Das Berliner Testament - Risiken und Nebenwirkungen einer beliebten Konstruktion

Mehr zum Thema: Erbrecht, Ehegattentestament, Alleinerbe, Pflichtteil, Erbschaftssteuer, Erbfolge
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Fallstricke, die häufig erst entdeckt werden, wenn es zu spät ist

Zunächst klingt die Idee ganz gut: Ehegatten setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein. Der Nachwuchs soll erst erben, wenn beide Eltern verstorben sind, damit das Erbe nicht vorzeitig aufgeteilt und womöglich das Eigenheim verkauft werden muss, um die Erbansprüche der Kinder auszuzahlen. Deshalb werden die Kinder erst als Erben des zuletzt Versterbenden eingesetzt.

Allerdings ist eine solche Regelung – üblicherweise als Berliner Testament bezeichnet - nicht immer der optimale Weg, da sich die Verhältnisse im Laufe der Zeit ändern können und das Testament dann nicht mehr abänderbar ist.

Karin Plewe
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Grundsätzlich kann ein Ehegattentestament beim Notar oder eigenhändig handschriftlich aufgesetzt werden und zu Lebzeiten beider Ehegatten auch wieder geändert oder rückgängig gemacht werden, so dass eine flexible Anpassung an die Verhältnisse möglich ist (wenn die Ehegatten daran denken und wenn das Testament nicht in der Schublade vergessen wird).

Die Probleme fangen meist an, sobald einer der Ehegatten verstorben ist.

Ab diesem Zeitpunkt ist das Testament nicht mehr abänderbar, es ist sozusagen „in Beton gegossen“.  

Um die Dimension dieser Bindung zu erfassen, muss man sich die Folgen an einem Beispiel anschauen:

Ehemann M und Ehefrau F verfassen ein Berliner Testament, in welchem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen. Als Erben des zuletzt Versterbenden werden die Kinder K1 und K2 zu gleichen Teilen eingesetzt.  Wenn nun M zuerst stirbt, dann erhält die Witwe F den gesamten Nachlass von M. Es vereinigen sich also die Vermögensmassen von M und F zu einer einheitlichen Vermögensmasse. Diese einheitliche Vermögensmasse geht beim Tod von F auf die Kinder über.

Folgende Fallkonstellationen sind nun denkbar:

  • Beide Ehegatten haben kein nennenswertes Vermögen. M stirbt nach kurzer Ehe sehr früh, die Witwe ist berufstätig und erwirtschaftet nach seinem Tod ein kleines Vermögen. Sie heiratet nach einigen Jahren wieder und möchte ihr Vermögen nach ihrem Tod  ihrem neuen Ehemann zukommen lassen. Dies ist allerdings – wegen des Berliner Testaments  - nicht mehr möglich. Sie hat nämlich seinerzeit in diesem Testament auch über ihren dereinstigen Nachlass (also über ihr gesamtes jemals im Leben erwirtschaftetes Vermögen) verfügt. Die Kinder erben daher alles, dem neuen Ehemann, mit dem sie schließlich  mehrere Jahrzehnte verheiratet war,  bleibt nur der Pflichtteil.
  • Nach dem Tod von F lebt M lange Jahre alleine. Seine Kinder kümmern sich nicht um ihn, da sie sich mit ihm überworfen haben. Er möchte gerne diejenige Person, die ihn in den letzten Jahren treu umsorgt hat, als Erbin einsetzen. Dies ist jedoch nicht möglich, da M an die Regelung im Berliner Testament gebunden ist. Die Kinder erben alles.  Die Pflegeperson hat keinen Pflichtteilsanspruch und auch ein Vermächtnis zu ihren Gunsten wäre unwirksam.
  • Noch komplizierter wird es in der „Patchworkfamilie“. Wenn M und F bereits Kinder aus früheren Beziehungen/Ehen haben, müssen die jeweiligen Pflichtteile berücksichtigt werden.  Wenn M bereits 5 Kinder aus einer früheren Ehe hat und F nur ein Kind in die Ehe mitbringt und wenn dann M zuerst stirbt, dann wird F zunächst Alleinerbin. Die 5 Kinder verzichten aus Respekt vor dem letzten Willen des Vaters auf den ihnen eigentlich zustehenden Pflichtteil und gehen davon aus, nach dem Tode von F ihren Anteil  auch am Nachlass des Vaters  zu erhalten. Dieser ist ja nach seinem Tod mit dem Vermögen der F zu einer einheitlichen Vermögensmasse verschmolzen.  Die Überraschung ist groß, wenn dann nach dem Tod von F ihr einziges Kind (das Stiefkind vom M) seinen Pflichtteil am Nachlass der F verlangt. Dieser Pflichtteil beträgt immerhin die Hälfte des Nachlasses, so dass für die Kinder von M nur noch die andere Hälfte des Nachlasses übrig bleibt, die sie sich teilen müssen.  

Zusätzlich zu dem Problem der Bindungswirkung nach dem Tod eines Ehegatten gilt es zu bedenken, dass die Pflichtteilsrechte immer bestehen und auch durch das Testament nicht beschnitten werden können.

Selbst wenn der überlebende Ehegatte testamentarisch als Alleinerbe eingesetzt ist, haben die Kinder immer ein Pflichtteilsrecht, und zwar nach dem Tod jedes der beiden Elternteile, also auch bereits nach dem Tod des zuerst Verstorbenen.

Es kann also durchaus passieren, dass das Eigenheim, welches man für den überlebenden Ehegatten schützen wollte, gleichwohl verkauft werden muss, um den Pflichtteil des Kindes auszuzahlen. Dieser Pflichtteil ist zwar geringer als der gesetzliche Erbteil, so dass das Testament unter diesem Gesichtspunkt Sinn machen kann,  jedoch kann der überlebende Ehegatte auch nicht immer den Pflichtteil der Kinder aus dem sonstigen Vermögen zahlen.  In einem solchen Fall empfiehlt es sich, zusätzlich Bargeld bereit zu stellen bzw. sich rechtzeitig zu überlegen, welche Gegenstände einzeln verkauft werden können, um den Bargeldbedarf im Erbfall zu decken und den Pflichtteil auszahlen zu können.

Nicht zu vergessen sind auch die erbschaftssteuerlichen Auswirkungen:

Beim Berliner Testament erben die Kinder erst zum Schluss und können daher den Freibetrag nur einmal ausnutzen. Sie müssen deshalb möglicherweise Erbschaftssteuer zahlen auf einen Teil des Vermögens, der eigentlich vom zuerst verstorbenen Elternteil stammt und der bei geschickterer testamentarischer Gestaltung steuerfrei übertragen worden wäre.

Fazit:

Es gibt durchaus Fälle, in denen das Berliner Testament eine gute Lösung ist. Man sollte bei einer testamentarischen Gestaltung, welche die gesetzliche Erbfolge abändert,  jedoch immer die konkrete Familiensituation im Blick haben und auch daran denken, dass sich im Laufe des Lebens die Situation ändern kann und dass das Testament dann angepasst werden sollte bzw. für spätere Änderungen offen bleiben sollte.  Durch geschickte Testamentsgestaltung (Vermächtnisse, Stundung, Wiederverheiratungsklauseln etc.) kann man einige der o.g. Risiken minimieren.

Karin Plewe
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