Die Fälle Kachelmann und Strauss-Kahn

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Die Problematik "Aussage gegen Aussage"

I. Die Prozesse Kachelmann und Strauss-Kahn

Zwei  Strafprozesse haben in der näheren Vergangenheit für Aufsehen gesorgt. Zum einen der Fall des Jörg Kachelmann und zum anderen das Verfahren um Dominique Strauss-Kahn.

Was haben Jörg Kachelmann und Strauß Kahn gemeinsam? Beide waren sie wegen Vergewaltigung bzw. versuchter Vergewaltigung verdächtigt und sogar unter Anklage gestellt worden. Die Verfahren gegen den bekannten Wettermoderator und den Ex-Chef des Weltwährungsfonds wurden  in unterschiedlichen Verfahrensstadien eingestellt, bzw. im Fall Kachelmann kam es zu einem Freispruch nach 43 Verhandlungstagen. Nach Auffassung des Landgerichts Mannheim reichten die Indizien im Fall Kachelmann nicht für eine Verurteilung aus. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen wurden zahllose Zeugen befragt und insgesamt zehn Gutachter angehört. Nach Abschluss der Hauptverhandlung hatte das Gericht begründete Zweifel an der Schuld des Angeklagten Kachelmann und es kam zu einem Freispruch nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“.

Ähnlich verlief das Verfahren im Fall Strauß-Kahn. Aufsehen erregend setzten die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden den Ex-Chef des IWF am Flughafen in New York am 15.05.2011 fest. Die Anklage lautete auf versuchte Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und Freiheitsberaubung. Strauß-Kahn wurde inhaftiert und trotz seines Vorbringens „er sei unschuldig“, sprach Richterin Melissa Jackson ihre Entscheidung aus. So kam es, dass der Sozialist und hoch gehandelte Kandidat für die französische Präsidentschaftswahl 2012 zunächst in Untersuchungshaft musste, bevor er die Haft gegen Kaution verlassen durfte. Am 23.08.2011 reichte die Staatsanwaltschaft der Stadt New York letztendlich unter dem Aktenzeichen 02526/2011 eine Empfehlung bei dem zuständigen Gericht ein, in der sie nahelegte, das Verfahren einzustellen. Der damalige Richter Michael Obus kam der Empfehlung nach und erklärte den Fall für abgeschlossen, woraufhin die Sicherheitsauflagen gegen Strauss-Kahn aufgehoben wurden.

II. Die rechtliche Bewertung einer „Aussage gegen Aussage Situation“

In Anbetracht der Umstände der Verfahren stellt sich die Frage, wie es zu diesen Entscheidungen kam. Immerhin reichte der Tatverdacht zu Beginn noch aus, um in beiden Fällen einen Haftbefehl zu erlassen. Jörg Kachelmann verbrachte sogar mehr als drei Monate in U-Haft, bevor er aus der Haft entlassen wurde.

Beiden Entscheidungen liegt die klassische Problematik einer „Aussage gegen Aussage“ Situation zu Grunde. Oftmals entsteht bei solchen Konstellationen der Irrglaube, die beiden Aussagen würden sich gegenseitig aufheben, getreu dem mathematischen Grundsatz „Minus mal Minus gibt Plus“. Ganz so einfach stellt es sich in der strafrechtlichen Verfahrenspraxis nicht dar. Die zentrale Norm für die Würdigung zweier sich konträr gegenüber stehender Aussagen ist § 261 StPO. Die Norm besagt, dass das Gericht in seiner Beweiswürdigung frei ist. Es ist nur an seine, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften, Überzeugung gebunden.

Der BGH hat mehrfach entschieden, dass in einem Fall, in dem eine Aussage gegen eine andere Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, die Urteilsgründe erkennen lassen müssen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen mit einbezogen hat (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 44, 256 und BGH StraFo 1997, 245; NStZ 2001, 261; NStZ-RR 2004, 281). Wobei es nicht schon ausreichend ist, wenn der Angeklagte die Tat bestreitet. Sind nämlich neben der belastenden Aussage noch weitere belastende Beweismittel zugänglich, so liegt die besondere Konstellation mit der daraus folgenden erhöhten Begründungserfordernis nicht vor (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 261 Rn. 11a). Ist demnach eine „Aussage gegen Aussage“ Situation gegeben, stellt sich zunächst die Frage, welche konkreten Auswirkungen dies auf das Ermittlungsverfahren, die Tatsacheninstanz und das Revisionsverfahren hat. Ausgangspunkt ist hierbei, dass das Gericht bei seiner Beweiswürdigung einer qualifizierten Begründungspflicht nachkommen muss. Das bedeutet, dass das Gericht als erstes die Aussage als solche zu analysieren hat, aber insbesondere auch deren Entstehung und Entwicklung. Besondere Kenntnisse und Fähigkeiten des Zeugen sind ebenso zu berücksichtigen wie eine etwaige Motivation für eine Falschbelastung (BGH StV 1994, 526). Auch andere vernünftigerweise vorstellbare Geschehensabläufe muss das Gericht in seine Beweiswürdigung aufnehmen (BGH StV 1982, 508), wobei entfernte Tatvarianten nicht denklogisch ausgeschlossen werden müssen (BGH NStZ 1991, 399) und sämtliche Umstände derart abwägen, dass der gesamte Abwägungsvorgang vollständig und für das Revisionsgericht nachprüfbar dargestellt ist. Auf die eingangs gewählten Beispiele übertragen, bedeutet das Folgendes:

