Recht auf Nachtruhe

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Bundesverwaltungsgericht: Kein vermeidbarer Verkehrslärm in der Kernzeit der Nacht

Weichenstellung für Nachtflugverbote auf allen anderen deutschen Flughäfen

Kommentar von Rechtsanwalt Matthias Möller-Meinecke zum BVG-Urteil zum Flughafen Leipzig/Halle

Erstmals wird ein „Recht auf Nachtruhe" gegenüber Fluglärm im Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 9. November 2006 zum Flughafen Leipzig/Halle betont. Dies ist ein wichtiger Meilenstein für den Schutz der Gesundheit der Millionen von Anwohnern deutscher Flughäfen, die durch Lärm im Schlaf gestört werden. Damit ebnet das Bundesverwaltungsgericht den Weg für ein zu beantragendes Nachtflugverbot auf zahlreichen Flughäfen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen aufgehoben, soweit darin in der Nachtzeit (22:00 Uhr bis 06:00 Uhr) auch solche Flüge unbeschränkt zugelassen wurden, die nicht dem Frachtexpressverkehr, sondern z.B. dem Passagierverkehr dienen. Hierüber muss die Planfeststellungsbehörde eine erneute Entscheidung unter Beachtung des hohen Wertes der Nachtruhe treffen.

Hieraus lässt sich die Erwartung ableiten, dass der Nachtschlaf der Anwohner auch der anderen deutschen Flughäfen rechtlich einen stärkeren Schutz bedarf und aus Anlass von Ausbauentscheidungen ein Nachtflugverbot sich aufdrängt.

Der Planfeststellungsbeschluss gibt der Trägerin des Vorhabens, der Flughafen Leipzig/Halle GmbH, Baurecht für die Verlängerung der im Jahr 1959 angelegten Start- und Landebahn Süd und deren Drehung um 20 Grad, damit die Bahn parallel zu der in den neunziger Jahren errichteten Start- und Landebahn Nord verläuft. Dadurch wird ein gleichzeitiger Flugbetrieb auf beiden Bahnen möglich. Ein solches Parallelbahnsystem und das Recht auf einen uneingeschränkten Nachtflugbetrieb werden vom Bundesverwaltungsgericht als notwendig angesehen, um das mit der Planung in Leipzig angestrebte Ziel, ein internationales Drehkreuz für den Frachtexpressverkehr einzurichten, erreichen zu können. Mit diesen beiden Voraussetzungen soll gewährleistet werden, dass eiliges Frachtgut am Tag nach der Einlieferung an seinem Bestimmungsort in Deutschland oder im europäischen Ausland ausgeliefert werden kann ("Nachtsprung"). Die hierfür erforderlichen Anflüge finden vorwiegend zwischen 00:00 Uhr und 01:30 Uhr, die Abflüge zwischen 04:00 Uhr und 05:30 Uhr statt; in den Spitzenstunden werden bis zu 50 Frachtmaschinen landen oder wieder starten. Um die Anwohner des Flughafens vor dem zu erwartenden intensiven nächtlichen Fluglärm zu schützen und ihnen die Nachtruhe zu erhalten, hat die Planfeststellungsbehörde den Betreiber verpflichtet, für Schallschutzvorrichtungen mit Belüftungseinrichtungen Sorge zu tragen (so genannter passiver Lärmschutz).

Nachdem es das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluss vom 19. Mai 2005 ab-gelehnt hatte, im Wege einstweiligen Rechtsschutzes den Beginn der Bauarbeiten vorläufig zu untersagen, hat die DHL, einer der großen weltweit operierenden Frachtdienstleister, entsprechend ihrer vorherigen Ankündigung damit begonnen, ihr bisher in Brüssel gelegenes europäisches Zentrum auf dem Flughafen Leipzig/Halle zu errichten.

