Krankenhaus muss wegen Behandlungsfehler bei der Geburt Schmerzensgeld zahlen

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Patient hat Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 400.000 Euro im Hinblick auf einen erlittenen Geburtsschaden

Aufgrund von mehreren Behandlungsfehlern bei dessen Geburt, wurde einem Kläger ein Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 400.000 Euro vom Landgericht Bonn mit Urteil vom 28.01.2013 (Aktenzeichen: 9 O 266/11) zugesprochen.

Verklagt waren im vorliegenden Fall drei Parteien:

  • das Krankenhaus als Beklagte zu 1
  • die Kreissaalärztin als Beklagte zu 2
  • der Oberarzt als Beklagter zu 3

Bereits im Jahre 2004 gebar die Mutter des Klägers ein Kind durch Kaiserschnitt. Die Mutter des Klägers wurde im Rahmen ihrer zweiten Schwangerschaft während der 42. Schwangerschaftswoche im Juli 2008 in das Krankenhaus aufgenommen.

In diesem ordnete der Oberarzt zwecks Geburtseinleitung die Gabe von Cytotec an. Hierzu musste die Mutter des Klägers eine Einverständniserklärung unterzeichnen, aus der sich ergab, dass Cytotec nicht zur Einleitung der Geburt zugelassen war. In diesem Zusammenhang wurde die Mutter des Klägers jedoch nicht über die besonderen Risiken von Cytotec nach einem vorangegangenen Kaiserschnitt aufgeklärt. Der Mutter des Klägers wurden am Morgen und am Nachmittag desselben Tages zwei unterschiedliche „Dosen" von Cytotec verabreicht.

Im Rahmen einer vaginalen Untersuchung kam es am selben Tag gegen 19:05 Uhr zu einem Blasensprung bei der Mutter des Klägers sowie in der weiteren Folge – bei einer weiteren Untersuchung – um 20:05 Uhr zum Ausfluss von grünlichem Fruchtwasser.

Wenige Stunden später, d.h. ab 22:02 Uhr zeigte die Cardiotokografie (CTG) erste Auffälligkeiten des Klägers in Form eines stetigen Herztonabfalls auf 65 Schläge pro Minute. Im Anschluss erhöhte sich die Herztonfrequenz des Klägers noch kurzfristig, ehe es ab 22:07 Uhr zu einem Aussetzen der Herztöne kam.

Die sodann angeordnete Anlegung einer Kopfschwartenelektrode führte dazu, dass um 22:11 Uhr nunmehr lediglich sporadische Herztöne des Klägers vernommen werden konnten. Um 22:12 Uhr entschloss man sich zur Durchführung eines Notkaiserschnitts, wobei der Oberarzt, die Anästhesie und das OP-Personal um 22:15 Uhr hierüber in Kenntnis gesetzt worden sind.

Um 22:30 Uhr begann der Notkaiserschnitt durch Anordnung der diensthabenden Kreissaalärztin. Der Kläger konnte um 22:40 Uhr letztlich entbunden werden, jedoch mit der Folge, dass er aufgrund seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung – zu der auch ein Herzstillstand – gehörte sofort reanimiert werden musste.

In nachfolgenden Untersuchungen wurde beim Kläger ein schwerer Hirnschaden festgestellt.

Das Landgericht Bonn gab der Klage vollumfänglich statt

Gericht stellte mehrere Behandlungsfehler fest

Insoweit kam das Landgericht zu dem Ergebnis, dass es im Vorfeld sowie unmittelbar vor der Geburt des Klägers bei den Beklagten zu mehreren (groben) Behandlungsfehlern kam. So ist der Urteilsbegründung zu entnehmen, dass die Geburt nicht durch die Gabe von Cytotec hätte eingeleitet werden dürfen, da der vier Jahre zuvor bei der Mutter des Klägers durchgeführte Kaiserschnitt insoweit eine absolute Kontraindikation darstellte.

