Die Streupflicht bei Glätte und Schnee

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Wo und wann muss bei Schnee oder Glätte geräumt bzw. gestreut werden?

Streupflicht auf von Fußgängern genutzten (innerörtlichen) Fahrstraßen

Innerhalb einer geschlossenen Ortschaft sind regelmäßig nur die belebten und verkehrswichtigen Gehwege zum Schutz des Fußgängerverkehrs zu räumen und zu streuen. Diese Räum- und Streupflicht besteht aber nicht uneingeschränkt für Straßen, die von Fußgängern (auch) als Gehweg benutzt werden. Hier hängt die - gegenüber Fußgängern bestehende - Streupflicht davon ab, ob es sich um - für den Fußgängerverkehr - unentbehrliche Fußgängerüberwege handelt. Im Übrigen besteht in zeitlicher Hinsicht eine Räum- und Streupflicht in der Regel nur für die Zeit des Hauptberufsverkehrs und - an Feiertagen - für die Dauer des normalen Tagesverkehrs. Bei extremen Witterungsbedingungen besteht eine Streupflicht erst ab dem Zeitpunkt, wo Streumaßnahmen überhaupt sinnvoll sind, also in der Regel erst, wenn sich das Wetter wieder beruhigt hat (OLG Thüringen Urteil vom 22.09.2004 Az. 4 U 793/04)

Erschließungswege zu allen innerörtlichen Anwesen sind zu räumen und zu streuen

Fußgängerwege sind innerorts grundsätzlich zu räumen und zu streuen, wenn sie nicht nur eine Freizeit-, sondern auch eine Erschließungsfunktion haben (vgl. OLG Hamm OLGR 2001, 244, 245; OLG Düsseldorf OLGR 1993, 257; entgegen OLG Frankfurt am Main OLGR 1992, 38, 39 und 91, 93); in der Regel sollen innerorts alle Anwesen zu Fuß sicher zu erreichen sein (OLG Düsseldorf OLGR 1998, 284, 285; OLG Frankfurt Urteil vom 19.11.2003 Az. 1 U 62/03).

Radfahrer auf Gehweg

Einem Radfahrer, der auf einem innerhalb der geschlossenen Ortschaft gelegenen gemeinsamen Fuß- und Radweg (Zeichen 240 der StVO) infolge Glatteises zu Fall kommt, können Amtshaftungsansprüche wegen Verletzung der winterlichen Räum- und Streupflicht gegen die sicherungspflichtige Gemeinde auch dann zustehen, wenn dieser Weg nur deshalb geräumt oder gestreut werden muss, weil es sich auch und gerade um einen Gehweg handelt. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass sich Inhalt und Umfang der Räum- und Streupflicht, sofern sich - wie hier - der Unfallort nicht an einer verkehrswichtigen und gefährlichen Stelle befindet, nur nach den Belangen der Fußgänger auszurichten hat (BGH Urteil vom 9.10.2003 Az. III ZR 8/03).

Wege auf Parkplätzen

Eine umfassende Streupflicht auf Parkplätzen besteht nur dann, wenn diese so angelegt sind, das notwendigerweise die Wagenbenutzer die von den Kraftfahrzeugen befahrenen Flächen auf eine nicht nur unerhebliche Entfernung betreten müssen, um die Wagen zu verlassen oder zu erreichen. Ist der "sichere" Teil eines über den Parkplatz führenden oder an ihn angrenzenden Fußwegen mit nur wenigen Schritten erreichbar, ist die Gemeinde nicht verpflichtet, auch die Stellflächen oder die Zwischenräume zwischen ihnen abzustreuen (OLG Celle Urteil vom 25.08.2004 Az. 9 U 109/04).