Den Hauptantrag der Kläger, den Planfeststellungsbeschluss vom 4. November 2004 insgesamt aufzuheben, hat das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung abgewiesen, dass sowohl das Planungsziel, ein internationales Drehkreuz für den Frachtexpressdienst zu schaffen, als auch der beabsichtigte Ausbau zu einem Parallelbahnsystem rechtlich nicht zu beanstanden seien. Mit dem Vorhaben würden öffentliche Interessen verfolgt, die es rechtfertigten, den Anwohnern des Flughafens die mit einem nächtlichen Frachtflugverkehr verbundenen erheblichen Lärmbelastungen grundsätzlich zuzumuten. Für das Frachtdrehkreuz bestehe ein luftrechtliches Verkehrsbedürfnis; außerdem lägen auch die zu erwartenden Sekundäreffekte wie die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur im öffentlichen Interesse.

Als Konsequenz dieser Abwägung zwischen Verkehrsbedarf und Nachtruhe dürfte nächtlicher Frachtflugverkehr auf anderen deutschen Flughäfen nicht mehr genehmigungsfähig sein. Denn der Flughafen Leipzig ist über Schiene und Straße aus den deutschen Wirtschaftszentren in einer zumutbaren Zeit erreichbar. Diese Bedingungen will die Bahn durch Frachtexpreßzüge aus dem Rhein-Main-Gebiet nach Leipzig noch verbessern und solche Expreßanbindungen drängen sich auch aus den Wirt-schaftszentren an Rhein, Ruhr, Niedersachsen, Nordhessen, Stuttgart und München auf. Nachtflugfenster an anderen Flughäfen, die der Bündelung am neuen Luftfracht-zentrum Leipzig nur Verkehr streitig machen wollen, werden aller Voraussicht nach an dem vom Gericht betonten hohen Gewicht des Schutzes des Nachtschlafes scheitern.

Die von den Klägern hilfsweise gestellten Anträge auf verbesserten Lärmschutz hat-ten teilweise Erfolg. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht die angeordneten Maßnahmen des passiven Lärmschutzes unbeanstandet gelassen. Das auf Forschungen des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beruhende Schutzkonzept des Planfeststellungsbeschlusses gewähre – so das Gericht – mehr Schutz als bislang übliche Konzepte. Die Planfeststellungsbehörde sei aber fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Anordnung passiven Schallschutzes ausreiche, um den vom Luftverkehrsgesetz vorgeschriebenen besonderen Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem nächtlichem Fluglärm Rechnung zu tragen. Gerade weil den Anwohnern des Flughafens durch die nächtlichen Frachtflüge im öffentlichen Interesse eine erhebliche Lärmbelästigung zugemutet werde, habe Anlass bestanden zu prüfen, ob wenigstens der sonstige, nicht zwingend auf die Nachtstunden angewiesene Flugbetrieb (Passagierverkehr und nicht eilige Frachtflüge) unterbleiben müsse. Insbesondere in der so genannten Kernzeit der Nacht (00:00 Uhr bis 05:00 Uhr) seien derartige Flüge nur unter besonderen Voraus-setzungen zulässig. Das Regierungspräsidium wird nunmehr die unterbliebene Prüfung anstellen und dabei die vom Gericht vorgegebenen Maßstäbe beachten müssen.

Der Flughafen Leipzig/Halle kann damit zu einem internationalen Drehkreuz für den auch zur Nachtzeit abgewickelten Frachtexpressverkehr ausgebaut werden.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist unter zwei Aspekten bemerkenswert: Erstens ist der Gesetzgeber des Fluglärmschutzgesetzes eingeladen, im Gesetz ein Nachtflugverbot zu regeln und aufgefordert, das auf Forschungen des Institutes für Luft- und Raumfahrtmedizin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beruhende Konzept zum Schutz gegen nächtliches Aufwachen durch Fluglärm zu übernehmen und damit die Grenzwerte erheblich zu senken.

Zweitens ist in den laufenden zahlreichen Ausbauverfahren für andere deutsche Flughäfen das Gewicht des Schutzes der Nachtruhe gestärkt. Aus dem Urteil kann die Forderung nach einem Nachtflugverbot abgeleitet werden; dessen Reichweite ist in Abwägung mit den nun sehr streng auf ihre Notwendigkeit zu prüfenden Verkehrswünsche zu bestimmen.

BVerwG 4 A 2001.06 – Urteil vom 9. November 2006

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