordnung der Sicherungsverwahrung kausalen Taten aus den Anlass- und den Vorverurteilungen nicht mehr in den Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung fallen. (BGHSt)

2. Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB ist nach dem Wortsinn der Vorschrift sowie nach dem Willen des Gesetzgebers nicht dahingehend zu verstehen, dass mit den "Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet" werden soll, ausschließlich die Anlasstaten gemeint sind. Vielmehr ist auch eine Einbeziehung der Vorverurteilungen zulässig und geboten. (Bearbeiter)

3. Die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB markieren den "Türöffner" für den Eintritt in eine qualifizierte Gefährlichkeitsprüfung (Hang und Allgemeingefährlichkeit). Nach den Wertungen des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung sollen ein Hang zu gewaltlosen Eigentums- oder Vermögensdelikten und eine entsprechende Gefährlichkeit des Täters für die Anordnung der Sicherungsverwahrung grundsätzlich nicht mehr ausreichen. Bei Altfällen, die den seinerzeit gültigen "Türöffner" bereits passiert haben, scheidet die Annahme der nunmehr enger zu beurteilenden Gefährlichkeit daher aus, wenn sowohl Vor- als auch Anlasstaten ausschließlich aus diesem Bereich stammen. (Bearbeiter)

4. "Mischfälle", bei denen einzelne Vorverurteilungen, nicht aber die Anlasstaten in den Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung fallen, unterliegen den allgemeinen Prüfungsverfahren nach § 67c Abs. 1, § 67e Abs. 1 StGB. Eine Anordnung des weiteren Vollzugs der Sicherungsverwahrung durch die Strafvollstreckungskammer im Rahmen dieser Prüfung ist in Fällen, in denen die Maßregel nach dem neuen Recht gar nicht mehr angeordnet werden dürfte, nur bei gleichwohl ausnahmsweise bestehender hochgradiger Gefährlichkeit des Verurteilten für im Sinne von § 66 StGB nF spezifische Rechtsgüter gestattet. (Bearbeiter)

5. Die Änderung des § 66 StGB verpflichtet die Strafvollstreckungskammern in "Mischfällen" zu einer Prüfung der Erledigung oder Aussetzung von Amts wegen. Dabei ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten keine Vollzugsfortdauer anzuordnen, wenn sich ein Hang und eine entsprechende Gefährlichkeit des Verurteilten nur noch in Bezug auf Taten ergeben, die nach der Wertung des Gesetzgebers in § 66 StGB nF nicht mehr Anlass für die Anordnung von Sicherungsverwahrung sein können. (Bearbeiter)

6. Eine übergeordnete Norm, die den Gesetzgeber gezwungen hätte, die Erledigung rechtskräftig angeordneter Sicherungsverwahrungen in allen Fällen herbeizuführen, die nach Maßgabe des neuen Rechts bereits die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB nicht mehr erfüllt hätten, ist nicht ersichtlich. Verfassungsrechtlich abgesicherte Vertrauensschutzbelange (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 7 Abs. 1, Art. 5 MRK), die im Bereich der Sicherungsverwahrung gelten (vgl. BVerfGE 128, 326), sind durch die Rechtsänderung nicht berührt. (Bearbeiter)

7. Das Meistbegünstigungsgebot gilt nicht im Bereich der Maßregeln und nur für Fälle der Rechtsänderung "vor der Entscheidung".