Zu kalt am Arbeitsplatz?

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Welche Temperaturen müssen Arbeitnehmer bei der Arbeit hinnehmen?

Gerade in den letzten Wochen während der Frostperiode mussten wieder einige Arbeitnehmer zähneklappernd ihre Jobs verrichten. Doch muss das sein, ist man den Sparmaßnahmen des Chefs hilflos ausgeliefert? Was sagt eigentlich die Arbeitsstättenverordnung zum Thema "Gesundheitgefährdende Temperaturen"? Rechtsanwalt Tobias Michael beantwortet unsere Fragen.

123recht.de: Herr Michael, frieren am Arbeitsplatz, muss das sein?

Tobias Michael
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Rechtsanwalt Michael: Lapidar kann man sagen: Nein, frieren muss nach dem Gesetz am Arbeitsplatz niemand. Der Gesetzgeber schützt den Arbeitnehmer und verpflichtet den Arbeitgeber dazu, seine Angestellten vor Kälte und Witterungseinflüssen zu schützen. Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt sein, als „die Natur der Dienstleistung es gestattet" (§ 618 BGB).

Bei Arbeiten im Freien gelten keine Mindesttemperaturen

123recht.de: Gibt es Unterschiede je nach Art und Ort des Arbeitsplatzes?

Rechtsanwalt Michael: Je nach Arbeitsort gibt es unterschiedliche Anforderungen an die Einrichtung des Arbeitsplatzes. Die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und die Arbeitsstättenregeln (ASR) bestimmen die einzelnen Anforderungen näher. Dabei wird zunächst unterschieden zwischen Temperaturen und Witterungsverhältnissen in Räumen und im Freien. In geschlossenen Arbeitsräumen muss die Raumtemperatur gesundheitlich zuträglich sein. Arbeitsplätze, die nicht vollständig umschlossen sind, müssen jederzeit ohne Gesundheitsgefährdung benutzt werden können.

Findet die Arbeit vollständig im Freien statt, müssen die Arbeitsplätze so eingerichtet sein, dass die Arbeitnehmer vor gesundheitsgefährdenden äußeren Einwirkungen geschützt sind.

123recht.de: Gibt es vorgeschriebene Mindesttemperaturen? Wo sind die geregelt?

Rechtsanwalt Michael: Die ASR für Raumtemperaturen schreibt eine Mindesttemperatur abhängig von der Art der Tätigkeit vor. Bei Arbeiten im Freien gelten im Übrigen keine Mindesttemperaturen. Hier geben aber oft technische Umstände vor, ob überhaupt gearbeitet werden kann. Beispielsweise kann auf Baustellen unterhalb bestimmter Temperaturen Beton, Mörtel oder anderes Material nicht mehr fachgerecht verarbeitet werden.

Grundsätzlich sieht die ArbStättV bei Arbeiten auf Baustellen vor, dass die Arbeitnehmer sich gegen Witterungseinflüsse geschützt umkleiden, waschen und wärmen können müssen. Die Räumlichkeiten müssen dann wiederum den Vorgaben der ASR für Raumtemperaturen entsprechen.

Die Mindesttemperaturen sind abhängig von der körperlichen Schwere der Arbeit

123recht.de: Wie sind die Temperaturvorgaben konkret und wovon sind sie abhängig?

Rechtsanwalt Michael: Bei sitzenden Tätigkeiten mit leichter körperlicher Arbeit muss die Raumtemperatur 20 °C, bei sitzenden Tätigkeit mit mittlerer körperlicher Tätigkeit mindestens 19 °C betragen. Wer hingegen leichte körperliche Tätigkeiten im Stehen oder Gehen erledigt, muss es nicht wärmer als 19 °C und wer mittlere körperliche Tätigkeiten erledigt, nicht wärmer als 17 °C haben.

Bei schweren Tätigkeiten im Stehen oder Gehen genügen 12 °C.

Dort, wo der Arbeitnehmer regelmäßig keine Arbeit verrichtet, also etwa in Pausen- und Bereitschaftsräumen, soll es mindestens 21 °C warm sein; in Waschräumen mit Duschen mindestens 24 °C.

Auf Baustellen ist für Pausen-, Bereitschafts- Sanitär- und Kantinenräume lediglich eine Mindesttemperatur von 18 °C vorgeschrieben, wenn während der Nutzungsdauer eine Temperatur von 21 °C erreicht werden kann.

123recht.de: Wie wird gemessen, mit einem einfachen Raumthermometer?

Rechtsanwalt Michael: Die ASR für Raumtemperaturen geht davon aus, dass es für die überwiegende Zahl der Arbeitsplätze ausreicht, die Lufttemperatur zu messen. Die Lufttemperatur ist die Temperatur der Luft, die den Menschen umgibt und zwar ohne Einwirkung von Wärmestrahlung.

Diese kann mit einem einfachen Thermometer gemessen werden. Dieses muss jedoch strahlungsgeschützt sein, also z.B. unempfindlich gegenüber UV-Strahlung. Die Messgenauigkeit des Thermometers sollte dabei +/-0,5 °C betragen. Die Messung muss dann jede Stunde erfolgen.

