Nein heißt nein - Die Reform des Sexualstrafrechts

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Wenn der erste spontane Kuss bereits eine Straftat darstellt

Der Bundestag hat am 7.7.2016 über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts abgestimmt. Wird nun alles gut oder alles nur noch schlimmer? 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt Dr. Alexander Stevens, Fachanwalt für Strafrecht und ausschließlich auf Sexualdelikte spezialisiert.

123recht.de: Herr Stevens, worum geht es in der Reform des Sexualstrafrechts?

Rechtsanwalt Stevens: Dem Gesetzgeber ging es wohl darum, möglichst jede Form von unfreiwillig einzuordnenden Sex rigoros unter Strafe zu stellen.

123recht.de: In den Medien wird oft ein Bezug zwischen der Reform und dem Prozess von Gina-Lisa Lohfink gemacht. Warum, worum ging es in dem Prozess?

Rechtsanwalt Stevens: Das Model Gina Lisa Lohfink soll zwei Liebhaber, mit denen sie eine Nacht verbracht hatte, fälschlicher Weise des sexuellen Missbrauchs bezichtigt haben. Dafür war sie zu einer Geldstrafe verurteilt worden, wogegen sich Frau Lohfink mit der Begründung wehrte, dass sie die Wahrheit gesagt habe, schließlich habe der Sex gegen ihren Willen stattgefunden. Und tatsächlich ist auf einem rund zwanzigminütigen Video, das von einem der Männer beim Sex aufgenommen wurde, zum Ende hin ein kurzes „Hör auf“ von ihr zu hören. Allerdings geht das Gericht davon aus, dass sich dieses „Hör auf“ nicht auf die sexuellen Handlungen, sondern auf das Filmem bezieht.

“Schon ein erkennbar entgegenstehender Wille reicht aus, um sich strafbar zu machen“

123recht.de: Was ist zukünftig nach der Reform strafbar?

Rechtsanwalt Stevens: Sehr viel: Strafbar ist jetzt neben sexueller Belästigung (was auch immer das genau sein soll – der Gesetzgeber definiert nicht, was genau eine Belästigung ist - etwa auch, wenn man mit einer alkoholisierten Person Sex hat, ohne sich davor der Zustimmung hierzu zu versichern. Strafbar macht sich jetzt auch, wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder einen Überraschungsmoment dabei ausnutzt. Strafbar ist aber auch, wenn eine Lage ausnutzt wird, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht. Übersetzt heißt das: Ja heißt JA - denn nur wenn man sicher weiß, dass der andere die jeweilig intendierte sexuelle Handlung will, ist dies auch in Ordnung – ein neuer Boom für die Verbalerotik also.

123recht.de: War es nicht auch schon vor der Reform strafbar, wenn ein "Nein" beim Sex nicht beachtet wurde?

Rechtsanwalt Stevens: Jein... Soweit keine schutzlose Lage ausgenutzt oder mit Gefahren für Leib oder Leben gedroht wurde, musste bei dem Tatbestandsmerkmal der Gewalt bisher ein aktiver oder zumindest ein zu erwartender Widerstand des Opfers gebrochen werden, sprich es war immer noch Gewalt nötig, um etwa eine Vergewaltigung zu begehen. Allerdings waren die Gerichte nicht sehr streng, was das Ausmaß der Gewalt anging - ein einfaches Drauflegen mit dem eigenen Körpergewicht etwa reichte hierzu schon aus.

Der Unterschied zum neuen Gesetz ist, dass jetzt schon ein erkennbar entgegenstehender Wille ausreicht, um sich strafbar zu machen, sodass eine Vergewaltigung gerade keine Gewalt mehr voraussetzt, gleichzeitig aber auch nicht klar ist, ab wann ein entgegenstehender Wille genau erkennbar sein soll. Ein „Nein“ ist nach dem neuen Gesetz daher gerade nicht mehr notwendig, der traurige Blick des Opfers könnte also schon genügen – freilich mit einem sehr weiten Interpretationsspielraum für Täter und Opfer!

"Es war wichtig, Frauen jetzt endlich auch vor ungewollten Berührungen zu schützen"

123recht.de: Was ist so problematisch an der Reform? Ist es nicht gut, dass Frauen stärker vor Übergriffen geschützt werden?

Rechtsanwalt Stevens: Frauen waren mit Ausnahme des neuen Grapscher-Paragraphen auch vor der Reform schon ausreichend gut geschützt. Dass es wichtig war, Frauen jetzt endlich auch vor ungewollten Berührungen und Unpässlichkeiten zu schützen, die schlicht demütigend sind, aber noch nicht so erheblich, als dass man sie als sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung ansieht, ist begrüßenswert. Nur wenn dabei jetzt nicht nur derjenige, der eine andere Person sexuell belästigt, sondern auch umherstehende Personen, die sich als zum Täter zugehörige Gruppe darstellen, bestraft werden sollen, bedeutet dies in aller Konsequenz, dass Mann und Frau von nun an besser immer alleine ausgeht, um nicht Gefahr zu laufen, für die Unpässlichkeiten anderer ohne jegliches Zutun seinerseits gleich mitbestraft zu werden.