Im Fall Kachelmann setzte sich die erkennende Kammer ausführlich mit der Hauptbelastungszeugin und ihrer Aussage auseinander. In diesem Zusammenhang muss man sich zunächst den Unterschied zwischen Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit vergegenwärtigen. Die Glaubwürdigkeit ist eine personale Eigenschaft der Auskunftsperson, während es bei der Glaubhaftigkeit um die konkreten Angaben geht, die die Auskunftsperson in ihrer Aussage gemacht hat (StRR 2009, 286).

Im Prozess wiesen Kachelmanns Verteidiger unter anderem auf Widersprüche in den Aussagen der Nebenklägerin hin. Die Frau hatte in ihrer ersten Vernehmung zum Teil falsche Angaben gemacht und diese erst später korrigiert. Auch die rechtsmedizinischen Gutachten ließen zum Teil den Schluss zu, dass sich die Frau ihre Verletzungen selbst zugefügt haben könnte. Im Fall Strauss-Kahn war Grund für die Einstellung des Verfahrens die massiven Zweifel der New Yorker Staatsanwaltschaft an der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin. So habe sich die Zeugin wiederholt in Widersprüche und Lügen verwickelt, die ihre Glaubwürdigkeit insgesamt stark erschüttert hätten. In beiden Fällen führten die Defizite der Hauptbelastungszeugen zur Entlastung der Angeklagten.

Demgemäß ist nach der Rechtsprechung die Frage nach der Glaubhaftigkeit von Angaben eines Zeugen in den Mittelpunkt zu stellen (BGHSt 45, 164). Bei der sich dann anschließenden Analyse des Aussageinhalts geht es dann nicht darum Lügen aufzudecken, sondern festzustellen, was dafür spricht, dass eine Auskunftsperson die (irrtumsfreie) Wahrheit berichtet hat (BGH NStZ 2000, 100).

Das führt zu der Frage, wie es sich erkennen lässt, dass eine Aussageperson die Unwahrheit sagt.

Grundsätzlich unterscheidet die Aussagenanalyse zwischen den sogenannten Realitätskriterien und den Warnsignalen, die zur Bewertung der Aussagen herangezogen werden. Je mehr Warnsignale in einer Aussage auftauchen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Auskunftsperson die Unwahrheit sagt. Umgekehrt der Fall, in dem die Realitätskriterien überwiegen und somit die Annahme einer (subjektiv) wahren Aussage nahelegen. Zum Abschluss der Aussagenanalyse bleibt noch zu klären, ob die geschilderte Erinnerung eventuell durch Irrtümer oder Wahrnehmungsfehler (z.B. Wiedererkennen trotz Dunkelheit) verfälscht sind.

Zunächst zu den Realitätskriterien. Realitätskriterien sind beispielsweise Detailreichtum, Originalität, Schilderungen von erlebten Gefühlen und Verflechtungen, Strukturgleichheit und insbesondere Konstanz (StRR 2009, 286). Der Erfinder einer Geschichte wird in der Regel nur das nötigste Vortragen, um sich später nicht in Widersprüchen zu verfangen. Aus diesem Grund fehlen derartige Details in einer erfunden Geschichte. Besonderes Augenmerk muss aber auf die Konstanz der Aussage gelegt werden. Das heißt, der Zeuge macht gegebenenfalls schon bei der Polizei mehrere unterschiedliche Aussagen zum gleichen Thema. Jedoch sprechen nicht konstante Aussagen nur dann gegen die Glaubhaftigkeit des Zeugen, wenn sie das Kerngeschehen betreffen. Abweichungen bei Nebensächlichkeiten wird man keine so hohe Relevanz zuschreiben können (OLG Stuttgart, Urt. v. 08.12.2005 – 4 WS 163/05)

Das wichtigste Warnsignal ist im Prinzip das Fehlen von Realitätskriterien, die der Zeuge unter normalen Umständen bekunden können müsste, wenn er die von ihm erzählte Geschichte tatsächlich erlebt haben will. Weitere wichtige Warnsignale sind bspw. übertrieben genaue Schilderungen, Abstraktheit oder Strukturbruch in der Aussage. Von einem Strukturbruch kann ausgegangen werden, wenn eine zuvor detailreich geschilderte Geschichte genau am relevanten Kern nicht mehr detailreich und ausschweifend geschildert werden kann.

