Hamburger Modell: Zurück in den Job nach langer, schwerer Krankheit

Mehr zum Thema: Experteninterviews, Hamburger Modell, Wiedereingliederung, Krankheit, Krankenkasse, Arbeitsplatz, Rehabilitation
5 von 5 Sterne
Bewerten mit: 5 Sterne 4 Sterne 3 Sterne 2 Sterne 1 Stern
3

Die Wiedereingliederung zur beruflichen Rehabilitation des Arbeitnehmers während der Krankschreibung

Menschen, die wegen schwerer Erkrankungen lange Zeit nicht arbeiten konnten, haben ein Anrecht auf einen sanften Wiedereinstieg in ihren alten Arbeitsplatz - die so genannte Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell. Was es damit auf sich hat, erklärt uns Rechtsanwältin Dr. Jana Mühlsteff im Interview.

Hamburger Modell: Stufenweise Eingliederung unter Bezug von Krankengeld

123recht.de: Frau Mühlsteff, die Wiedereingliederung erfolgt oft nach dem Hamburger Modell. Was bedeutet das?

Jana Mühlsteff
Partner
seit 2013
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Sozialrecht
Wilhelmstraße 65
52070 Aachen
Tel: 0241 / 95 785 446
Web: http://www.rain-muehlsteff.de
E-Mail:
Sozialversicherungsrecht, Künstlersozialversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung

Rechtsanwältin Mühlsteff: Als Hamburger Modell wird die Möglichkeit bezeichnet, nach längerdauernder Erkrankung gleich welcher Art noch während der Krankschreibung stufenweise an den angestammten Arbeitsplatz zurückzukehren. Das Angebot richtet sich an gesetzlich Krankenversicherte. Einer ärztlichen Verordnung folgend wird im Zusammenwirken mit dem Arbeitgeber ein Plan erstellt, der die sukzessive Rückkehr an den Arbeitsplatz unter Weiterbezug des Krankengeldes regelt.

Von Bedeutung ist, dass es sich hierbei noch nicht um die reguläre Wiederaufnahme der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit handelt, sondern um eine medizinische Rehabilitationsmaßname. Die in dem Plan vereinbarte Arbeitsleistung wird deshalb nicht aufgrund des wegen der Krankschreibung noch ruhenden Arbeitsvertrages erbracht. Vielmehr wird ein zusätzlicher Wiedereingliederungsvertrag geschlossen, der nicht das Austauschverhältnis Arbeit gegen Geld, sondern die berufliche Rehabilitation des Arbeitnehmers zum Inhalt hat.

Eine stufenweise Wiedereingliederung kommt nicht nur zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch unter der Trägerschaft der Rentenversicherung in Betracht. Diese Möglichkeit besteht im unmittelbaren Anschluss an eine von der Rentenversicherung gewährte Leistung der medizinischen Rehabilitation und unter Mitwirkung der Ärzte der Rehabilitationseinrichtung.

123recht.de: Gibt es auch andere Modelle?

Rechtsanwältin Mühlsteff: Alternativ kann im Zuge der Rückkehr an den Arbeitsplatz im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber eine Modifikation des Arbeitsvertrages erfolgen, etwa in Form einer Umsetzung, wenn der Arbeitnehmer den Belastungen, denen er auf seinem bisherigen Arbeitsplatz ausgesetzt war, nicht mehr gewachsen sein sollte. Denkbar wäre auch eine einvernehmliche Umgestaltung des alten Arbeitsplatzes oder eine Reduktion der Arbeitszeit auf eine Teilzeittätigkeit. Auf Letzteres hat der Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen des § 8 TzBfG einen Anspruch.

123recht.de: Was heißt stufenweise Wiedereingliederung beim Hamburger Modell genau?

Rechtsanwältin Mühlsteff: Das Arbeitspensum wird innerhalb einiger Wochen oder Monate schrittweise erhöht, bis die ursprüngliche Belastung wieder erreicht ist. Diese schrittweise Erhöhung der Belastung betrifft nicht nur den zeitlichen Umfang, sondern auch den Inhalt der Tätigkeit. Der Arbeitnehmer erhält damit die Möglichkeit, seine Belastbarkeit entsprechend dem Stand der wiedererreichten körperlichen, geistigen und seelischen Leistungsfähigkeit zu steigern.

Den Wiedereingliederungsplan erstellt der Arzt

123recht.de: Wer bestimmt, wie viele Stunden oder Tage gearbeitet werden soll?

