Kursmanipulation bei der Wirecard AG durch Leerverkäufe?

Mehr zum Thema: Vertragsrecht, Leerkauf, Kursmanipulation, Wirecard, Leerverkäufe
4 von 5 Sterne
Bewerten mit: 5 Sterne 4 Sterne 3 Sterne 2 Sterne 1 Stern
9

Was ist vorgefallen?

Ein anonymer Autor warf im Februar 2016 dem internationalen Anbieter für elektronische Zahlungs- und Risikomanagementlösungen WirecardAG betrügerisches Geschäftsgebaren vor. Darüber berichtete ein bis dahin unbekanntes Analysehauses namens „Zatarra Research“, was einen Einbruch der Aktie der im Tecdax gelisteten Firma zur Folge hatte. Schnell wurde gemutmaßt, dass systematisch durchgeführte Leerverkäufe diesen Kurssturz verursachten.

Was versteht man unter einem sogenannten Leerverkauf?

Leerverkäufer sind Spekulanten, die auf fallende Kurse setzen. Dafür leihen sie sich Aktien, in der Regel bei einer Bank, gegen eine Gebühr von meistens um die zwei Prozent des Aktienwertes und verkaufen sie. Geht ihre Wette auf, können sie später die Papiere günstiger erwerben und dem Verleiher zurückgeben. Dabei ist der Gewinn die Differenz zwischen Verkaufspreis und Rückkaufpreis. Aus einem Leerverkauf entsteht üblicher Weise eine sogenannte Short-Position, also eine Wette auf fallende Kurse. Durch eine Wertpapierleihe wird der Leerverkäufer im juristischen Sinn Eigentümer des geliehenen Wertpapiers. Ausschlaggebend ist jedoch die wirtschaftliche Betrachtungsweise, ob durch den Verkauf eine Shortposition entsteht, das heißt, ob der Verkäufer durch die Transaktion wirtschaftlich von einem Preisrückgang des verkauften Wertes profitiert oder nicht. Leerverkäufe können entweder als Terminsgeschäft oder als Kassageschäft (Normalfall) getätigt werden. Bei Leerverkäufen über unbedingte Termingeschäfte (sog. Forwards bzw. Futures) muss im Gegensatz zum Kassageschäft erst in der Zukunft geliefert werden. Sofern eine bedeutende Anzahl von Leerverkäufen vorliegt, fällt der Wertpapierkurs, wenn nicht gleichzeitig eine mindestens ebenso hohe Anzahl von Käufern des Wertpapiers eine sog. Long-Position eingeht (Wette auf steigende Kurse).

Ulrich Schulte am Hülse
Partner
seit 2010
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Yorckstraße 17
14467 Potsdam
Tel: 0331 - 97 93 75 0
Tel: 030 - 80 58 53 30
Web: http://www.ilex-recht.de
E-Mail:
Datenschutzrecht, Kapitalmarktrecht, Kapitalanlagenrecht, Wirtschaftsrecht

Wer tätigt normalerweise solche Leerkäufe?

Es gibt einige Marktteilnehmer, die aus dem Absturz der Aktie der Wirecard AG einen Nutzen ziehen konnten. So hat neben mehreren angelsächsischen Hedgefonds zuletzt etwa das „Canada Pension Plan Investment Board“ auf fallende Wirecard-Kurse gesetzt – also die kanadische Rentenkasse. Gerade Hedgefonds haben ein erhebliches Interesse daran, durch Leerverkäufe mittelbar „short“ zu gehen und einen erheblichen Profit zu erzielen durch die Differenz zwischen Verkaufspreis und Rückkaufpreis bei Aufgehen der Leerverkauf- Wette.

Ursprünglich wurden Hedge-Fonds gegründet, um Investoren gegen bestimmte Risiken abzusichern. Vielen gemanagten nicht gehedgeten Publikums- Aktienfonds ist es gemäß eigenen und publizierten Vorgaben verboten auf fallende Kurse zu setzen und short zu gehen. Dies auch im Interesse eigener spekulationsaverser Anleger. Schließlich kann es erhebliche Verluste für den Anleger bedeuten wenn die (mitunter) gehebelte Short- Wette nicht aufgeht. Sofern der breite Markt jedoch für nicht unerhebliche Zeit erheblich fällt oder eine gefühlte Ewigkeit mehr oder weniger seitwärts läuft, können in Hedgefonds investierte Anleger gegenüber Anlegern von Fonds, denen es verboten ist, short zu gehen, überdurchschnittlich profitieren von erfolgreichen Leerverkäufen wohingegen die Anteilseigner des Leerverkaufs- „Opfers“ mitunter drastische finanzielle Einbußen erleiden , wozu üblicherweise auch die Vorstandsetage zählt. Mittlerweile haben diese speziellen Investmentfonds (Hedgefonds) mit Absicherung nicht mehr viel zu tun – im Gegenteil: Meist zeichnen sie sich durch eine besonders riskante Anlagestrategie aus.

