Der Arbeitsunfall - wenn sich Arbeitnehmer verletzen

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Was müssen Arbeitnehmer wissen und welche Ansprüche bestehen bei Verletzungen während der Arbeit?

Auf dem Weg zur Arbeit ausgerutscht oder bei der Arbeit nicht aufgepasst - Verletzungen können schnell passieren. Wer kommt für die Verletzung auf und welche Ansprüche haben Arbeitnehmer? 123recht.de im Interview mit Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Anja Barth zum Thema Arbeitsunfall.

Unfälle von versicherten Personen während einer versicherten Tätigkeit

123recht.de: Frau Barth, was ist ein Arbeitsunfall?

Anja Barth
Partner
seit 2017
Notarin und Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Hügelstr. 25
64584 Biebesheim
Tel: 0625898190
Web: http://www.ra-knoebel.de
E-Mail:
Erbrecht, Grundstücksrecht

Rechtsanwältin Barth: Der Begriff des Arbeitsunfalls ist weit gefasst. Hierunter sind nicht nur Unfälle zu verstehen, die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb erleiden.

Der Versichertenkreis der gesetzlichen Unfallversicherung hat sich im Lauf der Zeit deutlich erweitert. Auch Schüler im Unterricht, Kinder im Kindergarten und Menschen, die nach einem Verkehrsunfall Erste Hilfe leisten, erhalten Versicherungsleistungen. Ein Beinbruch im Sportunterricht zählt ebenso wie eine Schnittwunde in der Schreinerwerkstatt als Unfall auf der Arbeit. Auch ein Wegeunfall fällt in aller Regel unter die gesetzliche Unfallversicherung.

Als Arbeitsunfall sind also alle Unfälle anzusehen, die versicherte Personen infolge einer versicherten Tätigkeit erleiden.

Bei Wegeunfällen liegen die Feinheiten im Detail

123recht.de: Sie sprechen von Wegeunfällen. Also sind auch Unfälle auf dem Arbeitsweg Arbeitsunfälle?

Rechtsanwältin Barth: Generell gilt, dass Wegeunfälle auf dem Weg zur Arbeit in aller Regel auch Arbeitsunfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sind. Versicherte haben also auch auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeit (oder Schule und Kindergarten) bereits Versicherungsschutz. Allerdings gibt es hier einige Dinge zu beachten. Ein Unfall auf dem Arbeitsweg ist nur so lange versichert, wie der direkte Weg eingehalten wird. Sobald der Weg zur Arbeit mit privaten Erledigungen wie Einkäufen oder Besuchen verknüpft wird, besteht kein Versicherungsschutz für diesen Weg mehr. Die Feinheiten liegen also hier im Detail.

In der Vergangenheit gab es etliche Grundsatzentscheidungen des BSG, wodurch der rechtliche Rahmen abgesteckt wurde, wo die Grenze zwischen Arbeits- und Privatsphäre verläuft. Hier einige Grundsätze:

Die Fahrzeugwahl steht dem Beschäftigten frei. Nicht nur der Autounfall auf dem Weg zur Arbeit ist als Arbeitsunfall abgesichert; der Versicherungsschutz greift auch, wenn der Weg mit dem Fahrrad, Motorrad, in der Bahn, o.ä. zurückgelegt wird.

Der Schutz beginnt und endet an der Außentür des Wohngebäudes, d.h. Unfälle im Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses sind nicht mehr abgesichert.

Abweichungen vom direkten Weg schaden dem Versicherungsschutz. Ein Umweg über den Bäcker, das Absetzen der Kinder im Kindergarten oder auch ein Umweg zur Mitnahme eines Mitfahrers bei Fahrgemeinschaften lässt den Versicherungsschutz entfallen.

Der Versicherungsschutz wird nach einem Umweg wieder aktiviert durch Rückkehr auf die normale Route.

Besondere Verkehrsführung kann eine Ausnahme gestatten, z.B. um einen Stau zu umfahren.

Arbeitgeber sind bei Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen zur Meldung bei der Berufsgenossenschaft verpflichtet

123recht.de: Wer ist der Ansprechpartner bei einem Arbeitsunfall?

