Teeren und federn

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Früher wurden Betrüger geteert und gefedert aus der Stadt gejagt. Heute haben wir Vertragsfreiheit und eine lasche Justiz.

Sie sind Gewerbetreibender. Es klingelt. Der Mann an der Tür sieht aus wie ein Amtsträger und stellt sich vor: "Abteilung Eintragung / Registrierung". Dann informiert er Sie über einen Brancheneintrag für Ihre Firma. Sie tragen sich breitwillig ein und erfahren später, dass der Mann weder als Amtsträger noch für ein behördliches Verzeichnis gehandelt hat. Stattdessen haben Sie jetzt zwei Jahre lang einen Eintrag auf einer Webseite im Nirvana des Internets am Hacken - für schlappe 569,06 Euro pro Jahr.

Der Preis stand irgendwo im Kleingedruckten.

Betrug, oder? In vergangenen Zeiten hätte man die Verantwortlichen geteert und gefedert aus der Stadt gejagt. Heute aber haben wir einen Rechtsstaat und Vertragsfreiheit. Und Vertragsfreiheit heißt übersetzt: Solche Abzocken kommen halt vor.

Viele Firmen und Gewerbetreibende kennen sie: dubiose Anschreiben von "Auskunftzentralen", die eine Eintragung der Firmendaten in eine Datenbank versprechen. Gerne in den Ferienzeiten, oft kurz vor Weihnachten. Die Anschreiben sind in Aufmachung und Wortwahl behördlichen Schreiben zum Verwechseln ähnlich. "Erfassung gewerblicher Einträge". Andere sehen aus wie von der Telekom, oder von der Post. Sie gaukeln vor, kostenlos zu sein und verstecken die Kostenpflicht in irgendwelchen Klauseln.

Es gibt genug Opfer, die auf solche Schreiben reinfallen und dann auch noch die unfassbar horrenden Summen zahlen. Es ist ihnen peinlich, in die Falle gegangen zu sein, also schnell zahlen und Kopf in den Sand. Oder sie lassen sich von den Mahnungen und Drohgebärden der Firmen einschüchtern. Irgendein Gerichtsurteil eines verirrten Gerichts gibt es immer, das die Betrüger als Blankocheck für ihre Geschäftspraktiken anführen.

Jüngst gab es mal wieder solch ein grottiges Urteil, verkündet vom Landgericht Düsseldorf (Az.: 23 S 316/12). Die Urteilsbegründung verdient es nicht mal, dass man sie zerflückt. Doch wie viele Opfer werden jetzt aufgrund dieses richterlichen Unsinns fälschlicherweise in die Knie gehen und die 569,06 Euro zähneknirschend zahlen?

Vertragsfreiheit. Unsere Wirtschaft ist leider wie der Wilde Westen, in dem Revolverhelden die Justiz lächerlich machen. Natürlich geht immer mal jemand wettbewerbsrechtlich gegen eine der Abzockfirmen vor. Und ja, es gibt tatsächlich auch Urteile gegen solche Methoden und täuschende Werbeanschreiben. Das Wettbewerbsrecht kümmert unsere Revolverhelden aber nicht. Sie ändern ihr Anschreiben leicht, ergänzen dort ein Wort, rücken die kleine Klausel mit dem Wucherpreis etwas höher - schon geht es weiter.

Fakt bleibt, dass die Opfer getäuscht werden und Geld überweisen sollen. Sheriffs und Gerichte halten das anscheinend nicht für Betrug. Warum eigentlich nicht? Und wo wir schon dabei sind: Warum sind Wucherpreise, überhöhte Inkassogebühren und angeführte Rechnungspositionen von Inkassofirmen, die niemals einer gerichtlichen Überprüfung stand halten würden, genausowenig Betrug? Die Inkassofirmen wissen genau, was sie einklagen könnten und was nicht. Ist das keine Täuschung?