Bei sitzenden Tätigkeiten misst man in einer Höhe von 0,6 m und bei stehenden Tätigkeiten in einer Höhe von 1,1 m. Bei Arbeiten im Freien wird die Außenlufttemperatur in einer Höhe von 2,0 m und mit einem Abstand zur Gebäudeaußenwand von 4,0 m gemessen.

123recht.de: An wen wende ich mich, wenn die Temperatur nicht eingehalten wird?

Rechtsanwalt Michael: Zur Einhaltung der Arbeitsstättenregeln ist der Arbeitgeber verpflichtet, so dass dieser aufgefordert werden kann, die vorgeschriebenen Temperaturen und Arbeitsbedingungen einzuhalten. Ist ein Betriebs- oder Personalrat vorhanden, kann auch dieser auf den Arbeitgeber einwirken. Letztlich kann der Arbeitgeber auch mit anwaltlicher Hilfe abgemahnt werden.

Kommt der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen trotz allem nicht nach, kommt eine Ordnungswidrigkeit in Betracht, wenn der Arbeitgeber vorsätzlich oder fahrlässig beispielsweise eine Gefährdungsbeurteilung nicht ordnungsgemäß dokumentiert oder eine Arbeitsstätte nicht in der vorgeschriebenen Weise einrichtet und betreibt. Eine solche Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße von bis zu EUR 5.000,00 geahndet werden.

Gefährdet der Arbeitgeber im Zuge der Ordnungswidrigkeit vorsätzlich auch die Gesundheit der Arbeitnehmer, macht er sich sogar strafbar und muss mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe rechnen.

Das Bereitstellen warmer Arbeitskleidung reicht nicht aus

123recht.de: Kann der Arbeitgeber, anstatt die Temperatur anzuheben, einfach warme Anziehsachen zur Verfügung stellen und sich darauf berufen?

Rechtsanwalt Michael: Nein, denn die ASR knüpft hinsichtlich der Raumtemperaturen grundsätzlich an objektive Umstände, wie der Lufttemperatur und die Temperatur der umgebenden Flächen an. Hieran ändert auch warme Kleidung nichts, weil die Lufttemperatur als Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung dennoch zu niedrig ist.

Kann allerdings unter Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten die Mindesttemperatur nicht erreicht werden, muss der Arbeitgeber zum Schutz der Arbeitnehmer zusätzliche Maßnahmen treffen. Zunächst hat er dann arbeitsplatzbezogene technische Maßnahmen (z.B. Wärmestrahlungsheizung, Heizmatte) durchzuführen. Wenn auch das nicht hilft, muss er organisatorische Maßnahmen treffen und den Arbeitnehmern beispielweise Aufwärmzeiten ermöglichen.

Erst wenn alle technischen und organisatorischen Maßnahmen eine Gesundheitsgefährdung nicht ausschließen können, muss der Arbeitgeber personenbezogene Maßnahmen ergreifen und u.a. geeignete Kleidung zur Verfügung stellen.

Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, ihre Gesundheit zu riskieren

123recht.de: Welche Möglichkeiten habe ich, wenn ich schon Bescheid gesagt habe, aber sich nichts ändert? Muss ich vor Ort bleiben und meine Gesundheit riskieren?

Rechtsanwalt Michael: Die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer vor Kälte und Witterungseinflüssen zu schützen, dient der Sicherheit und dem Schutz der Gesundheit der Beschäftigten. Genügt der Arbeitgeber diesen Pflichten nicht, so verletzt er seine Fürsorgepflicht.

Handelt es sich nicht nur um einen geringfügigen oder kurzfristigen Verstoß, hat der Arbeitnehmer ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung. D.h. der Arbeitnehmer ist nicht gehalten, seine Arbeitsleistung weiter zu erbringen, wenn sein Leben oder seine Gesundheit gefährdet ist. Infolge des Zurückbehaltungsrechts befindet sich der Arbeitgeber im Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung, sodass der Arbeitnehmer weiterhin einen Anspruch auf seinen Arbeitslohn hat.

Eine solche Vorgehensweise ist aber, nicht nur wegen der damit verbundenen Beweisprobleme, nicht ganz ungefährlich. Verweigert man zu Unrecht seine Arbeitsleistung, droht, neben der grundsätzlichen Belastung des Arbeitsverhältnisses, eine Abmahnung und womöglich gar Kündigung.

123recht.de: Was kann ich tun, wenn ich durch die Kälte schon krank geworden bin, kann ich vom Arbeitgeber eine Art Schmerzensgeld verlangen?

Rechtsanwalt Michael: Erfüllt der Arbeitgeber seine Verpflichtungen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit seiner Angestellten nicht, so kann er bei einem Pflichtverstoß zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet sein. Voraussetzung hierfür wäre allerdings ein vorsätzlicher Verstoß des Arbeitgebers. Dann aber bestände auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld. Dies gilt nur dann nicht, wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung eine so genannte Bagatellverletzung darstellt. Eine solche liegt vor, wenn es sich um eine nur geringe Einwirkung ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung handelt.

123recht.de: Vielen Dank Herr Michael.

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