Rechtsanwältin Barth: Ein Arbeitsunfall, der zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen führt, muss der zuständigen Berufsgenossenschaft vom Arbeitgeber gemeldet werden. Die zuständige Berufsgenossenschaft entscheidet darüber, ob ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird.

123recht.de: Wie wird der Arbeitsunfall festgestellt?

Rechtsanwältin Barth: Die Vorstellung bei einem Durchgangsarzt ist zu empfehlen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als einen Tag andauert; dieser schreibt einen Bericht und leitet ihn direkt an die Berufsgenossenschaft weiter. Der D-Arzt entscheidet auch, ob die Behandlung durch einen Hausarzt weitergeführt werden kann (die dann durch ihn überwacht wird) oder, ob weitergehende Maßnahmen erforderlich sind.

Durchgangsärzte sind für die Behandlung von Unfallverletzten besonders qualifiziert, verfügen über eine entsprechende Ausstattung in der Praxis und haben für die Tätigkeit als D-Arzt eine gesonderte Zulassung.

Unfallereignis und Schaden müssen im Zusammenhang stehen

123recht.de: Kann die Versicherung die Kostenübernahme ablehnen?

Rechtsanwältin Barth: Kein Versicherungsschutz besteht, wenn Verletzungen oder Gesundheitsschäden zufällig während einer versicherten Tätigkeit ohne Einwirkung von außen auftreten, z.B. ein Mitarbeiter, der am Schreibtisch plötzlich einen Herzinfarkt erleidet.

Der Versicherungsschutz kann auch erloschen sein, weil auf dem Weg zur Arbeit ein Umweg gefahren wurde, z.B. um ein Kind am Kindergarten abzugeben.

Nicht zuletzt muss zwischen dem Unfallereignis und dem erlittenen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Die Unfallversicherung hat den Schutz versagt bei einem Wegeunfall eines gestürzten Fußgängers auf dem Weg zur Arbeit; zwar war der Sturz auf dem direkten Weg ohne Umweg erfolgt, die dadurch erlittene Knieverletzung (ein Sehnenriss) war aber im Wesentlichen auf eine hochgradige Vorschädigung des Knies durch eine frühere Verletzung zurückzuführen und wäre ohne Vorschädigung nicht so gravierend ausgefallen.

123recht.de: Nochmal zu der Situation, dass der Vater sein Kind auf dem Weg zur Arbeit noch zum Kindergarten bringt: Wenn Vater und Kind versichert sind, könnte die Kombination Arbeitsweg und Kindergarten hier nicht doch voll versichert sein? Wie schätzen Sie das ein?

Rechtsanwältin Barth: Sie haben recht, die Frage ist zu differenzieren. Der Elternteil ist auch bei einem Umweg über den Kindergarten mitversichert, wenn die Betreuung zur Ausübung der Berufstätigkeit notwendig ist, weil z.B. beide Eltern arbeiten oder das Elternteil alleinerziehend ist.

Der Umweg ist dagegen nicht versichert, wenn ein Elternteil nicht arbeitet und das Kind betreuen könnte. Umgekehrt besteht auch für das Kind trotz Umweg Versicherungsschutz, wenn es wegen Berufstätigkeit der Eltern nicht direkt nach Hause, sondern irgendwohin geht, wo es betreut wird.

Die Unterscheidung ist sehr fein, daher bleibt es dabei, dass unter bestimmten Umständen der Versicherungsschutz auch beim Kindergartenumweg erlöschen kann.

123recht.de: Was kann der betroffene Arbeitnehmer machen, wenn die Versicherung nicht zahlt? Die Verletzung ist ja trotzdem eingetreten.

Rechtsanwältin Barth: Die Unfallversicherung entscheidet durch Bescheid, ob ein Unfall anerkannt wird oder nicht. Bei Ablehnung kann der Geschädigte dagegen Widerspruch einlegen; sollte auch der Widerspruch nicht zum Erfolg führen, kann der Arbeitnehmer beim Sozialgericht die Feststellung des Arbeitsunfalls einklagen.

Hat das alles keine Erfolg, bleibt der Arbeitnehmer auf den Kosten sitzen bzw. muss diese über seine Krankenversicherung abwickeln.

