Zugang einer Kündigung

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Ehegatte als Empfangsbote

Leben Ehegatten in einer gemeinsamen Wohnung und sind sie deshalb nach der Verkehrsanschauung füreinander als Empfangsboten anzusehen, gelangt eine an einen der Ehegatten gerichtete Willenserklärung auch dann in dessen Macht- und Zugriffsbereich, wenn sie dem anderen Ehegatten außerhalb der Wohnung übermittelt wird.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: die Arbeitnehmerin wurde am 29. Januar 2008 gekündigt. Das Kündigungsschreiben ließ der Arbeitgeber dem Ehemann der Arbeitnehmerin durch einen Mitarbeiter des Unternehmens überbringen. Dieser suchte am Nachmittag des 31. Januar 2008 den Ehemann der Arbeitnehmerin an dessen Arbeitsplatz in einem Bau- und Heimwerkermarkt auf. Der Ehemann hat das Kündigungsschreiben zunächst an seinem Arbeitsplatz liegen gelassen und es erst am 1. Februar 2008 der Arbeitnehmerin überreicht.

Das Kündigungsschreiben ist der Arbeitnehmerin am 31. Januar 2008 zugegangen. Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene empfangsbedürftige Willenserklärung wie sie die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses eine darstellt in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Bei einer schriftlichen Willenserklärung ist dies der Fall, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines empfangsberechtigten Dritten gelangt und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen.

