Beschwerdebefugnis bei der Verfassungsbeschwerde

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Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans. W. Alberts

Nach Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer behauptet, durch den angegriffenen Akt der öffentlichen Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 IV, 33, 38, 101 103 und 104 genannten Rechte (grundrechtsgleiche Rechte) verletzt zu sein. Fraglich ist, wann ein „Behaupten" im Sinne dieser Vorschriften vorliegt.

Hier bestehen zwischen der Dogmatik (die insbesondere in der juristischen Ausbildung den Vorrang genießt) und der teilweisen Spruchpraxis des BVerfG zum Teil erhebliche Differenzen. Möglich ist eine Grundrechtsverletzung immer dann, wenn sie nicht ausgeschlossen werden kann.

Demgegenüber legen sowohl die Kammern des für Individualverfassungsbeschwerden zuständigen Zweiten Senats des BVerfG als auch der Zweite Senat selbst dem Begriff „Behaupten" neuerdings teilweise ein strengeres Verständnis zugrunde. Das Gericht fordert in einigen Verfahren, dass der Beschwerdeführer den gerügten Verfassungsverstoß hinreichend darlegt und begründet .

Das Stellen strengerer Anforderungen an die Beschwerdebefugnis hat zur Folge, dass das Gericht weniger Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung annehmen muss (es braucht in diesen Fällen also keine Begründetheitsprüfung durchzuführen). Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit ist das vermehrt zu beobachten. So hat die 2. Kammer des Zweiten Senats zwei Verfassungsbeschwerden betreffend die Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer nicht zur Entscheidung angenommen mit der Begründung, die Beschwerdeführer hätten einen Verfassungsverstoß nicht hinreichend dargelegt.

Auch der Zweite Senat tendiert in Fällen, in denen er eine folgenschwere Sachentscheidung vermeiden möchte, dazu, die Beschwerdebefugnis zu verneinen. So betrachtet er eine Vorlage von sekundärem Gemeinschaftsrecht (es ging im konkreten Fall um die Vereinbarkeit der Bananenmarktordnung mit dem Grundgesetz) gemäß Art. 100 I oder 93 I Nr. 4a GG zwar grundsätzlich für zulässig, knüpft die Zulässigkeit aber an eine dezidierte Begründung des Vorlagebeschlusses bzw. der Verfassungsbeschwerde. Das vorlegende Gericht bzw. der Beschwerdeführer müssten substantiiert darlegen, dass eine Kompetenzüberschreitung oder eine evidente und generelle Missachtung der Grundrechte durch die Gemeinschaft vorlägen (= besondere Zulässigkeitsvoraussetzung).

Beides hat der Zweite Senat der Begründung des Vorlagebeschlusses hinsichtlich der Bananenmarktordnung nicht entnommen. In die gleiche Richtung gehen auch die jüngste Kammerentscheidung hinsichtlich der Vorlagepflicht nach Art. 234 EG und der Senatsbeschluss zur nicht zulässigen Vorlage gemäß Art. 100 I GG in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht .

Ein Beispiel für die Fortsetzung dieser Linie ist der Fall Magnus G. Dieser wurde wegen der Entführung und Ermordung des 11-jährigen Jakob von Metzler vom Landgericht zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Zu Beginn der Hauptverhandlung hatte das Landgericht festgestellt, dass frühere Aussagen des G., die dieser im Ermittlungsverfahren gemacht hatte, wegen des Einsatzes einer verbotenen Vernehmungsmethode nicht verwertbar seien. Die Verurteilung stützte sich daher maßgeblich auf ein Geständnis, das G. erst in der Hauptverhandlung abgelegt hatte. Die gegen das Urteil eingelegte Revision des G. blieb ohne Erfolg. Mit seiner von seinem Anwalt gegen die gerichtlichen Entscheidungen erhobenen Verfassungsbeschwerde rügte G., dass die im Ermittlungsverfahren angewandten Vernehmungsmethoden unzulässig gewesen seien, was nicht nur ein Verwertungsverbot mit sich gebracht, sondern auch ein Verfahrenshindernis für das Strafverfahren dargestellt habe. Die gleichwohl erfolgte Verurteilung habe daher zur Verletzung seiner Menschenwürde (Art. 1 I GG) sowie des Misshandlungsverbots (Art. 104 I S. 2 GG) geführt.

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat entschieden, dass eine Verfassungsbeschwerde zulässig sei, wenn die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung schlüssig dargetan werde. Eine Verletzung von Grundrechten sei im vorliegenden Fall jedoch nicht denkbar, wenn das von den Fachgerichten angenommene Beweisverwertungsverbot den Verfahrensverstoß der Ermittlungsbehörde bereits vollständig ausgeglichen hätte. Bei dieser Sachlage müsse ein Beschwerdeführer substantiiert darlegen, warum die Annahme eines Verwertungsverbots (das im vorliegenden Fall seine Grundlage in § 136a III StPO findet) ausnahmsweise nicht ausreicht, um die frühere Rechtsverletzung zu kompensieren. Diesen Anforderungen werde die Verfassungsbeschwerde des G. nicht gerecht. G. habe nicht genügend begründet, warum der hier vorliegende Verfahrensverstoß verfassungsrechtlich nicht nur ein Verwertungsverbot, sondern zwingend auch einen Verfahrenshindernis nach sich ziehen musste. Die Verfassungsbeschwerde erschöpfe sich in der Wiedergabe des außerhalb der Hauptverhandlung begangenen Verfahrensverstoßes, ohne darzulegen, weshalb gerade die von G. angegriffenen Gerichtsentscheidungen, die auf diesen Verfahrensverstoß reagieren, seine Grundrechte verletzten.( Rolf, Schmidt, Grundrechte, 6.Aufl. S. 439 f.)

Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231> stRspr). Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert. Sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne gerichtliche Prüfung zu tragen hat (vgl.BVerfGE 94, 166 <213>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231>).

Es gibt allein beim Bundesverfassungsgericht beinahe tausend Fundstellen zum Thema „effektiver Rechtsschutz". Werden die Voraussetzungen, wie dargelegt, so hoch angesiedelt, läuft die Verfassungsbeschwerde als Rechtsmittel ziemlich leer.

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