Prüfungsanfechtung - Ein Überblick

Mehr zum Thema: Verwaltungsrecht, Prüfungsanfechtung, Überdenkungsverfahren, Widerspruch, Staatsexamen, Abschlussnote
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Bei Nichtbestehen der Prüfung und schlechter Bewertung besteht Rechtsschutz für den Prüfling

Prüfungen begegnen einem das ganze Leben. Es ist dabei nicht zu leugnen, dass die persönliche und berufliche Entwicklung von den erzielten Noten entscheidend abhängt. So ist beispielsweise gerade für Juristen die Gesamtnote in den beiden Staatsexamina von enormer Bedeutung. Das Schlüsselwort lautet „Prädikatsexamen", das jeder angehende Jurist erreichen möchte.

Aber auch die Abschlussnoten anderer staatlicher Examina sind nicht unbedeutend für die berufliche Entwicklung der Examenskandidaten. Der Prozess der letztlich zur Notenbildung führt, ist jedoch nicht immer fehlerfrei. Gerade der Faktor Mensch ist – auf beiden Seiten – eine Fehlerquelle, so dass es sich immer lohnt dieses Verfahren nach den Ursachen für das Nichtbestehen oder das Nichterreichen einer bestimmten Note zu überprüfen. Denn weder der (Rechts-)Referendar ist davon frei Fehler zu begehen, noch sind es die jeweils handelnden Prüfer.

Die Erhebung von Studienbeiträgen, die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen und die Verkürzung der Regel-Studienzeiten führen zu einem enormen Zeit- und Leistungsdruck, der die Studierenden dazu zwingt in möglichst kurzer Zeit viele mündliche und schriftliche Prüfungen zu bestehen und dabei noch ein überdurchschnittliches Ergebnis zu erzielen, um im nationalen und internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Dies führt nicht nur im juristischen Bereich zu hohen Durchfallquoten.

Als eifriger Prüfungskandidat bereitet man sich daher unzählige Wochen, Monate, gar Jahre auf eine entscheidende universitäre oder staatliche (Abschluss-)Prüfung vor und wird am Ende mit einer Note belohnt, die die erbrachte Leistung nicht genügend widerspiegelt. Im schlimmsten Fall wird die Prüfung mit "nicht bestanden" bewertet. Somit scheint der angestrebte Berufswunsch in weiter Ferne zu rücken, wenn entscheidende Prüfungen nicht bestanden werden oder die erzielte Note nicht zum gewünschten Erfolg führt. Der Prüfungskandidat steht dann vor der schwierigen Frage, ob ein Vorgehen gegen die Prüfungsentscheidung mittels einer Prüfungsanfechtung sinnvoll ist.

Dabei ist anzumerken, dass jeder Prüfungskandidat bei berufsbezogenen Prüfungen einen verfassungsrechtlich garantierten Schutz auf fehlerfreie Ermittlung und Bewertung seiner Leistungen hat. Die Entscheidungen der jeweiligen Prüfungsbehörde haben sich bei berufsbezogenen Prüfungen an die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) und dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) auszurichten und messen zu lassen. Dies ist somit ein verfassungsrechtlich verankerter Schutz, den viele Prüfungskandidaten oftmals unterschätzen.

Die oftmals verbreitete Meinung, Noten müssten hingenommen werden, führen im Ergebnis dazu, dass mitunter rechtswidrige Prüfungsergebnisse bekannt gemacht werden ohne dass diese jemals auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Denn ebenso, wie es Recht und Pflicht der eingesetzten Prüfer ist, Fehler der Prüflinge aufzuspüren, haben die Prüflinge auch das Recht, ebensolche der Prüfer aufzudecken.

Der nachfolgende Leitfaden gibt einen Überblick über das rechtliche Instrument der Prüfungsanfechtung.

I. Die Bekanntgabe der Note

Die Bekanntgabe der Abschlussnoten der Staatsexamina ist ein Verwaltungsakt, der einer rechtlichen Kontrolle und gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Daher besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen und notfalls Klage zu erheben. Aber auch gegen die Ergebnisse in Teilprüfungen kann vorgegangen werden. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die eigentliche Abschlussprüfung (Staatsexamina, Diplomprüfungen, Bachelorprüfungen und Masterprüfungen) Gegenstand von Verfahren. Auch vorgeschaltete Prüfungen im Rahmen des Grund- und/oder Hauptstudiums, innerhalb von Praktika, Seminaren, Klausuren und Zwischenprüfungen, aber auch Promotion, Dissertation und Habilitation können überprüft werden.

