Aufrechnung von Leistungsforderungen der Krankenhäuser mit abzuführenden Sozialversicherungsbeiträgen

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Aufrechnung von Leistungsforderungen der Krankenhäuser mit abzuführenden Sozialversicherungsbeiträgen

Aufgrund der „zögerlichen" Zahlungsmoral der Krankenkassen bezüglich der Leistungsforderungen häufen sich in letzter Zeit die berechtigten Klagen der Krankenhäuser bzw. deren Träger. Trotz des Unmuts folgen den Worten oft keine Taten. Aus Besorgnis um zukünftige Budgetverhandlungen werden die offenen Forderungen meist nur mehr oder weniger intensiv eingefordert, teilweise wird aus gleichem Grunde sogar davon abgesehen, die berechtigten Zinsansprüche geltend zu machen. Dies hat nicht selten zur Folge, dass es zu Liquiditätsproblemen der Krankenhäuser kommt.

Eine denkbare Abhilfe für die Krankenhäuser ihre offenen Leistungsforderungen schnell und günstig gegenüber den Krankenkassen durchzusetzen, besteht in der Aufrechnung der offenen Forderungen mit den von den Krankenhäusern an die Krankenkassen zu leistenden Sozialversicherungsbeiträgen. Als Arbeitgeber haben die Krankenhäuser neben den Leistungsansprüchen auch Verbindlichkeiten gegenüber den Krankenkassen aus der Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge für ihre Arbeitnehmer. Fraglich ist nunmehr, ob darin eine Aufrechnungslage zu sehen ist, mit der Folge, dass die Krankenhäuser die offenen Forderungen aus den Behandlungen der Patienten mit den Verbindlichkeiten aus den Sozialversicherungsbeiträgen verrechnen könnten, um so ihre Liquiditätslage deutlich verbessern zu können. Die Möglichkeit der Aufrechnung soll in diesem Aufsatz näher erläutert werden.

Sascha  Kugler
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Die Aufrechnung ist die wechselseitige Tilgung (Löschung) zweier sich gegenüberstehender gleichartiger Forderungen durch Verrechnung auf Grund einseitiger Erklärung. Mit anderen Worten wird durch die Aufrechnung und dem Erlöschen der eigenen Forderung die fremde Forderung „bezahlt".

Die Aufrechnung ist in §§ 387 ff. BGB geregelt. Diese Bestimmungen werden von anderen Gesetzen in der Regel durch Verweise z.B. § 50 SGB I, § 28 SGB VI sowie § 226 AO auf die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen übernommen.

Für das finanzielle Verhältnis zwischen Leistungsträger (Krankenhaus) und den Krankenkassen sind die Regelungen der Sozialgesetzbücher jedoch nicht anwendbar. Diese sind allein bei Aufrechnungen von Sozialversicherungsträgern mit zu viel gezahlten Leistungen an den Versicherten einschlägig. Eine Vorschrift, die das Verhältnis zwischen dem Leistungsträger das Krankenhaus und der Krankenkasse beschreibt, gibt es in den Sozialgesetzbüchern nicht.

Weder im Krankenhausgesetz (KHG) noch in den Bestimmungen über die Krankenhaus-finanzierung sind Regelungen über die Aufrechnung enthalten. Mangels spezieller Regelung finden somit auf die Aufrechnung von Leistungsforderungen gegenüber den Krankenkassen mit abzuführenden Sozialversicherungsbeiträgen der Krankenhäuser die allgemeinen Vorschriften des BGB über die Aufrechnung Anwendung. Die grundsätzliche Anwendbarkeit der Bestimmungen des BGB über die Aufrechnung im Sozialrecht ist unstreitig. (BSG 15, S. 36; BSG v. 23.3.1995 – 12 RK 29/93, NZS 1996, S. 25; MDR 1996, S. 182)

Somit ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Aufrechnung vorliegen. Diese setzt die Gleichartigkeit der Forderungen (Palandt BGB, 65. Auflage, § 387 Rn. 8), Fälligkeit der Forderung und Gegenforderung sowie Personengleichheit voraus.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Dem Anspruch der Krankenkasse auf Abführung der Sozialversicherungsbeiträge steht der Leistungsforderungsanspruch des Krankhauses gegenüber. Die Gleichartigkeit der Forderungen ergibt sich somit bereits aus dem Umstand, dass sich zwei Geldforderungen gegenüberstehen. (BSG v. 30.11.1965 – 3 RK 10/61; NJW 1966, S. 424)