Das Kündigungsschreiben vom 31. Januar 2008 wurde dem Ehemann der Arbeitnehmerin am Nachmittag dieses Tages im Auftrag des Arbeitgebers durch dessen Mitarbeiter überbracht. Die Zustellung eines Kündigungsschreibens statt mit der Post durch eine vom Arbeitgeber eingeschaltete Mittelsperson ist verkehrsüblich, insbesondere dann, wenn nur so ein bestimmter Kündigungstermin gewahrt werden kann oder der kündigende Arbeitgeber den Zugang der Kündigung und den Zeitpunkt des Zugangs mit Hilfe eines Boten als Zeugen nachweisen will. Damit ist das Kündigungsschreiben am 31. Januar 2008 in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Ehemanns der Arbeitnehmerin gelangt. Zwar trifft es zu, dass die Arbeitnehmerin ihren Ehemann weder ausdrücklich noch konkludent/stillschweigend zum Empfang von Willenserklärungen wie einer Kündigungserklärung ermächtigt und auch bezüglich einer solchen Ermächtigung keinen Rechtsschein gesetzt hat. Auch lässt sich der Begriff des Empfangsboten nicht dem Gesetz entnehmen. Trotzdem werden neben Empfangsvertretern im Sinne des § 164 Abs. 3 BGB nicht nur rechtsgeschäftlich bestellte Empfangsboten anerkannt, sondern grundsätzlich auch Empfangsboten kraft Verkehrsanschauung. Soweit dem Adressaten auf der Grundlage der Verkehrsanschauung Empfangsboten zugeordnet werden, wird die Empfangsbotenstellung aus der gesetzlichen Wertung in § 130 BGB abgeleitet, aus der sich die Grundsätze der Risikoverteilung beim Zugang einer Willenserklärung ergeben. Danach wird eine angemessene Verteilung des Übermittlungsrisikos erreicht, wenn der Zugang einer empfangsbedürftigen Willenserklärung angenommen wird, sobald diese so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er unter gewöhnlichen Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung von dem Inhalt der Erklärung Kenntnis nehmen kann. Diese Formel ist auch Grundlage, wenn die Erklärung einem nach der Verkehrsanschauung als ermächtigt geltenden Empfangsboten übermittelt wird. Ebenso wie der Adressat dafür Sorge zu tragen hat, dass er von Erklärungen, die in seinen Machtbereich gelangt sind, Kenntnis erhält, kann er sich nicht auf seine Unkenntnis berufen, wenn solche Erklärungen an Personen übergeben werden, die regelmäßig Kontakt zu seinem Machtbereich haben und auch aufgrund ihrer Reife und Fähigkeiten geeignet erscheinen, Erklärungen an ihn weiterzuleiten. Allerdings ist der Begriff des Machtbereichs des Empfängers nicht eindeutig. Dies gilt auch dann, wenn unter Machtbereich der gewöhnliche räumlich-gegenständlich Zugriffsbereich oder Lebensbereich des Empfängers verstanden wird. Denn die Eigenschaft, Empfangsbote sein zu können, hängt nicht nur von einer auf eine gewisse Dauer angelegten räumlichen Beziehung zum Adressaten ab, sondern darüber hinaus auch von einer persönlichen oder vertraglichen Beziehung zum Adressaten. Ehegatten, die in einer gemeinsamen Wohnung leben, werden grundsätzlich füreinander als Empfangsboten angesehen. Diese Verkehrsanschauung beruht auf der Lebenserfahrung, dass in aller Regel ohne weiteres davon auszugehen ist, dass die für einen Ehepartner bestimmte Erklärung durch Aushändigung an den anderen so in dessen Macht- und Zugriffsbereich gelangt, dass er von der Erklärung Kenntnis nehmen kann. Eine Willenserklärung ist grundsätzlich au dann in den Machtbereich des Adressaten gelangt, wenn sie einem Empfangsboten außerhalb der Wohnung übermittelt wird. Für die auf der Lebenserfahrung beruhende Verkehrsanschauung, wonach in aller Regel davon ausgegangen werden kann, dass ein Ehegatte eine für den anderen Ehegatten bestimmte mündliche Erklärung diesem alsbald übermittelt oder ein für den anderen Ehegatten angenommenes Schriftstück diesem alsbald aushändigt, ist nicht erforderlich, dass sich der Empfangsbote bei der Entgegennahme der Willenserklärung in der Wohnung der Ehegatten aufhält. An welchem Ort eine Willenserklärung gegenüber einem Empfangsboten abgegeben wird, kann allerdings für den Zeitpunkt des Zugangs der Willenserklärung beim Adressaten von Bedeutung sein. Wird eine Erklärung gegenüber einem Empfangsboten abgegeben, kommt es anders als bei einer Empfangsvollmacht allein auf die Person des Adressaten an. Erst wenn dieser unter Zugrundelegung gewöhnlicher Übermittlungsverhältnisse die (theoretische) Möglichkeit der Kenntnisnahme hat, ist die an seinen Empfangsboten abgegebene Erklärung zugegangen, da der Empfangsbote lediglich die Funktion einer personifizierten Empfangseinrichtung des Adressaten hat. Als dessen Übermittlungswerkzeug soll er die Willenserklärung entgegennehmen und an ihn weiterleiten, also noch eine Tätigkeit entfalten, um dem Adressaten die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen. Vom Adressaten, auf den es für den Zugang allein ankommt, kann daher erst nach Ablauf der Zeit, die der Empfangsbote für die Übermittlungstätigkeit unter den obwaltenden Umständen normalerweise benötigt, erwartet werden, dass er von der Erklärung Kenntnis nehmen kann. Ein Arbeitnehmer muss die Kündigung grundsätzlich nicht als zugegangen gegen sich gelten lassen, wenn ein als Empfangsbote anzusehender Familienangehöriger des abwesenden Arbeitnehmers die Annahme eines Kündigungsschreibens des Arbeitgebers ablehnt. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der Arbeitnehmer auf die Annahmeverweigerung, etwa durch vorherige Absprache mit dem Angehörigen, Einfluss genommen hat. Der Inhalt von Willenserklärungen ist nach § 133 BGB objektiv unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach der Sicht des Empfängers zu bestimmen. Der in der auszulegenden Erklärung bzw. in dem auszulegenden Verhalten verkörperte rechtlich maßgebliche Wille ist zu ermitteln. Kann eine solche Feststellung nicht getroffen werden, so sind die jeweiligen Erklärungen bzw. das Verhalten einer Partei jeweils aus Sicht des Erklärungsempfängers bzw. der anderen Partei so auszulegen, wie sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstanden werden durften. Es gelten die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB, die Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze und Umstände, die für die Auslegung von Betracht sein können.

Quelle: BAG, Urteil vom 09.06.2011, Az. 6 AZR 687/09

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