Weiterhin ergebe sich aus dem verwendeten Einverständnisformular, dass dort das Risiko einer Plazentalösung bzw. einer Uterusruptur durch Überstimulation nicht erwähnt worden sei, woraus sich ebenfalls ergebe, dass Cytotec nicht zur Einleitung der Geburt bei einem vorangegangenen Kaiserschnitt bestimmt sei.

Ein weiterer grober Behandlungsfehler lag nach Auffassung des Landgerichts darin, dass die Zeit zwischen dem Entschluss zum Notkaiserschnitt (22:12 Uhr) und der tatsächlichen Entbindung (22:40 Uhr) 28 Minuten betrug. Diesbezüglich dürfe diese sogenannte „E-E"-Zeit aufgrund einschlägiger Leitlinien nach Ansicht des Landgerichts lediglich 20 Minuten betragen. Insoweit sei nicht nachvollziehbar, warum die Beklagten nach der Bereitschaft des OP-Personals um 22:20 Uhr bis zur Intubation um 22:28 Uhr acht Minuten abwarteten, obwohl es bei der Durchführung eines Notkaiserschnitts regelmäßig um jede Minute geht.

In der rechtlichen Würdigung führt das Landgericht Bonn aus, dass es sich sowohl bei der unterbliebenen Risikoaufklärung als auch bei der Überschreitung der „E-E"-Zeit für sich genommen um grobe Behandlungsfehler handelt. Erst recht stelle sich die Behandlung in einer Gesamtschau als grob behandlungsfehlerhaft dar. Auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (so u.a. BGH NJW 1998, 1782ff.), wonach mehrere „einfache Behandlungsfehler" in ihrer Gesamtheit einen groben Behandlungsfehler ergeben können, kommt es vorliegend nicht an, da das Landgericht Bonn ganz offensichtlich davon ausgeht, dass die vorgenannten Behandlungsfehler für sich genommen bereits grobe Behandlungsfehler darstellen.

Gericht sah Behandlungsfehler als Ursache für Hirnschaden

Hinsichtlich der Ursächlichkeit der Behandlungsfehler im Hinblick auf den beim Kläger eingetretenen Primärschaden in Form der schweren Hirnschädigung hat das Landgericht ausgeführt, dass die groben Behandlungsfehler geeignet waren, die Hirnschädigung hervorzurufen. Damit orientiert sich das Landgericht Bonn an der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die in Bezug auf Primärschäden – bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers – zugunsten des Patienten erhebliche Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr annimmt (Fachanwaltskommentar Medizinrecht/Jaeger, 2. Auflage, § 280 BGB Rn. 63 mit Hinweis auf BGHZ 159, 48, 53).

Insoweit stellt sich das vorliegende Urteil des Landgerichts Bonn nicht als neuartige Rechtsprechung dar, vielmehr orientiert und folgt das Landgericht in dieser Entscheidung anerkannten Grundsätzen der Rechtsprechung.

Die Höhe des Schmerzensgeld richtet sich immer nach dem Einzelfall

Im Hinblick auf die Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes in einem Umfang von 400.000 Euro ist anzumerken, dass sich dieser Schmerzensgeldbetrag im oberen Drittel der bislang titulierten Schmerzensgeldforderungen bei Geburtsschäden einordnet. Hierbei ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass jeder Sachverhalt grundsätzlich einen Einzelfall darstellt und bereits ergangene anderweitige Urteile nicht schematisch Anwendung finden können. In ansatzweise vergleichbaren Fällen wurden bereits Schmerzensgelder in Höhe von 600.000 Euro (OLG Jena VersR 2009, 1676) bzw. 375.000 Euro (LG Dortmund, Urteil vom 24.09.2008 – 4 O 159/04) ausgeurteilt.

Schließlich ist anzumerken, dass das Landgericht Bonn auch dem klägerischen Feststellungsantrag – wonach die Beklagten verpflichtet sind dem Kläger alle vergangenen und zukünftigen materiellen und alle weiteren immateriellen Schäden aufgrund der fehlerhaften Behandlung zu ersetzen – stattgegeben hat.

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