Die Aufrechnung ist sowohl zwischen öffentlich-rechtlichen Forderungen und privatrechtlichen Forderungen, sofern nicht die Rechtsnatur der öffentlich-rechtlichen Forderung entgegensteht, als auch zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Forderungen möglich. Letzteres, weil es sich bei der Aufrechnung nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung handelt. (VGH Mannheim v. 12.4.1991 – 6 S 2047/90, NVwZ – RR 1992, S. 195)

Aus der grundsätzlichen Anwendbarkeit des bürgerlich-rechtlichen Aufrechnungsbegriffs im Sozialversicherungsrecht ergibt sich, dass selbst der ungleiche Schuldgrund einerseits aus der Verpflichtung Sozialversicherungsbeiträge für die Mitarbeiter abführen zu müssen (§ 253 SGV V) und andererseits aus der Forderung für erbrachte Leistungen der Gleichartigkeit der Forderungen nicht entgegensteht (Palandt BGB, 65. Auflage, § 387 Rn. 8). Somit müssen die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nicht einmal auf demselben Versicherungsverhältnis wie die Leistungsforderungen des berechtigten Krankenhausträgers beruhen. (BSG v. 30.11.1965 – 3 RK 10/61; NJW 1966, S. 424)

Hinsichtlich der Gegenseitigkeit bestehen ebenfalls keine Bedenken. Dieses Tatbestandsmerkmal setzt voraus, dass Schuldner und Gläubiger identisch (personengleich) sind.

Die Verschärfung des § 395 BGB findet nur auf Körperschaften des öffentlichen Rechts der öffentlichen Hand (Gebietskörperschaften) Anwendung, so dass die Verschärfung des § 395 BGB bereits nach dem Wortlaut auf sonstige öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht anwendbar ist.

Die Krankenkassen sind zwar öffentlich-rechtliche Institutionen, jedoch haben sie keine unterschiedlichen Kassen i.S.d. § 395 BGB, sondern nur Abteilungen, sei es die Leistungsabteilung oder die Beitragserhebung, so dass § 395 BGB für diesen Fall schon nach dem Wortlaut keine Anwendung finden kann. Gegen eine Anwendung spricht auch der Sinn und Zweck der Vorschrift, dieser liegt lediglich in der Verhinderung eines erhöhten Verwaltungsaufwandes durch kassenübergreifende Verrechnungen innerhalb der Behörde.

Gem. §§ 28d, 28e, 28h SGB IV ist der definierte Gesamtversicherungsbeitrag allein vom Arbeitgeber an die Krankenkassen abzuführen. Nach dem Wortlaut des § 28e Abs. 2, S.1 SGB IV obliegt die Erfüllung der Zahlungspflicht allein dem Arbeitgeber. Nach §§ 28d, 28g SGB IV ist der Arbeitgeber berechtigt, den vom Arbeitnehmer abgetretenen Anteil am Gesamtversicherungsbeitrag (Arbeitnehmeranteil) vom Lohn einzubehalten. Dieser Gesamtversicherungsbeitrag ist nach § 28e SGB IV an die Krankenkassen als Einzugstellen aller Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen.

Folglich ist das Krankenhaus zum einen Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge seiner Arbeitnehmer und zum anderen Gläubiger der Leistungsansprüche gegenüber den Krankenkassen.

Das Forderungsrecht bezüglich der Gesamtversicherungsbeiträge steht gem. §§ 28h, 28i SGB IV der zuständigen Einzugstelle (Krankenkasse) zu, die die Krankenversicherung durchführt. Somit ist die Krankenkasse Forderungsinhaber der vom Arbeitgeber (Krankenhausträger) abzuführenden Gesamtversicherungsbeiträge.

Folglich ist auch die Krankenkasse zugleich Schuldner der Leistungsforderungen und als Forderungsinhaber der Sozialversicherungsbeiträge auch Gläubiger.

Selbstverständlich setzt eine Aufrechnung die Fälligkeit der Leistung voraus. Die Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge ist gesetzlich auf den jeweils drittletzten Banktag des laufenden Monats festgelegt. Die Fälligkeit der Leistungsforderungen gegen die Krankenkassen tritt entsprechend dem Landesversorgungsvertrag jeweils 14 Tage nach Rechnungsstellung, im Übrigen 16 Arbeitstage nach Zugang der Rechnung, ein. (BSG v. 28.05.2003 – B 3 KR 10/02)

Aufgrund des Bestimmtheitsgebots ist im Rahmen der Aufrechnungserklärung neben der genauen Bestimmung der Fälligkeit der einzelnen Forderung auch genau anzugeben, auf welche offene Leistungsforderung die Aufrechnung mit den Sozialversicherungsbeiträgen erklärt wird. (z.B. durch Beilage entsprechender Computerausdrucke aus denen die einzelnen Forderungen hervor gehen.)