1. Überdenkungsverfahren

Grundsätzlich ist gegen die Bekanntgabe der (Gesamt)Note Widerspruch einzulegen. Sobald der Widerspruch fristgerecht und schriftlich gegen das Prüfungsergebnis eingelegt worden ist, beginnt nicht das eigentliche Widerspruchsverfahren, sondern das im Prüfungsrecht besondere Überdenkungsverfahren. Dieses ist ein unselbständiger Teil des Widerspruchsverfahrens, der dazu dient, die Prüfer (Votanten) erneut mit ihren Stellungnahmen und den Einwendungen des Prüflings zu befassen. Das Überdenkungsverfahren kann im Idealfall dazu führen, dass die Votanten die gewünschte (höhere) Note vergeben, wenn es die entsprechende Argumentation des Prüflings als zwingend erscheinen lässt. An dieser Stelle des Verfahrens sind Erfahrung und vor allem viel Fingerspitzengefühl und die richtige Wortwahl gefordert. Nicht jeder Votant ist geneigt seine eigenen Fehler einzugestehen. Aber nicht nur eigene Fehler, sondern vor allem die Hervorhebung der Stärken der jeweiligen Klausur sollte stets im Vordergrund des Überdenkungsverfahrens stehen. Die Relativierung der Schwächen und die Betonung der Stärken der Leistung des Prüflings ist entscheidend, um die Votanten von einem Abrücken ihres ursprünglichen Votums zu überzeugen. Diese Möglichkeit außerhalb des Widerspruchsverfahrens sollte unbedingt genutzt und nicht unterschätzt werden.

2. Widerspruchsverfahren und Klage

Bleibt das Überdenkungsverfahren erfolglos und wird das Verfahren nicht vom Widerspruchsführer für erledigt erklärt, so prüft das Prüfungsamt nun selbst die vom Widerspruchsführer vorgetragenen Einwendungen. Kommt es zu dem Ergebnis, dass diese berechtigt sind, so erfolgt eine Neubewertung. Bleibt eine positive Entscheidung des Prüfungsamtes aus, wird der Widerspruchsführer mit einem negativen Widerspruchsbescheid beschieden, der es ihm nunmehr ermöglicht die Klausuren gerichtlich auf Bewertungs- und/oder Verfahrensmängel überprüfen zu lassen. Im Prüfungsrecht gilt es zwischen Verfahrensfehlers- und Bewertungsfehler zu unterscheiden. Hierbei ist zu beachten, dass Verfahrensfehler voll gerichtlich überprüfbar sind, wohingegen den Prüfern bei der inhaltlichen Bewertung ein zumindest teilweise gerichtsfreier Beurteilungsspielraum zusteht[1].

3. Verfahrensfehler

Verfahrensmängel können sich auf den äußeren oder den inneren Rahmen des Prüfungsverfahrens beziehen. Zu den äußeren Bedingungen zählt u.a. die Beeinträchtigung durch Lärm, Hitze oder Kälte. Innere Verfahrensfehler sind Umstände, die das Verfahren der Ermittlung und Bewertung der Prüfungsleistung betreffen. Dazu zählen u.a. die sog. "Prüfermängel" wie fehlende fachliche Qualifikation, fehlende Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit, Befangenheit. Aber auch gesundheitliche Mängel des Prüflings zählen dazu. Im Unterschied zu den Bewertungsmängeln trifft den Prüfling bei den äußeren Verfahrensfehlern grundsätzlich eine unverzügliche Rügeobliegenheit. Unterlässt er dies, indem er bspw. die Prüfungskommission nicht auf den Baulärm aufmerksam und dies protokollieren lässt, so ist eine nachträgliche Rüge dieses äußeren Verfahrensfehlers aussichtslos. Unterlässt der Prüfling also eine ihm zumutbare zeitnahe Rüge eines Fehlers des Prüfungsverfahrens, so ist ihm die spätere Berufung auf die Beachtlichkeit dieses Fehlers verwehrt.[2]