Warum sind missbräuchliche Abmahnungen, wissentlich überzogene Streitwerte und Gebühren kein Straftatbestand? Das Oberlandesgericht Köln musste sich dieses Jahr mit der Frage befassen, ob eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung Betrug im Sinne des Strafgesetzbuches ist (Az. III-1-RVs67/13). Ein Online Shop hatte sich mit einem Anwalt zusammengetan und lustig 190 Konkurrenten abgemahnt. Mit nicht haltbaren Vorwürfen, total überzogenen Streitwerten und Gebühren.

Betrug, oder? Finden die Kölner Richter nicht. Insbesondere vermissen sie die "Täuschungshandlung": Jeder, der eine Abmahnung von einem Abmahnanwalt bekommt, müsse diese kritisch hinterfragen, bitteschön. Keinen Anspruch zu haben, es aber trotzdem zu versuchen, das ist kein Betrug.

Das ist doch lächerlich. Was aussieht wie Betrug, riecht und schmeckt wie Betrug, das ist auch Betrug. Wann genau wurden unsere Richter eigentlich enteiert und ohne Mumm in der Butz auf den Richterstuhl gelassen?

In unserer Welt der Vertragsfreiheit herrscht Wild-West-Manier, in der es jeder ja mal versuchen kann. Allerdings wurde damals, wenn der Sheriff mal wieder weggekuckt hat, zur Selbstjustiz gegriffen: teeren, federn und aus der Stadt jagen.

Heute gibt es stattdessen Kopf in den Sand oder Shitstorms.

Irgendwie nicht dasselbe.

Leserkommentare
von Rechtsanwalt Christoph M. Huppertz am 05.09.2013 11:41:01# 1
WEDER TEEREN NOCH FEDERN, SONDERN VERKLAGEN

Meine Meinung zu diesem Artikel: Genau diese allgemeine Weltschmerz- und Nörgelmentalität macht es Abzockern leicht. Wehklagen und Schreien nach den Strafverfolgungsbehörden...

… ist der falsche Weg. Der richtige Weg: selbst aktiv werden und die Abzocker verklagen.

Das Zauberwort heißt: negative Feststellungsklage. Jeder, der unberechtigt in Anspruch genommen wird, hat das Recht, gerichtlich feststellen zu lassen, dass ein Anspruch nicht besteht.

Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf verdient es sehr wohl, beleuchtet zu werden. Denn erstens hat hier offenbar der Anwalt des Opfers nichts bis überhaupt nichts vorgebracht (ein Schelm, wer Böses denkt). Zweitens besagt das Urteil nichts, aber auch gar nichts über einen angeblichen Zahlungsanspruch der GWE.

Alle negativen Feststellungsklagen gegen die GWE, die ich selbst bearbeitet habe und von denen ich sonst Kenntnis habe (ich engagiere mich in einer Gruppe hierzu), hatten Erfolg. Entweder Versäumnisurteil, welches die GWE akzeptiert, oder ein Verzicht auf die angebliche Forderung mit Kostenübernahme.

So setzt der Einzelne sein Recht durch.

Der Nebeneffekt, dass die Abzocker nicht nur kein Geld bekommen, sondern Kosten zahlen müssen, hilft dann auch insgesamt. Ich bin fest davon überzeugt, dass Abzocker vor einem Respekt haben - vor mündigen Bürgern haben, die ihr Recht kennen und konsequent durchsetzen.

Also: WEHREN STATT BESCHWEREN

    
von 123recht.de am 05.09.2013 12:04:23# 2
Hallo Herr Huppertz,
völlig richtig, wehren! Danke schön für Ihren Kommentar!

"Denn erstens hat hier offenbar der Anwalt des Opfers nichts bis überhaupt nichts vorgebracht (ein Schelm, wer Böses denkt)." Ich als Schelm dachte hier an ein abgekartetes Spiel :-)

Aber meine Frage bleibt: Warum sind solche Sachen kein Betrug?
    
von 123recht.de am 05.09.2013 12:11:19# 3
Laut WDR sind in der Datenbank übrigens 160.000 Einträge. http://www.wdr.de/tv/servicezeit/sendungsbeitraege/2013/kw12/0321/01_gewerbeauskunft_zentrale.jsp
    
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