Eine Aufrechnung und somit eine Einbehaltung der Gesamtversicherungsbeiträge steht auch nicht im Widerspruch zu § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt). Wenn überhaupt sind hier nur die Arbeitnehmeranteile betroffen, für deren Zahlung gegenüber der Einzugsstelle nach § 28e SGB IV allein der Arbeitgeber haftet und die er bei der Auszahlung des Lohns dem Versicherungspflichtigen nach § 28g SGB IV abzuziehen berechtigt ist. Jedoch findet § 266a StGB auch auf die Arbeitnehmeranteile im Falle der Aufrechnung keine Anwendung. Durch die erklärte Aufrechnung tritt gem. § 362 BGB Erfüllung des Anspruchs der Krankenkassen auf Zahlung der Gesamtversicherungsbeiträge gegen die Krankenhäuser ein, so dass der Arbeitgeber (Krankenhäuser) keine Beiträge i.S.d. § 266a StGB vorenthält. (Tröndle/Fischer StGB, 52. Auflage, § 266a Rn. 9 ff.)

Neben der Aufrechnung ist auch an ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge der Krankenhäuser gegenüber den Krankenkassen bis zur Zahlung der offenen Leistungsforderungen seitens der Krankenkassen aus § 273 BGB zu denken. Das Zurückbehaltungsrecht ist das Recht des Schuldners (Krankenhaus), seine Leistung (Sozialversicherungsbeiträge) zu verweigern, bis die ihm gebührende Gegenleistung (Leistungsforderung) bewirkt wird. Die Möglichkeit der Anwendung des § 273 BGB ist im öffentlichen Recht unstreitig. (Palandt BGB, 64. Auflage, § 273 Rn. 3)

Voraussetzung eines Zurückbehaltungsrechts ist, dass die beiden Forderungen auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen, also beide forderungsbegründenden Sachverhalte auf einem einheitlichen Lebensverhältnis zurückzuführen sind. Diese Konnexität wird in laufenden Geschäftsbeziehungen, die wegen ihres zeitlichen oder sachlichen Zusammenhangs als eine natürliche Einheit erscheinen, vermutet. (OLG Düsseldorf v. 27.10.1977 – 13 U 76/77; NJW 1978, S. 703)

Somit ist individuell in den Krankenhäusern zu prüfen, ob Arbeitnehmer des Krankenhauses bei der jeweiligen Krankenkasse versichert sind, sowie ob eine regelmäßige Rechnungsstellung an die Krankenkasse erfolgt, um auf eine Geschäftsbeziehung i.S.d § 273 BGB schließen zu können. Allerdings dürfte für die großen ortsansässigen Krankenkassen eine Vermutung für eine laufende Geschäftsbeziehung bestehen.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass zwar nach Kenntnis des Verfassers noch keine gerichtliche Entscheidung über die Aufrechenbarkeit von Gesamtversicherungsbeiträgen mit Leistungsforderungen der Krankenhäuser vorliegt. Nach Ansicht des Verfassers ist dies nach dem oben Gesagten rechtlich jedoch möglich. Für diese Ansicht spricht auch, dass das BSG bereits vor 40 Jahren entschied, dass Krankengeldansprüche des Unternehmers mit seinen Beitragsrückständen als Arbeitsgeber aufrechnungsfähig sind. (BSG v. 30.11.1965 – 3 RK 10/61, NJW 1966, 424)

Auch ein Zurückbehaltungsrecht der Gesamtversicherungsbeiträge seitens der Krankenhäuser dürfte in vielen Fällen bestehen, so dass den Krankenhäusern bzw. deren Trägern über die oben genannten Gestaltungsrechte eine schnelle und einfache Alternative für mögliche Liquiditätsprobleme aufgrund der „zögerlichen" Zahlungsmoral der Krankenkassen zur Verfügung steht. Allerdings weist der Verfasser zum Abschluss ausdrücklich darauf hin, dass bei der Umsetzung in der Praxis ein Gang vor die zuständigen Gerichte nicht zu umgehen sein wird.

Sascha Kugler
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