a) Rügeobliegenheit

Die Rügeobliegenheit wird oftmals von den Prüfungskandidaten nicht wahrgenommen. Die Lektüre der jeweils gültigen Prüfungsordnung ist daher vor Antritt einer Prüfung, ob nun schriftlich oder mündlich, unerlässlich. Die dort verankerten Normen werden oftmals unterschätzt. Enthalten aber u.a. wichtige Mitwirkungspflichten des Prüflings, insbesondere die Rügepflicht. Wird ein Verfahrensfehler nicht gerügt, kann das Prüfungsamt zwar von Amts wegen tätig werden, allerdings hat der betroffene Prüfling keinen Anspruch darauf, mithin ist dieser auch nicht einklagbar. Die Rügeobliegenheit besteht auch unabhängig davon, ob und welche Maßnahmen zur Abhilfe oder Ausgleichung getroffen worden sind.[3]

aa. Anforderungen an die Rüge

Die Anforderungen an eine Rüge seitens des Prüflings werden restriktiv gehandhabt. Die Anzeige während einer Prüfung reicht grundsätzlich nicht aus. Der gerügte Verfahrensfehler muss auch schriftlich gegenüber dem jeweiligen Prüfungsamt gerügt werden und einen Antrag enthalten, die betroffene Prüfung wiederholen zu dürfen.

bb. Rügefrist

Grundsätzlich ist die Rüge unverzüglich zu erheben.[4]Dabei kommt es auf den Charakter der Störung oder des sonstigen Verfahrensmangels an. Die Rüge ist ferner dann nicht rechtzeitig, wenn eine Ausschlussfrist nicht eingehalten worden ist (vgl. § 12 JAPO). Wird diese gesetzliche Ausschlussfrist versäumt und liegt eine unverschuldete Unkenntnis oder Versäumnis vor, ist eine Wiedereinsetzung gem. § 32 VwVfG nicht möglich.[5]

b) Weitere Verfahrensfehler

Weitere typische Verfahrensfehler sind beispielsweise unzumutbare Temperaturen im Prüfungsraum oder Störungen durch (Bau)Lärm. Dazu ist die Dauer der Prüfung ebenfalls ein wesentliches Verfahrenselement und ist deshalb genau einzuhalten. Die Unter- oder Überschreitung als Verfahrensmangel muss jedoch erheblich für das Prüfungsergebnis sein.

Als angreifbarer Verfahrensfehler gilt auch die Prüfungsunfähigkeit des Prüflings. Nicht nur der Prüfling muss bei Antritt seiner Prüfung prüfungsfähig sein, sondern auch der Prüfer muss außer seiner fachlichen Qualifikation selbstverständlich die allgemeine persönliche Qualifikation besitzen, um die ihm gestellten Aufgaben bewältigen zu können. Dazu zählt u.a., dass er vollständig und persönlich die Kenntnisnahme von der Prüfungsleistung erhält.

Ein weiterer Verfahrensmangel liegt auch in der Überschreitung des Prüfungsstoffs, d.h. dass dieser unzulässig bzw. ungeeignet ist. Nicht höchstrichterlich geklärt ist jedoch die Frage, ob dieser Mangel ein Verfahrensfehler ist oder ob es sich hierbei um einen Bewertungsfehler handelt.[6] Die Unterscheidung ist für den Prüfling wesentlich, da nur – wie bereits ausgeführt – bei einem Verfahrensfehler der Prüfling diesen Fehler rügen muss.

c)Mündliche Prüfung

Oftmals stellt sich Prüfungs- oder Examenskandidaten die Frage, ob man auch mündliche Prüfungen anfechten kann. Der Prüfling fühlt sich den Prüfern unmittelbar ausgeliefert. Zudem bekommt der Prüfling unmittelbar im Anschluss der mündlichen Prüfung kein Protokoll über die gestellten Fragen und von ihm gegebenen Antworten. Deshalb gilt die mündliche Prüfung als am schwierigsten anfechtbar. Dieses Vorurteil kann aber relativiert werden. Der Prüfling hat einen Anspruch auf ein faires Verfahren, insbesondere der Prüfungsstil, der Ablauf des Prüfungsverfahrens und die Prüfungsatmosphäre müssen so ausgestaltet sein, dass der Prüfling in seiner Leistungsfähigkeit nicht wesentlich beeinträchtigt wird.[7]

