Das große Fressen

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Wir Verbraucher sind schockiert oder wir machen uns lustig. Hauptsache, wir ändern uns nicht.

Der Rechthaber

Über Pferdefleisch liest man viel derzeit. Jetzt hat auch Nestlé in seinen Fertiggerichten Spuren von Pferden gefunden. Deutsche Zulieferer hängen mit drin. Die Politik ist entsetzt und will mehr Kontrollen und härtere Strafen durchsetzen. Der Verbraucher ist empört, die Medien laben sich. Und am Ende geht alles weiter wie zuvor.

Vorher gab es Gammelfleich, falsch deklarierte und datierte Ware, verseuchten Räucherlachs, Antibiotika im Essen. Ein großer Skandal. Warum eigentlich? Das eigentlich skandalöse ist, dass wir empört sind, mit dem Finger auf andere zeigen - und dann weitermachen wir bisher. Wir wollen weiter billig, und davon viel. So üben wir einen enormen Druck auf die Firmen aus, die unserem Kaufverhalten entsprechend produzieren müssen.

Ist die schlechte Behandlung von Leiharbeitern bei Amazon alles nur Amazons Schuld? Damit machen wir es uns zu einfach. Wir können uns nicht mit einer Hand wild gestikulierend über Amazons Arbeitsbedingungen beschweren und gleichzeitig mit der anderen Hand die besten Schnäppchen mit den schnellsten Lieferbedingungen im Internet wählen. Der Shitstorm gegenüber Amazon ist heuchlerisch, wenn wir die Änderung und Verantwortung immer nur bei anderen erwarten.

Unsere Städte sehen nicht deshalb alle gleich aus, weil die großen bösen Konzerne alle kleine Läden aufkaufen und in jeder Stadt dieselben Produkte anbieten. Unsere Städte sehen alle gleich aus, weil wir Verbraucher es so wollen. Weil wir kleine Boutiquen, kleine Lädchen, kleine Naturkostläden und andere Exoten kaum mehr aufsuchen. Weil wir uns in der Herde am sichersten fühlen.

Wir erregen uns über Qualität, Arbeitsbedingungen, Giftstoffe, falsche Auszeichnungen. Gleichzeitig soll alles gleich und perfekt aussehen - alle Äpfel rund und ohne Stellen - und möglichst nichts kosten.

Menschen, die Sex mit Tieren haben, sind für uns kranke Perverse. Es werden Gesetze geschustert, mit denen wir die Tiere vor diesen Menschen schützen wollen. Gleichzeitig erlauben wir schlimmste Tierquälereien, um unseren Fleischgenuss weiterhin zum Dumping-Preis befriedigen zu können. Dreimal am Tag. Das ganze Jahr.

Was für ein Dilemma! Wir wollen eigentlich keine Tierquälerei, keine künstlichen giftigen Stoffe in Kleidungen, keine Produkte aus asiatischen Sweat-Shops, keine Umweltverschmutzung, keine "falschen" Tiere in der Verpackung. Genausowenig wollen wir Chemie im Essen. Wir wollen das eigentlich alles nicht. Eigentlich. Denn unsere Gewohnheiten ändern - dreimal am Tag Fleisch, Schnäppchen, bequeme Lieferung, alles aus einer Hand, möglichst billig, möglichst schnell - wollen wir noch weniger.

Wenn man sein Verhalten und seine Gewohnheiten ändern will, muss man diese erst einmal kennen. Dazu muss man sich selbst anschauen. Sich selbst in die Augen schauen. Das trauen sich die wenigsten. Stattdessen machen wir uns lieber lustig. Lieber machen wir Witze über Lasagne, Fury und Pferdetransporter. Pferd, ist mir doch egal. Solange es kein Tofu ist.

Uns selbst ändern? Gott bewahre! Lieber geben wir die Verantwortung ab. Wir können uns ja nicht um alles kümmern! Sollen die anderen es richten. Die Politik etwa. Sie hat versagt. Keine Kontrollen, zu lasche Strafen. Das lockt die Verbrecher, die Fleischmafia, ja erst hinter dem Ofen hervor.

