Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf Verlängerung der einmal gewährten Pflegezeit

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. November 2011 - 9 AZR 348/10 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 31. März 2010 - 20 Sa 87/09 -

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Pflegezeit (PflegeZG) hat den Arbeitnehmer in Betrieben, in denen insgesamt mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt sind, Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung, wenn er einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen will. Die Pflegezeit nach § 3 PflegeZG beträgt für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen höchstens sechs Monate (§ 4 Abs. 1 Satz 1 PflegeZG).
Unklar war bisher, ob ein Arbeitnehmer der die maximale Pflegezeit von sechs Monaten zunächst nicht ausschöpfen will und später eine Verlängerung beantragt, auf diese Verlängerung einen Anspruch hat.

Das Bundesarbeitsgericht hat eine solche Verlängerungsmöglichkeit höchstrichterlich verneint. Der Arbeitnehmer habe sein einmaliges Gestaltungsrecht mit der Entscheidung über die Länge der zu beantragenden Pflegezeit verwirkt. Der Arbeitgeber muss sich nicht auf eine spätere Verlängerung einlassen. Das gilt auch dann wenn der Arbeitnehmer die maximale Pflegezeit von sechs Monaten zunächst nicht ausschöpft.

Kritik: Die Entscheidung ist auf der Basis der derzeitigen gesetzlichen Regelung nachvollziehbar. In § 4 Abs. 1 S. 2 Pflegezeitgesetz ist eine Verlängerung der Pflegezeit explizit nur für den Fall der Zustimmung des Arbeitgebers vorgesehen. Die Rechtslage geht aber an den Bedürfnissen der Praxis vorbei. Die weitere Entwicklung eines Pflegebedarfs ist für den Arbeitnehmer schwer abzuschätzen. Arbeitnehmer werden gezwungen mehr Pflegezeit zu beantragen, als möglicherweise notwendig. Richtig ist zwar, dass der Arbeitgeber Planungssicherheit benötigt. Anderseits ist innerhalb eines ersten halben Jahres die Kündigung von Ersatzkräften regelmäßig unproblematisch, so dass sich der Arbeitgeber auch auf kurzfristige Verlängerung einstellen kann. Der Gesetzgeber sollte im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zügig eine konkrete (mindestens einmalige) Verlängerungsmöglichkeit auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers schaffen. Letztlich nutzen durch die Pflege überforderte Arbeitnehmer auch dem Arbeitgeber wenig.

Fachanwaltstipp Arbeitnehmer: Arbeitnehmer sollten vor Beantragung der Pflegezeit genau überlegen, wie lange ein entsprechender Bedarf besteht und gegebenenfalls die maximale Pflegezeit von einem halben Jahr ausschöpfen. Ab dem Zeitpunkt, ab dem ein Arbeitnehmer die Pflegzeit beantragt hat, genießt er besonderen Kündigungsschutz. Dieser gilt bis zum Ende der beantragten Pflegezeit.

Fachanwaltstipp Arbeitgeber: Arbeitgeber sollten gemeinsam dem Arbeitnehmer beim Antrag auf Pflegezeit überlegen wie lange diese realistisch benötigt wird. Im Rahmen des Befristungsrechts ist es problemlos möglich Ersatzkräfte befristet einzustellen. Außerdem gilt für erstmals beschäftigte Arbeitnehmer innerhalb des ersten halben Jahres das Kündigungsschutzgesetz nicht. Hinsichtlich eines Antrags auf Verlängerung der Pflegezeit ist die Rechtslage nunmehr eindeutig: Arbeitgeber können diese ohne Gründe zu nennen ablehnen.