Macht der Prüfling beispielsweise geltend, dass der Korrektor befangen war, müssen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Prüfer die Prüfungsleistung nicht mit der inneren Distanz und frei von Emotionen zur Kenntnis genommen hat. Dies ergibt sich aus der Gesamtbetrachtung der besonderen Umstände des Einzelfalles zwischen dem Prüfer und dem Prüfling. Denn ist die vom Prüfling gerügte Bewertung einer Prüfungsaufgabe fehlerhaft und hat dieser Fehler Einfluss auf das Prüfungsergebnis, so führt dies zur Aufhebung des Bescheides über die Prüfungsendnote und zur Verpflichtung der Prüfungsbehörde, das Prüfungsverfahren durch Neubewertung der betreffenden Aufgabe fortzusetzen.[8]

Sollten sich Anhaltspunkte, beispielsweise die Befangenheit eines Prüfers, für den nicht ordnungsgemäßen Ablauf einer mündlichen Prüfung ergeben, empfiehlt es sich diese Unregelmäßigkeiten im Anschluss an die mündliche Prüfung protokollieren zu lassen. Zusätzlich sollte der Prüfling unmittelbar nach der mündlichen Prüfung ein Gedächtnisprotokoll anfertigen, um so die Chancen der Beweisführung im Widerspruchs- bzw. Gerichtsverfahren zu verbessern. Auch bietet es sich an ggf. Freunde in den Zuhörerreihen zu haben, soweit dies zugelassen ist.

Ein Verstoß gegen das Recht des Prüflings auf ein faires und sachliches Verfahren macht eine Wiederholung der Prüfung für erforderlich. Werden diese Punkte beachtet, kann auch eine mündliche Prüfung bei Unregelmäßigkeiten im Ablauf mit Erfolg angefochten werden. Zu beachten ist jedoch, dass der Grundsatz der Chancengleichheit nicht dafür sorgen kann, dass für den Prüfungskandidaten eine Prüfungssituation geschaffen wird, die seinen persönlichen Verhältnissen am besten entspricht.

4. Bewertungsfehler

Bei den Bewertungsfehlern gilt es zwischen fachspezifischen und prüfungsspezifischen Bewertungen zu unterscheiden.

a) Prüfungsspezifische Bewertungen

Bei den prüfungsspezifischen Fragen, die im Beurteilungsspielraum des Prüfers liegen uns deshalb gerichtlich auch nur in eingeschränktem Maß angegriffen werden können, zählen insbesondere die Auswahl der Prüfungsaufgabe, die Gewichtung des Schwierigkeitsgrades einzelner Prüfungsaufgabe, die konkrete Gestaltung der Prüfung oder auch die Gewichtung eines Fehlers. Das Gericht kann seine eigene Bewertung nicht an die Stelle der Bewertung des Prüfers setzen, sondern nur die Bewertung des Korrektors auf Fehler untersuchen (s. § 114 S. 1 VwGO).

Der Beurteilungsspielraum ist aber nicht schrankenlos gewährleistet und dem Rechtsschutz entzogen. Daher muss der Prüfer seine Bewertung nachvollziehbar begründen. In der Praxis zeigt sich oftmals, dass die Begründungen mitunter sehr marginal ausfallen. Dies mag teilweise Kalkül sein, denn dadurch macht sich der Prüfer umso weniger angreifbar, je weniger er seiner (nachvollziehbaren) Begründungspflicht nachkommt.

Insbesondere den Zweitkorrektor trifft auch diese Begründungspflicht. Zwar kann sich dieser auch mit einem „Einverstanden" der Bewertung des Erstvotanten anschließen,[9] er hat aber unter gewissen Umständen eine gesteigerte Begründungspflicht. Diese ergibt sich dann, wenn der Zweitvotant von der Bewertung des Erstvotanten abweicht und vor allen dann, wenn sein Votum über das Bestehen der Klausur entscheidet[10].

b) Fachspezifische Bewertungen

Fachwissenschaftliche Fragen unterliegen einer vollständigen Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte.[11]Die Frage nach ihrer Vertretbarkeit lässt sich grundsätzlich mit „Ja" oder „Nein" beantworten und ist insofern unabhängig von der Person des Prüfers. Dies gilt fächerübergreifend und nicht nur für den juristischen Bereich. Zutreffende Antworten und vertretbare Lösungen dürfen daher nicht als falsch und/oder unvertretbar bewertet werden. Hinsichtlich solcher Fragen besitzt der Prüfling einen so genannten „Antwortspielraum", das heißt, wenn er eine Lösung präsentiert, die vertretbar ist und mit gewichtigen Argumenten methodisch sauber begründet wird, darf diese nicht als falsch bewertet werden. So hatte beispielsweise ein Votant moniert, dass innerhalb einer erschöpfenden Ausführung des Prüflings das in der Lösung vorkommende Schlagwort nicht niedergeschrieben worden ist. Das Gericht hielt die Klage des Prüflings gegen die Kritik für gerechtfertigt.[12]

