Der VW-Skandal und das Märchen vom sauberen Diesel

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Hat sich Volkswagen durch die Manipulation der Abgaswerte strafbar gemacht?

Der VW-Skandal bestimmt zur Zeit die Nachrichten. Grund genug einmal den Vorgang auch etwas rechtlich zu beleuchten. 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Frank M.Peter.

Neben Betrug kommt noch Untreue und Luftverunreinigung in Betracht

123recht.de: Herr Peter, in den Medien wird im Zusammenhang mit dem Diesel-Gate häufig das Wort Betrug gebraucht? Kommen überhaupt Straftaten nach dem deutschen Strafgesetzbuch in Betracht?

Rechtsanwalt Peter: Das Wort Betrug wird in den Medien umgangssprachlich für die Täuschung und Manipulation genutzt.

Der Straftatbestand des Betruges ist in § 263 StGB geregelt.

Ein strafrechtlich relevanter Betrug ist dann gegeben, wenn jemand in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält.

Freilich muss auch an das Regelbeispiel des § 263 StGB gedacht werden. In § 263 Absatz 3 wird unter anderem die Gewerbsmäßigkeit und der Vermögensverlust großen Ausmaßes genannt.

Diese Prüfung ist natürlich sehr einfach, wenn es um zwei Personen geht und eine Täuschung vorgenommen wird. Im dem vorliegenden Fall geht es um einen sehr komplexen und noch kaum überschaubaren Sachverhalt, so dass man mit Sicherheit den umgangssprachlichen Betrug annehmen kann, den juristischen Betrug wird man aber erst mit erheblichen Aufwand prüfen müssen.

Zu den weiteren in Betracht kommenden „klassischen" Delikten gehört unbedingt auch die Untreue gemäß § 266 StGB.

Der Betrug beschäftigt sich mit einer Handlung nach außen gegenüber einem Dritten, die Untreue hingegen bewertet vielmehr das Innenverhältnis.

Sobald also der Vorstand Geschäfte abschließt oder Handlungen tätigt, die für die Gesellschaft nachteilig sind, könnte er sich der Untreue strafbar gemacht haben.

Zudem sind die Normen der Straftaten gegen die Umwelt gemäß §§ 324 - 330d StGB in Betracht zu ziehen, wie zum Beispiel nach § 325 StGB die Luftverunreinigung.

In Deutschland können nur natürliche Personen direkt und unmittelbar strafrechtlich belangt werden

123recht.de: Wer muss bei internationalen Konzernen für Straftaten gerade stehen, Vorstand, Aufsichtsrat oder einzelne Manager als Bauernopfer?

Rechtsanwalt Peter: Bisher können lediglich natürliche Personen direkt und unmittelbar strafrechtlich belangt werden.

Ein „echtes" und unmittelbar anwendbares Unternehmensstrafrecht gibt es in Deutschland nicht.

Gegen Unternehmen können derzeit „nur" Geldbußen bis zu maximal zehn Millionen Euro nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (§ 30 OWiG) verhängt werden, wenn eine ihrer Leitungspersonen eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten der Gesellschaft verletzt worden sind oder die zu deren Bereicherung geführt haben oder zumindest führen sollten.

Die weitere mögliche strafrechtliche Sanktionierung von Unternehmen erfolgt daneben ausschließlich über den Verfall und die Einziehung gemäß §§ 73 ff. StGB.

Da die Aktiengesellschaft als juristische Person nicht bestraft werden kann, wird über § 14 StGB auf den Vorstand als handelndes Organ zurückgegriffen.

Weiterhin muss geprüft werden, inwieweit sich einzelne Personen, wie zum Beispiel Mitglieder des Aufsichtsrates oder einzelne Manager des Konzerns, vielleicht sogar Angestellte, die die Manipulationen direkt vorgenommen haben, ebenso strafbar gemacht haben.

Hier kommt vorrangig die Mittäterschaft oder das unterstützende Handeln als Gehilfe in Betracht.

Es muss ganz genau geprüft werden, wer welche Pflichten hatte und wieweit man die „Aufgabenkette" eines Konzerns bis zu welchem Mitarbeiter verfolgen und gegebenenfalls bestrafen kann bzw. muss.

123recht.de: Bei VW heißt es ja beispielsweise immer, dass Herr Winterkorn über alles im Konzern informiert ist. Drohen ihm dann ebenfalls Ermittlungen?