Auch der erste Kuss beim Kennenlernen dürfte nun passee sein, denn überraschende sexuelle Handlungen sind jetzt tabu. Und zwei betrunkene oder sehr müde Personen können mangels Möglichkeit, sich der gegenseitigen Zustimmung zu versichern, auch keinen Sex mehr haben. Da ist übrigens keine Polemik sondern denknotwendige Konsequenz des neuen Gesetzes!

123recht.de: Wie soll man den Grundsatz „Nein heißt Nein“ beweisen können? Steht im Zweifel nicht Aussage gegen Aussage?

Rechtsanwalt Stevens: An der Beweislage hat sich juristisch gesehen natürlich nichts geändert. Sexualdelikte bleiben nach wie vor heimliche Delikte, also Delikte, bei denen es selten Sachbeweise und noch seltener Zeugen gibt, sodass ein Richter immer noch entscheiden muss, wem er glaubt: dem mutmaßlichen Opfer oder dem mutmaßlichen Täter.

Nichts desto trotz wird es dem Richter deutlich leichter gemacht selbst zu beurteilen, ob der Sex nun freiwillig war oder nicht - denn wenn z.B. schon ein „erkennbar entgegenstehender Wille“ anstelle von Gewalt oder einem klaren „Nein“ für eine Vergewaltigung ausreicht, wohnt dem ein weiter Interpretationsspielraum inne. Weinen kann Freudentränen oder aber auch Tränen der Trauer oder des Schmerzes bedeuten – wie es ein Richter interpretiert, zu Gunsten des Täters oder zu Gunsten des Opfers, ungewiss.

"Vor Strafverfolgung sicher ist man nur, wenn man vor jeder sexuellen Handlung explizit nachfragt"

123recht.de: Was wäre, wenn es sich eine Frau spontan doch anders überlegt und keinen Sex mehr möchten?

Rechtsanwalt Stevens: Das ist ein sehr großes Problem. Denn gerade weil etwa im neuen Gesetz nicht definiert ist, wann der entgegenstehende Wille erkennbar ist und wann nicht, oder mit angetrunkenen Personen nur dann sexuelle Handlungen erlaubt sind, wenn man sich deren Zustimmung aktiv versichert hat, hat sich der Gesetzgeber letztlich für eine „JA heißt JA“-Lösung entschieden.

Vor Strafverfolgung sicher ist man daher jetzt nur, wenn man vor jeder sexuellen Handlung – auch innerhalb ein und desselben Geschlechtsaktes (zum Beispiel: Streicheln der Brust, dann Streicheln des Intimbereiches etc.) – explizit nachfragt, ob die jeweilige Handlung gewollt ist. Aber Achtung: Bei der Frage, „Möchtest Du, dass ich aufhöre?“ Dann heißt „Nein“ nicht „Nein“ sondern „Ja“ und „Ja“ heißt dann „Nein“. Alles klar?!

123recht.de: Droht künftig ein Anstieg von Strafanzeigen?

Rechtsanwalt Stevens: Nachdem jetzt ohnehin ein Großteil von sexuellen Handlungsweisen strafbar ist, die bis vor Kurzem noch völlig legal waren, dürften auch zweifelhafte Aussagen rechtlich gesehen dennoch richtig sein zumal sich ein Opfer einer sexuellen Belästigung theoretisch 5 Jahre lang überlegen kann, ob es sich von einer Handlung eines „Täters“ nun belästigt fühlt oder nicht – so lange ist die Verjährungsfrist. Oder nehmen Sie etwa das Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer im Falle des Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet: Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit auch das Hinausschicken bei Regen ohne Regenschirm als empfindliches Übel angesehen: Entscheidet sich ein „Opfer“ also künftig doch lieber mit dem „Täter“ Sex zu haben anstelle ohne Regenschirm im Regen nach Hause gehen zu müssen, macht sich der Täter strafbar wenn er diesen Umstand ausnutzt – wohlgemerkt ohne dass das Opfer ein Nein gesagt oder sich irgendwie gewehrt haben muss!

Das neue Gesetz wird also vor allem zu einem Anstieg der Straftaten führen, denn künftig macht sich auch eine Frau strafbar, die sich an ihren Mann ankuschelt, der nach dem Sex mit ihr eingeschlafen ist. Schließlich kann er in diesem Zustand nicht seine Zustimmung zu einer solchen sexuellen Handlung geben (kein Witz).

123recht.de: Hat die Reform Auswirkungen auf den Strafrahmen? Wird dieser angehoben?

Rechtsanwalt Stevens: Ganz im Gegenteil: Widerstandsunfähige, wie etwa Gina Lisa Lohfink von sich behauptet es gewesen zu sein, werden nach dem neuen Gesetz, was den Strafrahmen angeht, schlechter gestellt. Wo das alte Gesetz noch bis zu 10 Jahre vorsah, sind es jetzt nur noch 5 Jahre im Grundtatbestand. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass jetzt auch sexuelle Handlungsweisen, die als juristisch unerheblich angesehen wurden, mit bis zu zwei Jahren als sexuelle Belästigung bestraft werden. Insgesamt gibt es jetzt also deutlich mehr strafbare Handlungsalternativen, die aber nicht alle so scharf bestraft werden, wie nach dem alten Gesetz.

123recht.de: Vielen Dank.

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