Ferner haben die Votanten das Willkür- und Sachlichkeitsgebot zu beachten. Willkürlich bewertet ein Prüfer beispielsweise, wenn er die äußere Form einer Prüfungsleistung überbewertet und nur aus diesem Grund die Prüfungsleistung als "mangelhaft" einstuft. Sachfremde Erwägungen liegen z.B. vor, wenn religiöse oder parteipolitische Gesichtspunkte in die Bewertung einfließen. Nicht sachfremd ist es hingegen, bei juristischen Prüfungen, die eine etwaige Übernahme in den Staatsdienst nach sich ziehen, die Beherrschung der deutschen Sprache in die Prüfungsbewertung einfließen zu lassen.[13]

5. Verböserungsverbot

Zwar hat die höchstrichterliche Rechtsprechung noch keine abschließende Entscheidung getroffen. Trotzdem kann man der weitverbreiteten Angst vor einer Verböserung im Falle einer Prüfungsanfechtung eine klare Abfuhr erteilen. Aus meiner bisherigen Berufspraxis sowie dem Erfahrungsaustausch mit Kollegen ist mir bislang kein Fall einer Verböserung bekannt. Die Neubewertung der Prüfungsleistung darf nicht zu einer Herabsetzung der erzielten Note führen. Aus dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit ist daher davon auszugehen, dass von der Möglichkeit der "Verböserung" nur in absoluten Ausnahmefällen Gebrauch gemacht wird. Daher birgt die Prüfungsanfechtung keine Risiken, sondern eher Chancen.

6. Ablauf des Verfahrens

Grundsätzlich bekommt der Examenskandidat die Bekanntgabe über das Bestehen oder Nichtbestehen seiner Prüfung schriftlich mitgeteilt. Dieser Bescheid enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach dem Prüfling ein Monat Zeit bleibt einen Widerspruch gegen die Entscheidung des JPA einzulegen. Bei Widerspruchseinlegung hat der Prüfling oder sein Anwalt das Recht auf Akteneinsicht. Im ersten juristischen Staatsexamen vor dem JPA bei einem OLG erfolgt die Einsichtnahme in den Räumen des JPA nach Absprache eines Termins mit der Geschäftsstelle. Bei der Akteneinsicht ist es gestattet, Notizen bzgl. der Aufgabenstellung, der Bearbeitung und der Voten anzufertigen, die Verwendung eines mitzubringenden Fotokopiergerätes bzw. ähnlicher technischer Hilfsmittel wird gestattet. Die Akteneinsicht ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausgestaltet.

Bei einer Remonstration sollte die Begründung nachvollziehbar und immer konkret auf das Votum bezogen sein. Daneben sollte zudem immer der Ton gewahrt werden. Nichts ist schlimmer, als den Professor und/oder seine wissenschaftliche Mitarbeiter zu verärgern. Schließlich möchte der Prüfling auch zukünftig ein gutes Verhältnis zu dem jeweiligen Lehrstuhl haben.

7. Kosten einer Prüfungsanfechtung

Grundsätzlich richten sich die Kosten einer Beauftragung nach den Bestimmungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Prüfungsanfechtungen sind aber i.d.R. mit einem erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden, so dass in den meisten Fällen eine Honorarvereinbarung mit den Mandanten getroffen wird. Diese kann – je nach Begründungsaufwand – unterschiedlich gestaltet werden. Natürlich besteht auch die Möglichkeit einer Ratenzahlungsvereinbarung. Die Kosten hängen dann wiederum davon ab, ob das Widerspruchsverfahren erfolgreich war oder Kosten aus einem etwaigen Verwaltungsprozess hinzukommen.