Anhaltender Regen macht Streuen zwecklos

Bei Glatteisunfällen spricht ein Anschein dafür, dass die Unfallverletzungen bei Beachtung der Streupflicht vermieden worden wären, wenn der Unfall innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht stattgefunden hat. Dafür notwendig und ausreichend ist es, dass ein Glättezustand im Verantwortungsbereich des Streupflichtigen nachgewiesen wird. Zu der den Streupflichtigen entlastenden Zumutbarkeitsprüfung gehört die Erwägung, dass die Streupflicht nicht verletzt wäre, wenn erst kurz vor dem Unfall auf den gefrorenen Boden Regen niedergegangen wäre und der Streupflichtige auf eine sich dadurch bildende Glätte noch nicht mit Streuen reagiert haben müsste. Der Verletzte hat also das Vorliegen einer die Streupflicht begründenden Wetter und Straßenlage zu beweisen, während der Streupflichtige für das Vorliegen einer Ausnahmesituation, die das Streuen unzumutbar machte, beweispflichtig ist. Die nur im Rahmen des Zumutbaren bestehende Pflicht, bei Schnee und Eisglätte die Gehwege abzustumpfen, entfällt, wenn es zwecklos ist, den Bürgersteig zu streuen, da sich Glätte alsbald wieder neu bilden würde. Der Streupflichtige braucht also nicht tätig zu werden, wenn angesichts der konkreten Wetterlage das Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln nur zu einer unwesentlichen oder ganz vorübergehenden Minderung der dem Verkehr drohenden Gefahren führt, was insbesondere bei Glatteis durch anhaltenden Regen auf gefrorenen Boden gilt.

Sofern die die Glätte verursachenden Niederschläge enden, ist dem Streupflichtigen eine angemessene Beobachtungs- und Vorbereitungszeit zuzubilligen, so dass es noch hinnehmbar sein kann, wenn der Streupflichtige erst nach Ablauf von etwa einer Stunde erneut streut; generell darf das Ende des (gefrierenden) Regens abgewartet werden, auch wenn hierdurch Glatteis entsteht. Dies gilt nur dann nicht, wenn den Sicherungspflichtigen aufgrund besonderer Umstände eine erhöhte Aufmerksamkeit und die Pflicht zu besonderer Vorsorge treffen (OLG Celle Urteil vom 27.02.2004 Az. 9 U 220/03).

Zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht ist vorrangig gegenüber einer Gemeindeordnung über die Streupflicht

Auch wenn in einer Gemeindeordnung Beginn, Ende und Umfang der Räum- und Streupflicht geregelt sind, hat die haftungsrechtliche Beurteilung dieser Kriterien nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln zu erfolgen, die als Teil des Deliktrechts dem Bürgerlichen Recht zuzuordnen sind und als Bundesrecht dem Ortsrecht vorgehen (OLG Celle Urteil vom 28.8.2002 Az. 9 U 74/02).

Kontrollpflicht durch Stichproben gegenüber zum Streuen beauftragten Dritten

Es ist rechtlich zulässig, wenn die Gemeinde die sie grundsätzlich treffende Räum und Streupflicht auf eine Fachfirma überträgt; sie haftet dann lediglich für ein Verschulden bei der Auswahl dieser Firma, sofern es sich etwa nicht um eine als zuverlässig anerkannte Fachfirma handelt, oder für einen Verstoß gegen die bei ihr verbleibende Pflicht zur Kontrolle des von ihr beauftragten Unternehmens, wobei allerdings - auch an Wintertagen – keine Überprüfung „rund um die Uhr" erforderlich ist, vielmehr vereinzelt durchgeführte Kontrollen („Stichproben") ausreichen (OLG Celle Urteil vom 28.01.2004 Az. 9 U 198/03).

Außerhalb geschlossener Ortschaften

Außerhalb geschlossener Ortschaften besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der auch der erkennende Senat folgt, eine Streupflicht nur an besonders gefährlichen Stellen. Gefährlich sind solche Straßenstellen, die wegen ihrer eigentümlichen Anlage oder bestimmter Zustände, die nicht ohne weiteres erkennbar sind, die Möglichkeit eines Unfalls auch für den Fall nahe legen, dass der Verkehrsteilnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt walten lässt. Eine besonders gefährliche Stelle liegt erst dann vor, wenn der Verkehrsteilnehmer bei der für Fahrten auf winterlichen Straße zu fordernden schärferen Beobachtung des Straßenzustandes und der damit zu fordernden erhöhten Sorgfalt den die Gefahr bedingenden Zustand der Straße nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und deshalb die Gefahr nicht meistern kann. Solche Umstände sind etwa bei Brücken mit der Gefahr verstärkter Glatteisbildung oder Gefällestrecken gegeben (Brandenburgisches OLG Urteil vom 22.06.2004 Az. 2 U 36/03).


Rechtsanwalt Matthias Möller-Meinecke
http://www.Moeller-Meinecke.de

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