Pferdefleisch und Amazon und der ganze Rest, das sind keine Skandale. Der eigentliche Skandal ist, dass wir Verbraucher auf den großen Erlöser warten, irgendein anderer, hauptsache nicht wir selbst. Hauptsache er lässt uns und unsere Gewohnheiten in Ruhe.

Wann übernehmen wir die Verantwortung für unser eigenes Tun? Wenn wir dazu weiterhin nicht in der Lage sind, dann sollten wir uns auch nicht künstlich aufregen, wenn wieder etwas "falsch" läuft. Aufregen ist Heuchelei, wenn die Selbstverantwortung in der allgemeinen Entrüstung verpufft.

Leserkommentare
von Hans Geisen am 22.02.2013 11:17:59# 1
Natürlich hört sich das auf den ersten Blick ganz toll und auch selbstverständlich an. Und natürlich hat man auch die Möglichkeit, für einen lokalen Händler zu entscheiden, ebenso wie es in vielen Fällen die Auswahl zwischen Bio und billig gibt.

Nur sollte man mal bei der Realität bleiben und die heißt heute immer häufiger, dass es vor allem nur noch die gehobene Mittelschicht ist, die sich so eine Art des Konsums überhaupt leisten kann. Mal einen Blick in einen Manufactum-Katalog geworfen? Mal durchgehend einen Monat von Bio gelebt und dann in die eigene Kasse geschaut? Und weil das nun wirklich nicht jeder kann - so sinnvoll das auch wäre, keine Frage - muss man einfach anerkennen, dass es im Sinne der Zielerreichung wenig sinnvoll ist, so hohe Erwartungen an einen Konsumenten zu stellen. Der Konsument schaut auf Qualität, Preis und Verfügbarkeit einer Ware und wenn er es sich leisten kann, dann bezieht er vielleicht auch Soziales und die Umwelt mit ein.

Aber jetzt kommt ein weiteres Problem dazu. Wie soll ich als Verbraucher denn beurteilen, ob das doppelt so teure Wasser des Nestle-Konzerns, ob der Kaffee vom Spezialröster an der Ecke und die Schokolade aus dem 3. Welt-Laden wirklich hohen Standards in Sachen Umwelt und Soziales genügt? Medien müssen lange und mühsam recherchieren, um verwertbare Informationen auf den Tisch zu legen, wie soll sich da selbst der gutwilligste Konsument im Fall des Falles informieren - vorausgesetzt er kann es sich leisten? Ist es nun gut oder schlecht, bei Kaiser''s zu kaufen? Sind die Mitarbeiter im Bauernladen an der Ecke wirklich gut bezahlt? Kann ich jetzt keine Spontankäufe mehr tätigen, weil ich mich immer erst informieren muss? Das ist doch alles eine sehr unrealistischer Anspruch, so hoch man den Zeigefinger auch halten mag. Wer traut sich zu, in einer globalisierten Wirtschaftswelt die richtigen Entscheidungen zu treffen? Das ist weitgehend illusorisch, wenn man sich mal die Wege und Prozesse der Entstehung eines Produktes vergegenwärtigt. Als wenn man die Welt in die Guten und die Bösen aufteilen könnte.

Natürlich hat die Politik versagt, aber hier ausschließlich an die Selbstverantwortung des Einzelnen zu appellieren und damit ganz i. S. der neoliberalen Doktrin die Nachhaltigkeit auch noch zu privatisieren (Armin Grundwald), wird nicht zum Ziel führen. Es wird punktuelle Veränderungen geben, mehr nicht. Eine wirkliche, nachhaltige Verbesserung der Lage ist nicht ausschließlich an der Kasse zu realisieren - was nicht davon abhalten soll, das zu versuchen - sondern v. a. über politische Prozesse. Man soll doch bitte nicht so tun, als hätten wir Konsumenten das nun alles so einfach in der Hand.