Kissing Spines kein Mangel!

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„Bei Warmblut- Reitpferden stellen sklerotische Veränderungen der Wirbelsäule als solche – ohne in Erscheinung tretende Beschwerden – keinen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 BGB dar. Für eine nach Übergabe erstmals auftretende Rückensymptomatik (Schmerzempfindlichkeit, muskuläre Verspannungen) gilt von der Art des Mangels her die Vermutung des § 476 BGB nicht. Sachverhalt dieser Entscheidung war eine tierärztliche Kaufuntersuchung am 25.09.2003 ohne Befund. Der Kaufvertrag über die Trakehnerstute wurde am 26.09.2003 abgeschlossen. Die Übergabe des Pferdes erfolgte am 01.10.2003. Die Röntgenuntersuchung der Dornfortsätze am 12.03.2004 hat ergeben, dass sich in der Sattellage deutlich enge Zwischenräume mit drei Verdichtungszonen im Randbereich (Kissing Spines) befinden. Das Gericht begründete seine Entscheidung wie folgt: "In diesem Sinn ist eine Mangelhaftigkeit des Pferdes allein wegen des Vorhandenseins eines ‚Kissing spines - Syndroms’ nicht gegeben. Die an der Trakehnerstute festgestellten sklerotischen Veränderungen im Randbereich der Dornfortsätze sind als noch innerhalb der Norm liegend zu qualifizieren."

Das Landgericht Münster hat – kontrovers zu dem Oberlandesgericht Celle - Ende des vergangenen Jahres in einem käuferfreundlichen gut begründeten Urteil zum Problem des sogenannten „Kissing-Spines-Syndrom" Stellung genommen. Der Sachverhalt war wie folgt:

Mit Kaufvertrag vom 16.05.2003 hatte die Klägerin die 11-jährige Stute für Dressur- und Springprüfungen der Klasse E und A erworben. Alsbald nach Übernahme des Pferdes kam es immer wieder zu Lahmheiten. In einer Röntgenuntersuchung 5 Monate nach Kaufdatum wurde ein „Kissing-Spines-Syndrom" festgestellt. Die auf Rückabwicklung des Kaufvertrages in Anspruch genommene Beklagte verteidigt sich damit, dass das Pferd jedenfalls zum Zeitpunkt der Übergabe vollständig gesund gewesen sei. Die Stute sei von ihr häufig geritten worden, ohne dass eine tiermedizinische Behandlung erforderlich gewesen sei. Die Lahmheits- und Rittigkeitsprobleme des Pferdes seien vielmehr auf reiterliche Fehler der Klägerin und die damit verbundene falsche Einwirkung auf das Pferd zu begründen. Schließlich habe die Klägerin auf die angebotene Ankaufsuntersuchung verzichtet und sich selbst in einem unverbindlichen Test über zwei Wochen hin von der Gesundheit des Pferdes überzeugen können. Der vom Gericht bestellte Sachverständige hat nach eingehender Untersuchung des Pferdes mit überzeugenden Gründen darzustellen gewusst, dass das Pferd unter dem sogenannten „Kissing-Spines-Syndrom" erkrankt sei. Zwar hat der Sachverständige eine wahrnehmbare eingeschränkte Rittigkeit der Stute nicht feststellen können. Trotzdem kam er zu dem Ergebnis, dass der Kauf dieses Pferdes mit einem „Kissing-Spines-Syndrom" mit einem erheblichen Risiko verbunden sei. Es könne nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Engstände der Dornfortsätze dazu führen, dass bei dem Pferd in Zukunft Probleme auftreten könnten. Der Kauf eines derartigen Pferdes sei jedenfalls für einen Käufer risikobehaftet. Aufgrund dieser Feststellung des Sachverständigen gelangte das Landgericht Münster zu dem Ergebnis, dass das verkaufte Pferd mangelhaft im Sinne des § 434 BGB ist. Aus der Sicht der Käufer ist es zu begrüßen, dass das Gericht die Entscheidung unter anderem damit begründet hat, dass ein Mangel des Pferdes bereits dann vorliege, wenn bei diesem eine Erkrankung diagnostiziert werde - sei es auch nur in leichter Form -, die aber jederzeit dazu führen könne, dass das Pferd in seiner eigentlichen Nutzung beeinträchtigt ist. Schon dieses konkret bestehende Risiko stelle einen Mangel dar, weil ein Pferd mit engen Abständen zwischen den Dornfortsätzen der Brustwirbelsäule von einem üblichen Reitpferd in der Beschaffenheit negativ abweiche. Bei einem Pferd, bei dem dieser Engstand der Dornfortsätze nicht vorliegen würde, wäre das Risiko einer Beeinträchtigung der Nutzung eben nicht gegeben. Auch dem Einwand des Sachverständigen, dass das Pferd zur Zeit geeignet sei, als Hobbyreitpferd oder Spring-Dressurpferd eingesetzt zu werden, wird vom Landgericht Münster mit dem Argument zurückgewiesen, dass damit lediglich der derzeitige Zustand beschrieben werden könne. Durch das „Kissing-Spines-Syndrom" könne sich aber jederzeit das Risiko der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Pferdes verwirklichen, so dass damit auch die Einsatzfähigkeit der Stute beeinträchtigt werde. Bereits diese durchaus realistische Wahrscheinlichkeit reiche nach der Auffassung des Landgerichts für die Annahme eines Mangels aus.

Damit hat das Landgericht Münster quasi neuen Boden betreten. Bislang wurde argumentiert, der Mangel des Pferdes müsse sich tatsächlich realisiert haben. Das Pferd müsse also lahm gehen, und zwar nicht nur kurzzeitig und möglicherweise immer wieder, sondern die Lahmheit müsse ein prägendes Charakteristikum des Pferdes sein. Diese Sichtweise hat das Landgericht Münster nicht gelten lassen, vielmehr hat es bereits das quantifizierbare Risiko für eine sich möglicherweise erst zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich manifestierende dauerhaft eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des Pferdes als Mangel bereits ausreichen lassen.

Damit liegt ein Mangel im Sinne des neuen Pferdekaufrechts bereits dann vor, wenn normabweichende Veränderungen nachgewiesen werden konnten, die das Risiko in sich tragen, dass zu einem späteren Zeitpunkt sich dieses Risiko tatsächlich realisiert, also z.B. das Pferd nicht mehr im Reitsport eingesetzt werden kann.

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