Ausbildung trotz Unterhaltsverpflichtung?

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Darf trotz Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern ein Elternteil eine Erstausbildung absolvieren?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem aktuellen Fall seine bisherige Rechtsprechung vertieft, nach der ein zum Unterhalt Verpflichteter vorrangig seine eigene Erstausbildung absolvieren kann, obwohl er seinen minderjährigen Kindern Unterhalt zahlen müsste (BGH Urteil vom 4. 5. 2011 - XII ZR 70/ 09).

I. Das Problem: Eigene Ausbildung oder Unterhalt zahlen?

Mathias Henke
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Wenn sich junge Eltern trennen, stellt sich oftmals für den Unterhaltspflichtigen Elternteil, d.h. für den Elternteil, bei dem die Kinder nicht leben, ein nicht zu lösendes Problem: einerseits trifft ihn gegenüber seinen minderjährigen Kindern nach dem Gesetz die sogenannte gesteigerte Erwerbsobliegenheit, die ihn verpflichtet, alles erdenklich Mögliche zu unternehmen, um den Kindesunterhalt sicherzustellen, notfalls auch Nebenjobs oder Aushilfejobs anzunehmen.

Andererseits befindet sich der Unterhaltspflichtige Elternteil eben aber oftmals selber noch am Anfang oder sogar vor seiner eigenen Erstausbildung (Studium oder Lehre). Die Einkünfte aus dieser Erstausbildung (Lehre) oder Nebeneinkünfte während dieser Ausbildung (Studium) reichen aber eben dann zumeist nicht aus, um die Unterhaltsansprüche des oder der minderjährigen Kinder sicherzustellen.

Hier stellt sich nun die Frage: Ist der Unterhaltsverpflichtete berechtigt, vorrangig zunächst einmal seine eigene Erstausbildung zu absolvieren auch vor dem Hintergrund, dass er dann keinen Unterhalt zahlen kann. Oder aber soll dem Unterhaltsverpflichteten das Recht auf Erstausbildung verweigert werden, damit er irgendeinen Job ohne Ausbildung annehmen kann, dann aber eben in der Lage ist, Unterhalt zu können.

II. Die Entscheidung des BGH: Eigene Erstausbildung geht der Unterhaltsverpflichtung vor!

Der konkrete Fall: eine Mutter hatte relativ früh im Alter von ca. 17 und 18 Jahren 2 Kinder bekommen, die nach Trennung vom Kindesvater bei diesem aufwuchsen. Die unausgebildete Mutter hatte zunächst jahrelang lediglich als Taxifahrerin gejobbt, dann aber im Alter von 30 Jahren eine Erstausbildung begonnen und die Unterhaltszahlungen eingestellt.

Der BGH gab der Mutter Recht:

Die Erstausbildung gehört nach Ansicht der Bundesrichter zum eigenen Lebensbedarf eines Unterhaltspflichtigen, den dieser grundsätzlich auch bei gesteigerter Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern vorrangig befriedigen darf.

Zwar sei der Unterhaltspflichtige bei minderjährigen Kindern wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht grundsätzlich zur Aufnahme einer Erwerbsfähigkeit verpflichtet, wobei eben das Interesse eines unterhaltspflichtigen Elternteils, unter Zurückstellung bestehender Erwerbsmöglichkeiten eine Aus- oder Weiterbildung aufzunehmen, grundsätzlich hinter dem Unterhaltsinteresse seiner Kinder zurückträte.

Anders sei es hingegen, wenn der Unterhaltspflichtige seine Erwerbstätigkeit nicht zum Zwecke einer Zweitausbildung oder der Weiterbildung in dem erlernten Beruf, sondern zugunsten einer erstmaligen Berufsausbildung aufgegeben habe. Einer solchen Erstausbildung ist regelmäßig auch gegenüber der gesteigerten Unterhaltspflicht der Vorrang einzuräumen. Denn die Erlangung einer angemessenen Bildung zu einem Beruf gehört zum eigenen Lebensbedarf des Unterhaltspflichtigen, den dieser grundsätzlich vorrangig befriedigen darf.

Allerdings, so betonte der BGH, käme es letztendlich auf die Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls an, insbesondere die Tatsache, warum der Unterhaltspflichtige gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Erstausbildung aufnimmt und wie sich die Absolvierung der Ausbildung langfristig auf den Kindesunterhalt auswirken wird.

Im konkreten Fall stellte der BGH aber hierzu ausdrücklich fest, dass die 30 jährige Kindesmutter vorher schließlich überhaupt keinerlei Möglichkeit gehabt habe, eine Erstausbildung zu absolvieren und schließlich auch die Ausbildung selbst aufgrund der dann steigenden Arbeitsmarktchancen noch unterhaltstechnisch den Kindern wieder zugutekommen würde.

III. Bewertung

Der BGH schließt mit dieser Entscheidung fast nahtlos an eine bereits ältere Entscheidung aus dem Jahr 1993 an (BGH-Urteil  vom 15. Dezember 1993 - XII ZR 172), dieser ausdrücklichen Vertiefung und Wiederholung der älteren Entscheidung ist insbesondere aus verfassungsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Gründen ausdrücklich beizupflichten:

Das Recht auf eine eigene Ausbildung kann man mit guten Gründen in den Bereich eines Verfassungsrechtes rücken, mindestens aber aus Art. 1 Grundgesetz, dem Grundsatz auf menschenwürdiges Dasein, herleiten. Dieses Recht würde konterkariert und ausgehöhlt werden, wenn ein junger unterhaltspflichtiger Elternteil gezwungen wäre, auf eine eigene Erstausbildung zu verzichten, um den Unterhalt der minderjährigen Kinder sicherzustellen: Hier muss der Sozialstaat einspringen und über Zahlungen der Unterhaltsvorschusskasse eben den Zeitraum der Ausbildung überbrücken. Wenn ein Sozialstaat überhaupt Sinn machen soll, dann in derartigen Fallgestaltungen. Auch der Staat selber hat schließlich ein hinreichendes Interesse daran, dass junge Eltern eine Erstausbildung absolvieren, um anschließend sowohl sich als auch die Kinder ernähren zu können.

Aber: Wie der BGH betonte, ist dieser Grundsatz jedoch kein Freibrief für ausgedehnte und endlose Ausbildungen: Mehrfacher Ausbildungswechsel, „Bummelstudium" oder völlig sinnlose am Arbeitsmarkt vorbeigehende Studien und Lehren werden auch in Zukunft nicht geeignet sein, die von den Bundesrichtern eingeräumte Ausnahmeregelung zu erfüllen.

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