Rechtsanwältin Mühlsteff: Welche arbeitsbedingten Belastungen infolge der fortbestehenden krankheitsbedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit zu vermeiden sind, bestimmt der behandelnde Arzt. Dieser stellt einen Wiedereingliederungsplan auf, der mit der Krankenkasse und mit dem Arbeitgeber abzustimmen ist. Der Plan ist dem mit dem Arbeitgeber abzuschließenden Wiedereingliederungsvertrag zugrunde zu legen.

123recht.de: Wo muss man die Wiedereingliederung beantragen? Was ist zu beachten?

Rechtsanwältin Mühlsteff: Erster Ansprechpartner ist der behandelnde Arzt, bei einem Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik sind es die dort betreuenden Ärzte.

Zuständiger Träger ist die gesetzliche Krankenversicherung, wenn der Betreffende als gesetzlich Versicherter Krankengeld bezieht. Bei Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme der Rentenversicherung ist diese zuständig.

Da die Realisierung der Wiedereingliederung das Zusammenwirken von Arzt, Versichertem, Krankenkasse und nicht zuletzt Arbeitgeber voraussetzt, sollte der Arbeitgeber möglichst frühzeitig in die Pläne eingebunden werden.

123recht.de: Wie lange dauert die Eingliederung?

Rechtsanwältin Mühlsteff: Die Dauer der Wiedereingliederung hängt von der Art der Krankheit und der Dauer der bisherigen Arbeitsunfähigkeit ab. Auszugehen ist von einer etwa sechswöchigen bis in der Regel maximal sechsmonatigen Dauer der Maßnahme.

Der Arbeitgeber kann die stufenweise Wiedereingliederung ablehnen

123recht.de: Muss der Arbeitgeber der stufenweisen Wiedereingliederung zustimmen oder kann er auch ein anderes Modell vorschlagen?

Rechtsanwältin Mühlsteff: Der Arbeitgeber ist im Regelfall nicht zum Abschluss eines auf Wiedereingliederung gerichteten Vertrages verpflichtet. Erklärt der Arbeitgeber, dass es nicht möglich sei, den Versicherten zu beschäftigen, dann kann die stufenweise Wiedereingliederung nicht durchgeführt werden. Nur ausnahmsweise hat das BAG einen solchen Anspruch für schwerbehinderte Arbeitnehmer bejaht. Im Übrigen hängt die Umsetzung der geplanten Maßnahme vom Einvernehmen aller Beteiligten ab. Der Arbeitgeber ist daher auch befugt, Änderungen vorzuschlagen.

123recht.de: Muss der Arbeitgeber in dem Zeitraum Gehalt zahlen?

Rechtsanwältin Mühlsteff: Während der vereinbarten Dauer der Wiedereingliederung wird nicht aufgrund des noch ruhenden Arbeitsvertrages, sondern auf der Basis des mit dem Arbeitgeber geschlossenen Wiedereingliederungsvertrages gearbeitet. Aus diesem Grunde besteht während dieser Zeit kein Anspruch auf Zahlung des auf dem Arbeitsvertrag basierenden Gehaltes. Vielmehr erhält der Versicherte weiterhin Krankengeld von der GKV oder Übergangsgeld von der Rentenversicherung. Die Zahlung von Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber kann vereinbart werden; wird aufgrund einer solchen Vereinbarung ein Entgelt gezahlt, wird dieses allerdings auf das Krankengeld angerechnet.

Die Vereinbarungen der Wiedereingliederung sind nicht in Stein gemeißelt

123recht.de: Was ist, wenn der Einzugliedernde merkt, dass er den Anforderungen noch nicht wieder gewachsen ist? Oder wenn er im Zeitraum der Eingliederung erkrankt, z.B. an einer Grippe?

Wenn sich während der Wiedereingliederung herausstellt, dass die Anforderungen noch zu hoch sind, dann ist eine Anpassung vorzunehmen. Wenn die Wiedereingliederung im Falle einer Erkrankung unterbrochen werden muss, wird weiter Krankengeld gezahlt.

123recht.de: Und wenn der Einzugliedernde merkt, dass er die Anforderungen möglicherweise gar nicht mehr erfüllen kann?

Die Tätigkeit kann jederzeit abgebrochen werden, wenn sich der Betreffende den Belastungen nicht gewachsen fühlt. Wenn sich abzeichnet, dass gesundheitliche Einschränkungen bestehen bleiben, sollte ein Antrag auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, zu stellen bei der DRV, in Betracht gezogen werden.

123recht.de: Vielen Dank, Frau Mühlsteff.

Das könnte Sie auch interessieren
Arbeitsrecht Betriebliches Eingliederungsmanagement
Versicherungsrecht BGH: Kein Krankentagegeld bei Wiedereingliederung HH Modell