In der Hauptverhandlung hat das erkennende Gericht die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild von dem Zeugen zu machen und die Aussage durch Fragen auf ihren Wahrheitsgehalt „abzuklopfen“. So besteht Klärungsbedarf, wenn der Zeuge verlegen oder überaus nervös ist, schwitzt, zittert oder Ähnliches. Wobei hier zu beachten ist, dass eine Gerichtsverhandlung auch für den redlichen Zeugen ein enormes Stresspotential birgt, da nur wenige Zeugen oft mit solchen Situationen konfrontiert werden. Bei der Vernehmung des Zeugen kann es dann sinnvoll sein, den Zeugen mit „offenen Fragen“ zu konfrontieren, d.h. solche Fragen, die nicht einfach mit ja oder nein beantwortet werden können. Aus den weiteren Erzählungen können sich dann Widersprüche ergeben, aus denen sich Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit der Aussage ziehen lassen.

Hält der Verteidiger im Gegensatz zu Staatsanwaltschaft und Gericht den Zeugen für untauglich, da nicht glaubwürdig, und die Aussage für nicht glaubhaft, kann er sich eines weiteren Instruments bedienen. In diesen Fällen kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens angezeigt sein. Es ist dann ein Beweisantrag auf Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage zu beantragen. Grundsätzlich – dies muss man sich immer vergegenwärtigen – gilt, dass die Beweiswürdigung, mithin auch die Prüfung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage, ureigenste Aufgabe des Tatrichters und psychologische Unterstützung nach obergerichtlicher Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen angezeigt ist. In dem Antrag muss also klar werden, warum das Gericht nicht selbst die erforderliche Sachkunde hat. Wenn das Gericht dem Antrag nachkommt, muss das Gutachten die wissenschaftlichen Anforderungen an ein Glaubhaftigkeitsgutachten erfüllen, die durch den BGH (BGHSt 45, 164) aufgestellt wurden.

III. Fazit

Die Problematik der Würdigung von Zeugenaussagen, wenn es „Aussage gegen Aussage“ steht, ist vielschichtig und muss mit besonderer Vorsicht angegangen werden. Oftmals finden sich solche Konstellationen im Bereich der sexuellen Gewalt wieder,  da hier das Opfer in der Regel auch den einzigen unmittelbaren Zeugen darstellt. Ein großer Fehler wäre es dann, den Abschluss des Verfahrens abzuwarten, um dann zu versuchen den Belastungszeugen in der Hauptverhandlung der Lüge oder des Irrtums zu überführen. Auch hier gilt, dass die Würfel bereits im Ermittlungsverfahren fallen. Durch eine Nachvernehmung der Kripo können sich beispielweise Widersprüche zu der originären Aussage ergeben. Eventuell ergeben sich neue Ermittlungsansätze für eigene Nachforschungen, die so noch nicht bekannt waren. Natürlich kann eine erneute Vernehmung auch Nachteile mit sich bringen, denn der Zeuge wird sich nun seinerseits besser auf die Hauptverhandlung einstellen und auf Widersprüche besser reagieren können.

Im Fall Kachelmann setzten die Prozessbeteiligten zur Klärung der aufgeworfenen Frage nach der Glaubwürdigkeit der Zeugin auf die Einschätzung von Sachverständigen. Insgesamt wurden zehn Gutachter zum Prozess geladen, die sich vor allem zu dieser Frage sowie zu den Verletzungen der Zeugin äußerten. Ein Beweisthema waren unter anderem die Lügen der Frau im Vorfeld des Prozesses sowie Erinnerungslücken bezüglich der angezeigten Vergewaltigung. Keiner der Gutachter konnte mit der erforderlichen Sicherheit bestätigen, dass sich die Aussage der Zeugin mit dem tatsächlichen Geschehen deckte. Das Ergebnis wurde eingangs schon vorweg genommen, Herr Kachelmann wurde freigesprochen. Ähnliches gilt für Strauss-Kahn, der bereits nach dem Vorverfahren wieder freigelassen wurde. Wenigstens musste er im Gegensatz zu Kachelmann keinen langwierigen Prozess führen, um seine Unschuld zu beweisen.

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