Das Jugendstrafrecht im Lichte „neuerer“ Entwicklungen („Der U-Bahn Exzess“)

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Das Jugendstrafrecht im Lichte „neuerer“ Entwicklungen („Der U-Bahn Exzess“)

Als Strafverteidiger habe ich regelmäßig mit Fällen von Gewaltexzessen junger Menschen zu tun. Die vorweihnachtlichen Gewalttaten zweier junger Ausländer in der Münchner U-Bahn sind daher zwar schockierend, aber leider Teil einer in Gegenwart und Zukunft sich weiter verstärkenden Verrohung von jungen Menschen, die sich aus verschiedensten Gründen einer Gesellschaft entziehen, die ihnen aus ihrer Sicht weder ideell, noch materiell etwas zu bieten hat.

Immer stärker kommen nunmehr – vor allem nachdem eine U-Bahn Kamera die Auswirkungen der Verrohung per TV in jedes Wohnzimmer getragen hat – Forderungen auf, das Jugendstrafrecht zu verschärfen oder gar abzuschaffen. Diese Diskussion geht aber an fundierter wissenschaftlicher Forschung ebenso vorbei, wie an den blanken Zahlen und Statistiken:

Das Jugendstrafrecht trägt dem Umstand Rechnung, dass strafmündige Menschen (ab dem 14. Lebensjahr) bis zu ihrem 21. Lebensjahr durch die biologische Pubertät (14.-18. Lebensjahr) sowie durch die Altersstufe der Adoleszenz (12.-21. Lebensjahr) erhöhte Schwierigkeiten beim Übergang in die neue soziale Rolle eines erwachsenen Menschen haben. Adoleszenz ist gekennzeichnet durch das Größenwachstum, die Ausbildung der Geschlechtsmerkmale und die inneren, seelischen Auseinandersetzungen des jungen Menschen mit den Veränderungen, die in ihm vorgehen, und den Anforderungen der Außenwelt im Hinblick auf die "soziale Reife": die Loslösung vom Elternhaus, den Übergang von der Schule ins Arbeitsleben.

In dieser Lebenssituation ist der junge Mensch oft überfordert, wenn er mit einer Fülle neuer Anforderungen und Einflüsse konfrontiert wird. Um ein kriminelles Abgleiten zu verhindern und gleichzeitig dem Jugendlichen die Verbindlichkeit sozialer Normen auch für ihn aufzuzeigen, enthält das Jugendgerichtsgesetz (JGG) ein Strafrecht, das versucht, den oben genannten Umständen gerecht zu werden.

Während das Erwachsenenstrafrecht tatbezogen ist ("Tatstrafrecht"), ist die Erziehung zum Legalverhalten Ziel des Jugendstrafrechts ("Erziehungsstrafrecht"). Die Statistik zeigt, dass es sich hierbei nicht nur um einen liberalen oder gar frommen Wunschgedanken handelt: Für den Großteil der Jugendlichen hat die Kriminalität in der Altersstufe von 14 bis 21 Jahren nur einen episodenhaften, überwiegend entwicklungsbedingten Charakter. Der Gedanke des Jugendstrafrechts ist also berechtigt, stößt jedoch dort an seine Grenzen, wo der so genannte jugendliche Rückfalltäter (mindestens fünf Straftaten) in Erscheinung tritt. Zu diesem Tätersegment gehören nur 1,8 Prozent der registrierten jugendlichen Kriminellen, von denen aber wiederum "nur" ca. fünf bis fünfzehn Prozent auf Dauer kriminell bleiben.

Im Ergebnis lässt sich anhand der betreffenden Zahlen feststellen: Eine Verschärfung oder gar Abschaffung des Jugendstrafrechts macht keinen Sinn.


Rechtsanwalt Markus Roscher (44), Berlin,
Fachanwalt für Strafrecht