Sachschäden werden nicht ersetzt

123recht.de: Welche Leistungen stehen einem betroffenen Arbeitgeber zu?

Rechtsanwältin Barth: Die Leistungen umfassen insbesondere Heilbehandungsmaßnahmen, medizinische Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z.B. Umschulung), Geldleistungen an Versicherte (z.B. Entgeltersatz oder Rente), und – im Todesfall – Leistungen an Hinterbliebene (Witwen-/Witwer- oder Waisenrente).

Nicht ersatzfähig sind Sachschäden, z.B. eine beschädigte Brille oder Kleidung.

Daneben besteht natürlich (bei mehr als vier Wochen dauernder Beschäftigung) ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber, sofern Arbeitsunfähigkeit besteht. Dieses wird sechs Wochen lang gezahlt, danach wird von der Unfallversicherung Verletztengeld geleistet, bis längstens zur 78. Woche nach dem Arbeitsunfall.

Arbeitgeber oder Beschäftigte haften nur bei Vorsatz

123recht.de: Was versteht man unter dem Begriff „Haftungsprivileg"?

Rechtsanwältin Barth: Sonstige Ansprüche, wie Schmerzensgeld oder wegen Sachbeschädigung, können nur gegen den Unternehmer oder einen im Betrieb tätigen Mitarbeiter geltend gemacht werden, sofern diese den Schaden verursacht haben.

§§ 104, 105 SGB VII enthalten aber ein sog. Haftungsprivileg, wonach Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber oder einen anderen Beschäftigten, die den Arbeitsunfall herbeigeführt haben, von Schadensersatzansprüchen freigestellt sind – es sei denn, sie haben vorsätzlich gehandelt.

Hintergrund für diese Regelung ist zum einen, dass die Arbeitgeber schon die Unfallversicherung alleine finanzieren und nicht noch daneben weitergehenden Ansprüchen ausgesetzt sein sollen, sofern sie nicht vorwerfbar gehandelt haben.

Weiterhin sollen Streitigkeiten um die Ersatzpflicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vermieden werden, um den Betriebsfrieden zu gewährleisten.

Der Arbeitnehmer ist also bei einem Arbeitsunfall in aller Regel auf die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung beschränkt, die allerdings in erster Linie Heilbehandlung und Rehabilitation vorsieht, nicht aber Schadensersatz für Sachschaden oder Schmerzensgeld.

123recht.de: Ist eine Versicherung zwingend für alle Arbeitgeber notwendig? Gibt es Ausnahmen?

Rechtsanwältin Barth: Bei der gesetzlichen Unfallversicherung handelt es sich um eine Pflichtversicherung für den in § 2 SGB VII genannten Personenkreis, wie z.B. Arbeitnehmer, Auszubildende, Kindergartenkinder, Schüler, ehrenamtlich Tätige, Nothelfer, etc..

Nicht umfasst sind z.B. Beamte, Selbständige oder mitarbeitende Familienangehörige.

Beamte sind gegen Dienstunfälle nach dem Beamtenversorgungsgesetz abgesichert

123recht.de: Was gilt für Beamte?

Rechtsanwältin Barth: Beamte zählen nicht zum versicherten Personenkreis gem. §§ 2, 3 und 6 SGB VII, sondern sie sind gem. § 4 SGB VII von der Versicherungspflicht befreit.

Unabhängig davon ist der Beamte aber dennoch gegen Dienstunfälle abgesichert; er erhält in diesem Fall von seinem Dienstherrn Leistungen der Unfallfürsorge nach dem BeamtVG. Die Unfallfürsorge umfasst je nach Einzelfall die Erstattung von Sachschäden und besonderen Aufwendungen, Heilbehandlung, Unfallausgleich, Unfallruhegehalt oder Unterhaltsbeitrag, Unfallhinterbliebenenversorgung, einmalige Unfallentschädigung.

Voraussetzung ist auch hier die Anerkennung als Dienstunfall; weiterhin müssen Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist gemeldet werden. Für Sachschaden gilt eine sehr kurze Frist von 3 Monaten, für andere Ansprüche muss der Dienstunfall innerhalb von zwei Jahren dem Dienstherrn gemeldet worden sein.

123recht.de: Vielen Dank für das informative Gespräch.

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