Welche Firmen sind aus welchen Gründen von solchen Leerkäufen betroffen?

Die Wirecard AG war in der Vergangenheit schon in einiger Regelmäßigkeit Ziel von Anschuldigungen, die den Aktienkurs einbrechen ließen. Maßgeblicher Grund dafür, dass (professionelle) Short- Seller es immer wieder auf die Wirecard AG absehen, dürfte Experten zufolge sein, dass sowohl das Geschäftsmodell als auch das Zahlenwerk des Unternehmens zu komplex wären. Vor allem immer neue und weltweite Akquisitionen von Zahlungsanbietern haben die Transparenz der Bilanz seit der Börsennotierung reduziert.

Aktiengesellschaften kommen dann vermehrt ins Visier der professionellen Leerverkäufer sofern diese im Geschäftsverkehr nicht ethisch korrekt handeln, oder wenn die Politik durch neue Verbote oder Vorgaben Geschäftsmodelle von Aktiengesellschaften bewusst oder unbewusst auf eine harte Probe stellen (bspw. die Eon AG, die EnBW Energie Baden-Württemberg AG und die RWE AG durch die gesetzlich vorgeschriebene sukzessive Abschaffung der von diesen betriebenen Atomkraftwerken inklusive Rückbauverpflichtung).

Ziele von Leerverkäufern sind zudem Gesellschaften, die von dem Großteil der Analysten mit aktuellen Verkaufsempfehlungen konfrontiert wurden, Gesellschaften, die selbst öffentlich Negativprognosen für die eigene nähere Zukunft im Rahmen Ihrer Hauptversammlung oder gar Gewinnwarnungen ausgesprochen haben. Auch ist eine Aktiengesellschaft erheblich Leerverkaufsgefährdet, wenn Gerüchte über baldige Unternehmenszerschlagungen die Runde machen bzw. Rekordverluste öffentlich publik gemacht werden mussten, beispielsweise auf Grund eines aktuell sehr schwierigen Marktumfeldes. Auch sind besonders betroffen solche Firmen, die aus den großen Indizes wie dem DAX oder dem MDAX herausfallen und durch eine andere Gesellschaft ersetzt werden, welche aufrückt. Zahlreiche Fondsgesellschaften sind zudem gezwungen, einen Wert zu kaufen, wenn er in den Dax aufsteigt bzw. einen Wert zu verkaufen, wenn er beispielsweise aus dem DAX oder MDAX absteigt. So bilden einige Indexfonds den Dax bzw. den MDAX  genau nach. Dazu kommen zahlreiche Aktienfonds, die sich am Leitindex orientieren. Einige Fondsmanager von deutschen Standardwertefonds dürfen nicht weit vom Dax abweichen. Andere müssen eine ausführliche Begründung dafür geben, wenn sie einen Dax-Wert nicht in ihren Fonds nehmen. Darüber hinaus sind in Europa-Aktienfonds und in globalen Aktienfonds jeweils etliche Milliarden Euro angelegt. Auch davon wird ein Teil in deutschen Standardwerten investiert bzw. verkauft wenn ein Wert eben kein Standardwert mehr ist, wenn er z.B. vom MDAX in den SDAX abgestiegen ist.

Gemäß einer von Focus Money am 12.03.2016 veröffentlichten Top-10-Liste von deutschen Firmen, die von Leerverkäufern besonders  betroffen sind durch entsprechendes Halten von erheblichen Leerverkaufspositionen, ist Wirecard auf Platz 4. Noch häufiger sind nur noch betroffenen die K+S-AG, die Heidelberger Druckmaschinen AG und die Aixtron SE. Auf den Plätzen 5 – 10 siedeln sich an die Bilfinger SE, die Klöckner & Co SE, die Metro Group, die Kuka AG, die Grammer AG sowie die Salzgitter AG.

Was versteht man unter ungedeckte Leerverkäufe?

