Künstliche Befruchtung (Insemination, IVF/ISCI) in der private Krankenversicherung

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich jüngst wieder einmal mit der Frage zu beschäftigen, ob und in welchem Umfang eine private Krankenversicherung (PKV) die Kosten für eine künstliche Befruchtung zu ersetzen hat. In der Regel wird zunächst darüber gestritten, wer "Verursacher" der Kinderlosigkeit ist, sodann über die Frage, ob eine künstliche Befruchtung überhaupt genügend "Erfolgsaussichten" hat und schließlich darum, welche Kosten in welcher Höhe zu ersetzen sind (bei gesetzlich Krankenversicherten übernimmt die GKV 50% der Kosten).

Folgende Konstellationen zu unterscheiden:
- beide Ehepartner sind privat krankenversichert
- der gesetzlich versicherte Ehegatte ist fortpflanzungsunfähig, der privat Versicherte ist gesund
- der privat versicherte Ehegatte ist fortpflanzungsunfähig, der gesetzlich Versicherte ist gesund
- beide Ehegatten sind fortpflanzungsunfähig
- ein Ehepartner ist gesetzlich krankenversichert, der andere ist beihilfeberechtigt und ergänzend privat versichert

Krankheit
Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen ist ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anomaler, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand. Dazu zählt auch eine auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen

Darlegungs- und Beweislast
Nach dem jüngsten Urteil des BGH vom 15.09.2010 zur Erstattungsfähigkeit von Kosten für reproduktionsmedizinische Behandlungen - Inseminationsbehandlungen, In-vitro-Fertilisationen (IVF) mit intracytoplasmatischen Spermien-Injektionen (ISCI) -  genügt es, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass bei ihm eine Spermienanomalie vorliegt, die seine Fähigkeit, ein Kind zu zeugen, beeinträchtigt (BGH, Urt. v. 15.09.2010, Az. IV ZR 187/07). In der Regel geschieht dies durch ein Spermiogramm.

Vorvertragliche Anzeigepflicht
Stand die Zeugungsfähigkeit bereits vor Abschluss des privaten Krankenversicherungsvertrages fest und wurde der Versicherer darüber nicht informiert, besteht die Gefahr einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung seitens des Versicherers, so dass dieser die Kosten nicht ersetzen muss, der Versicherungsnehmer keinen Versicherungsschutz mehr genießt und der Versicherer die bis dahin eingezogenen Prämien behalten darf. In diesem Fall sollte sich der Versicherungsnehmer um kompetente anwaltliche Unterstützung bemühen.

Grundsatz der Gesamtbehandlung
Ob auch bei der Ehefrau eine Fertilitätsstörung vorliegt, ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofes unerheblich. Steht fest, dass bei einem der Ehepartner eine Fertilitätsstörung vorliegt, so ist die Behandlung jedenfalls auch als eine eigene Heilbehandlung desjenigen Ehepartners anzusehen, bei dem die Fertilitätsstörung nachgewiesen ist. Wird eine In-vitro-Fertilisation in Kombination mit einer intracytoplasmatischen Spermieninjektion vorgenommen, um die organisch bedingte Unfruchtbarkeit des Mannes zu überwinden, so ist die Maßnahme eine insgesamt auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehandlung, die darauf gerichtet ist, die Unfruchtbarkeit des Mannes zu lindern. Der Versicherer darf daher nicht zwischen Behandlungsschritten unterscheiden, die am Körper des Mannes und der Frau vorgenommen werden.

Beschränkung der Anzahl der Versuche
Auch eine Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl von Versuchen kann der VR nicht geltend machen, solange eine Erfolgsaussicht der Behandlung besteht.

Erstattungsfähige Kosten
Bedingungsgemäß sind grundsätzlich sämtliche „Aufwendungen für Heilbehandlung" zu ersetzen (auf die verschiedenen Konstellationen kann hier ncht näher eingegangen werden). Die volle Kostenübernahme ist für den Privatversicherten daher der in der Praxis bedeutendste Vorteil gegenüber der GKV, wo ein Eigenanteil von 50 Prozent gilt.

Erstattungsfähig sind nach der BGH-Rechtsprechung auch sog. „extrakorporale" Maßnahmen (also auch IVF-Maßnahmen, welche an der Frau bzw. im Reagenzglas erfolgen). Die In-vitro-Fertilisation bildet zusammen mit der intracytoplasmatischen Spermien-Injektion „eine auf das Krankheitsbild des Versicherten abgestimmte Gesamtbehandlung" und ist damit laut BGH notwendiger Bestandteil der Heilbehandlung.

Erfolgsaussichten der Behandlung
Eine PKV muss Behandlungskosten der künstlichen Befruchtung nur erstatten, wenn im konkreten Individualfall ausreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die gewünschte Schwangerschaft herbeigeführt werden kann. Besonders relevant ist hierbei das Alter der Ehefrau: Erreicht diese das 40. Lebensjahr, berufen sich Versicherungsgesellschaften regelmäßig darauf, dass keine hinreichende Erfolgsaussicht mehr bestünde.

Eine solche starre Altersgrenze existiert jedoch nicht. Auch nach Überschreiten des 40. Lebensjahres darf eine Erfolglosigkeit nicht schematisch prognostiziert werden. Dies hat auch der Bundesgerichtshof bestätigt. Das Gericht weist zunächst darauf hin, dass es für die Beurteilung, ob eine medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht allein auf die Auffassung des Patienten oder des behandelnden Arztes ankommt, sondern dass diese Voraussetzung nach objektiven medizinischen Befunden im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung festzustellen ist, gegebenenfalls durch einen gerichtlichen Sachverständigen. Medizinisch notwendig kann eine Behandlung aber auch dann sein, wenn ihr Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist. Es genügt insoweit, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen. Dabei ist auf die Erfolgswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Lebensalter der Frau und der sich aus ihren individuellen Faktoren gegenüber den Durchschnittswerten der Altersgruppe ergebenden höher oder niedriger einzuschätzenden Erfolgsaussichten zu prüfen.

Von einer nicht mehr ausreichenden Erfolgsaussicht (und damit von fehlender medizinischer Notwendigkeit) ist laut BGH dann auszugehen, wenn eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 15% nicht mehr erreicht wird.

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