Rechtsanwalt Peter: Natürlich. Als Vorstandschef (so zumindest in der Zeit der Manipulationen) werden sich die Ermittlungen primär gegen ihn und weitere Vorstandsmitglieder richten müssen.

123recht.de: Können jetzt in allen Ländern, in denen VW Autos verkauft werde, Ermittlungsverfahren eröffnet werden? Das wären ja immens viele oder übernimmt das z.B. die USA federführend für alle?

"Jedes Land muss seine eigenen Ermittlungen führen"

Rechtsanwalt Peter: Gemäß § 3 StGB gilt das deutsche Strafrecht zunächst für alle Taten, die im Inland, d.h. innerhalb des Staatsgebiets der Bundesrepublik Deutschland begangen werden. Es gilt das Territorialitätsprinzip.

Für Straftaten, die im Ausland begangen werden, gilt zunächst gemäß dem Territorialitätsprinzip das örtlich anwendbare Strafrecht.

Ein einheitliches europäisches Strafrecht, das in allen Mitgliedsstaaten der EU oder gar weltweit gilt, gibt es nicht.

Daher ist es auch nicht möglich, dass z.B. die USA strafrechtliche Ermittlungen und Entscheidungen für die Bundesrepublik Deutschland mitführt bzw. trifft.

Deshalb muss jedes Land seine eigenen Ermittlungen führen.

123recht.de: Drohen VW auch in Deutschland strafrechtliche Ermittlungen von Amtswegen oder muss zunächst Anzeige erstattet werden?

Rechtsanwalt Peter: Es gilt das Legalitätsprinzip. Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, bei vorliegenden möglichen Strafbarkeiten zu ermitteln, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

Die Staatsanwaltschaft müsste also in dem vorliegenden Fall auch aus sich heraus tätig werden, auch ohne Anzeige oder Strafantrag, schon aufgrund der Berichterstattung in den Medien.

123recht.de: Ist es von Bedeutung, dass das Bundesland Niedersachsen 20% an VW hält?

Rechtsanwalt Peter: Aus strafrechtlicher Sicht bestehen keinerlei Bedenken. Durch das bloße Halten von Aktien ist keine Mittäterschaft möglich. Der Aktienkursverlust ist natürlich wieder ein ganz anderes Thema.

Höherer Abgaswerte können einen Mangel darstellen, wenn Umweltverträglichkeit konkret im Kaufvertrag vereinbart war

123recht.de: Welche Ansprüche stehen mir als Autokäufer gegen VW zu?

Rechtsanwalt Peter: Voraussetzung für alle möglichen Ansprüche ist ein "Mangel" der gekauften Sache. In Betracht kommen die erhöhten Abgaswerte und ein höherer Verbrauch, als in dem Kaufvertrag angegeben.

Wichtig ist daher, dass die Umweltverträglichkeitsaspekte konkret im Kaufvertrag vereinbart worden sind.

Wenn nun der Mangel festgestellt werden kann, stehen dem Käufer Gewährleistungsrechte zu.

Das wichtigste und primär zu prüfende Gewährleistungsrecht ist die Nacherfüllung. Durch die Nacherfüllung soll der gekaufte Wagen in den versprochenen Zustand, laut Kaufvertrag, gebracht werden.

Sollte die Nacherfüllung nicht möglich sein, kommt der Rücktritt vom Kaufvertrag oder die Minderung des Kaufpreises in Betracht.

Ganz wichtig ist, dass die gesetzlichen Gewährleistungsrechte nur gegenüber dem Verkäufer des Autos bestehen, also zum Beispiel dem Autohaus, und eben nicht gegenüber dem VW-Konzern als Hersteller.

Es ist aber durchaus denkbar, dass der Konzern in diesem besonderen Fall freiwillig und direkt Nachbesserungen anbieten wird.

123recht.de: Wenn als Folge des Skandals Entlassungen drohen, habe ich als Arbeitnehmer Ansprüche gegen VW, schließlich hat kriminelle Energie der Unternehmensleitung meinen Job gekostet?

Rechtsanwalt Peter: Wenn der eigene Job tatsächlich aufgrund von betriebsbedingten Entscheidungen wegfallen sollte, so wird das Arbeitsgericht nicht prüfen, ob die unternehmerische Entscheidung an sich richtig war, d.h. im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses spielt es keine Rolle, ob beispielsweise die Rationalisierung an sich sinnvoll oder die Betriebsstilllegung zweckmäßig war bzw. aus einer vorsätzlichen Straftat heraus resultierte.

123recht.de: Wir bedanken uns ganz herzlich.