Bei Geschäften in Form von ungedeckten Leerverkäufen haben Investoren die verkauften Papiere sich noch nicht einmal geliehen, was die Risiken noch erhöht. Es handelt sich um die Praxis des „Naked Short Selling“.Diese Strategie wurde unter anderem im Oktober 2008 im Zusammenhang mit der Volkswagen AG angewandt und hatte dort erhebliche Auswirkungen.

Zu diesem Zeitpunkt schoss die Aktie von der Volkswagen AG kometenhaft und wie eine Fahnenstange nach oben bis auf knapp 1000,00 Euro Kurswert pro Aktie hoch von zuvor rund 200,00 € Kurswert. Zeitweilig war der Wolfsburger Autobauer der wertvollste Konzern der Welt. Auch hier wurden Leerverkäufer als Verursacher der Kursturbulenzen vermutet. Die Spekulanten hatten sich jedoch verschätzt, denn durch Porsches Übernahmepoker gab es weniger Aktien am Markt als gedacht. Die Zocker mussten Höchstpreise zahlen, um mit den wenigen verbliebenen Papieren ihre Rechnungen zu begleichen.

Sind solche Vorgänge erlaubt?

Shortselling war in der industrialisierten Welt lange Zeit ausschließlich Profis vorbehalten. Inzwischen können aber auch Privatanleger über einige Online-Broker mit geliehenen Wertpapieren auf fallende Kurse wetten. In Krisenzeiten gelten diese delikaten Geschäfte immer wieder als „Brandbeschleuniger“ – und werden von den Regulierern häufig vorübergehend untersagt. Wetten wie ungedeckte Leerverkäufe können Finanzkrisen verschärfen, deswegen hat die Europäische Union sie verboten. Großbritannien klagte dagegen. Doch der EuGH entscheid, dass „Brüssel“ das Verbot rechtens erließ. Ungedeckte Leerverkäufe von Aktien und von Staatsanleihen von Euro-Ländern sind seit Sommer 2010 gesetzlich komplett  verboten worden.

Wann stehen Geschädigten Schadensersatzansprüche zu?

Eine Voraussetzung des Bestehens eines Schadensersatzanspruches ist das Vorliegen eines bezifferbaren Schadens. Bei der ordnungsgemäßen Erfüllung ist ein Schaden des Leerverkäufer- Vertragspartners nicht gegeben. Für den Fall des Scheiterns der eingegangen Erfüllungsverpflichtung kommen die gesetzlichen Regelungen des Leistungsstörungsrechts zum Zuge. Der Geschädigte (also der Käufer des Leerverkäufers) ist dann so zu stellen wie er stünde ohne die Pflichtverletzung des Leerverkäufers. Ohne die Pflichtverletzung des Leerverkäufers hätte der Käufer Wertpapiere zum vereinbarten Zeitpunkt und zum vereinbarten Kaufpreis erhalten. Der Leerverkäufer hat dann zur Schadenskompensation die Kosten eines Ersatzgeschäftes zu tragen. Diese können nicht unerheblich höher liegen. Wurde der Leerverkauf an einer Börse getätigt, was der Üblichkeit entspricht, kommen die spezielleren Regeln über Zwangsregulierungen an den Börsenplätzen zum Zuge.

Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung für die Emittentin wie auch für die übrigen Aktionäre können dann bestehen, wenn der Leerverkauf einen Schaden verursacht und zugleich die Schädigung als „absichtlich sittenwidrig“ einzuordnen ist. Es muss sich laut einem BGH- Urteil aus 2011 um eine „besondere Verwerflichkeit des Verhaltens aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung und den eingetretenen Folgen ergeben“. Eine solche besondere Verwerflichkeit wird dann anzunehmen sein, wenn die ungedeckten Leerverkäufe getätigt wurden um der Aktiengesellschaft bewusst zu schaden. Die Beweislast dafür hat der Anspruchsteller. Erfolgreich Beweis zu führen ist schwierig ohne eine Art glaubwürdigen „Kronzeugen“ aus dem Umfeld des Leerverkäufers oder ohne eindeutige interne Dokumente zur Verfügung zu haben, die die besondere Verwerflichkeit belegen.

Dr. Ulrich Schulte am Hülse,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Bank- und Kapitalmarktrecht,

ilex Rechtsanwälte,

Voltaireweg 4, 14469 Potsdam,
Tel. 0049 (0) 331 - 97 93 75 0,
Fax. 0049 (0) 331 - 97 93 75 20,
Mail: schulte@ilex-recht.de,
Internet: www.ilex-recht.de