Ob eine Rechtsschutzversicherung die Kosten der Prüfungsanfechtung übernimmt, hängt davon ab, zu welchen Bedingungen der Vertrag abgeschlossen wurde. Verwaltungsrechtliche Streitigkeiten – so auch das Prüfungsrecht - sind üblicherweise nicht mitversichert. Dabei ist noch zu beachten, dass die Kosten eines erfolglosen Widerspruchsverfahrens grundsätzlich nicht übernommen werden. Dieses Risiko ist erst bei neueren Verträgen mit abgedeckt.

8. Erfolgsaussichten

Dies hängt vom jeweiligen Einzelfall und von weiteren Faktoren ab. In der Regel sind Prüfungsanfechtungen, die sich auf Verfahrensfehler berufen, erfolgversprechender. Bei Prüfungsanfechtungen wegen eines Bewertungsfehlers sind die Erfolgsaussichten geringer. Aber auch im Rahmen von Bewertungsfehlern besteht durch das sog. „Überdenkungsverfahren" die Möglichkeit die positiven Aspekte der Prüfungsarbeit herauszustellen und die negativen Aspekte zu relativieren.

Ziel einer Widerspruchsbegründung ist es daher den Prüfer durch die richtige Wortwahl und dem Vorbringen von gewichtigen Argumenten zu einer Änderung seiner Bewertung zu überzeugen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass es einfacher ist, Verfahrensfehler als Bewertungsfehler erfolgreich geltend zu machen. Dabei haben wir nicht nur Juristen als Mandanten, sondern auch Mandanten aus anderen universitären Fachbereichen. Die Erfolgschancen einer reinen Notenverbesserung sind erfahrungsgemäß komplizierter. Die Prüfer sind in dieser Anfechtungssituation schwieriger von einer Anhebung ihrer Bewertungen zu überzeugen. Hier gilt, dass die Chancen eines erfolgreichen Widerspruchsverfahrens umso größer sind, je weniger Punkte für die Erreichung des gewünschten Notenziels fehlen.

9. Anwaltliche Vertretung

Die Erfahrungen mit Mandanten haben gezeigt, dass diese oftmals durch die Prüfungsentscheidung emotional befangen und enttäuscht sind. Durch diese emotionale Befangenheit ist es praktisch unmöglich eine substantiierte und vor allem objektive Begründung des Widerspruchs zu fertigen. Da das Rechtsinstrument der Prüfungsanfechtung viel Fingerspitzengefühl und vor allem die richtige Wortwahl erfordert, sollte daher ein Rechtsanwalt beauftragt werden. Dieser hat neben der fachlichen Qualifikation den nötigen Abstand zu der bewerteten Prüfungsleistung und kann neutral darüber urteilen.

II. Zusammenfassung

Der Prüfling hat nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte, die er auch wahrnehmen sollte. Die staatlichen und universitären Prüfungen entscheiden über das berufliche Fortkommen. Daher haben sich alle Prüfungsentscheidungen an Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) und Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) zu messen. Es ist daher empfehlenswert grundsätzlich Akteneinsicht zu beantragen, um etwaige Verfahrens- und/oder Bewertungsfehler selbst oder durch einen Anwalt aufzuspüren.



[1] vgl. BVerfG, NJW 1991, 2005 und NJW 1991, 2008

[2] OVG Saarl., Urt. v. 12.01.2010 – 3 A 450/08

[3] OVG Münster, Beschl. v. 09.10.2008 – 14 A 3388/07

[4] vgl. Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Auflage, Rn. 218f.

[5] BVerwG, Urt. v. 06.02.1986 – 3 C 42.85

[6] VGH Kassel, Urt. v. 29.04.2010 – 8 A 3247/09; für Verfahrensfehler OVG Münster, Beschl. v. 10.09.2010 – 14 B 1009/09

[7] BVerwG, Urt. v. 11.11.1998 – 6 C 8.97; BayVGH, Beschl. v. 21.12.2009 – 7 ZB 09.1963

[8] vgl. BVerwG Urt. v. 16.03.1994 - 6 C 5/93

[9] vgl. Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl., Rn. 634

[10] VG Ansbach, Urt. v. 23.03.2000 – AN 2 K 99.82; VG Schwerin, Beschl. v. 17.11.2000 – 7 B 859/00

[11] BVerfG, Beschl. v. 21.12.2009 – 1 BvR 812/09

[12] OVG Koblenz, Urt. v. 27.03.2009 – 10 A 11116/08

[13] BVerwG, Beschl. V. 1.8.1983 – 7 B 97.83