Die Mogeldemokratie

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Der Überwachungsstaat und das Recht auf Widerstand

Man kann es drehen und wenden: Unsere geliebte Demokratie existiert nicht mehr. Wir leben bereits in den Anfängen einer postdemokratischen Gesellschaft. Man könnte auch sagen: einer Mogeldemokratie. Es steht zwar Demokratie auf der Verpackung, "alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", es ist aber keine Demokratie mehr drin.

Selbst ohne den NSA-Skandal und den Abhörstaat war es schon schwierig, in unseren Volksvertretern Repräsentanten zu sehen, die sich in den Dienst des Volkes stellen - also uns. Auch vor Snowdens Enthüllungen waren Intransparenz, schamlose Lügen und Halbwahrheiten an der Tagesordnung. Demokratie als Egokratie. Der Staat und seine Organe bestehen aber nicht zum Selbstzweck - sie müssen dem Volk Untertan sein.

Was vor dem NSA-Skandal noch wie ein Affront klang - "Wir haben doch die beste Demokratie der Welt!" - kann mittlerweile nur schwer widerlegt werden: Die staatliche Verwaltung hat sich verselbständigt, agiert immer mehr um ihrer selbst Willen. Geheimdienste sind außer Kontrolle - ausländische, unsere. Es ist an der Zeit, unsere Regierung und uns Bürger an ein paar grundlegende verfassungsrechtliche Grundsätze zu erinnern. Grundsätze übrigens, die in unserer Verfassung aus wichtigstem Grund stehen: damit sich Unrecht und Willkür des Nationalsozialismus nie wiederholen können.

Das Fundament unserer Demokratie, unserer von der Verfassung garantierten Freiheit, ist die Menschenwürde. Artikel 1. Die Menschenwürde zu achten und zu schützen ist oberste Verpflichtung aller staatlichen Gewalt - und übrigens auch der Bürger: Ist eine Regierung nicht Willens oder in der Lage, die Menschenwürde ihrer Bürger zu gewährleisten, dann sind die Bürger legitimiert, Widerstand zu leisten.

Das wird ganz deutlich in Art. 20 Absatz 4:

"Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."

Ansatzlose, verdachtslose Massenüberwachung ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde, unser aller höchstes Gut. Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde, unser aller höchstes Gut. Ausländische Geheimdienste bei Grundrechtsverstößen gewähren zu lassen oder ihnen bei der verdachtslosen, totalen Überwachung zu helfen, ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde, unser aller höchstes Gut. Empörung heucheln, beschwichtigen, abwinken und schönreden, Snowden als Verbrecher bezeichnen oder seine Handlung abwerten - Asyl pauschal zu verweigern, um unsere amerikanischen Freunde nicht zu verärgern - all das heißt, unsere Verfassung mit Füßen zu treten.

Die nackte Wahrheit: Wir sind eine unmündige Demokratie mit unmündigen Volksvertretern. Die USA scheinen als demokratische Vorreiter bereits verloren, England folgt im Windschatten. Weltweit gehen demokratische Regierungsformen zurück. Wenn wir uns nicht in diesen Strudel ziehen lassen wollen, müssen wir uns diesem Strudel widersetzen. Unsere Regierung muss widerstehen und deutlich Position beziehen gegen den Überwachungsstaat, Vorratsdatenspeicherung und verwandte Ausgestaltungen. An jeder Stelle, zu jeder Zeit, ohne Ausnahme. Sie muss die Verstrickung der eigenen Geheimdienste schonungslos offenlegen und unter Kontrolle bringen - auch gegen den Willen der USA.

Wenn sie das nicht kann, sind wir zum zivilen Ungehorsam, zum gewaltfreien Widerstand verpflichtet.

"Das Volk soll Richter sein", sagte John Locke. Wollen wir in einer Zukunft voller Misstrauen, Überwachung und Willkür leben - in einer Pseudodemokratie? Wollen wir wirklich, dass das neue Supergrundrecht "Sicherheit" die Ewigkeitsgarantie unserer Verfassung heimlich aushöhlt?

Ich will das nicht. Ich will eine Zukunft mitgestalten, in der ich meinen Kindern noch in die Augen schauen kann.

Leserkommentare
von Sulina am 14.11.2013 12:56:33# 1
Ausgemogelt hätte es sich schnell, wenn wir endlich ein faires Ausführungsrecht für GG 20,2 bekämen, also der bundesweiten Volksentscheid wie in der Schweiz möglich wäre. Das wäre das Ende von Lobby- bzw. Korruptionsmacht, sofern das Verfahren verfassungskonform und transparent gestaltet wird. Ob sich deshalb unsere sogenannten "Volksvertreter" so sehr dagegen wehren (vornehmlich die CDU) bzw. sowenig dafür einsetzen (SPD) ? Zumindest bei einem rot-rot-grünen-Regierungsbündnis wären sich doch in dieser Grundsatzfrage alle Parteien einig, zumindest auf der Basis ihrer Wahlprogramme...........
    
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