Wer auffährt hat Schuld?

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Auffahrunfall, Parkplatz, Winterreifen, Versicherung - Die größten Irrtümer bei einem Verkehrsunfall

Täglich nehmen unzählige Menschen mit ihrem Auto am Straßenverkehr teil. Mit dabei sind auch immer wieder rechtliche Irrtümer, die sich hartnäckig halten. "Wer auffährt hat Schuld" wird gerne zitiert, wenn es um Unfälle geht. Aber ist die Schadensfrage immer so eindeutig? 123recht.de hat bei Rechtsanwältin Stefanie Helzel nachgefragt.

123recht.de: Sehr geehrter Frau Helzel, im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen ist der Satz „Wer auffährt hat Schuld" verbreitet. Stimmt das denn immer?

Stefanie Helzel
Partner
seit 2007
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Verkehrsrecht
Elbinger Str. 11
90491 Nürnberg
Tel: 0911/95699944
Web: http://www.verkehrsrecht-nuernberg.eu
E-Mail:
Verwaltungsrecht, Ordnungswidrigkeiten, Strafrecht, Reiserecht

Rechtsanwältin Helzel: Nein, so ganz stimmt das nicht. Bei Auffahrunfällen gilt der so genannte Anscheinsbeweis. Das bedeutet, dass zu Lasten des Auffahrenden zunächst unterstellt wird, dieser hätte Unaufmerksamkeit oder anderen Gründen den Unfall verursacht. Sofern der Vordermann den Unfall verursacht hat, zum Beispiel durch Zurückrollen an einer Ampel, muss der Hintermann beweisen, dass der Unfall nicht durch ihn verursacht wurde.

Auf Autobahnen muss immer mit Hindernissen gerechnet werden

123recht.de: Nochmal Auffahren: Ich befahre die Autobahn mit 130 km/h. Vor mir fährt ein anderes Fahrzeug, aber ich bemerke zu spät, dass dies wesentlich langsamer ist. Ich kann nicht mehr bremsen und fahre auf. Wie sich herausstellt, ist das Fahrzeug nur rund 50 km/h ohne ersichtlichen Grund gefahren. Wer trägt hier die Schuld?

Rechtsanwältin Helzel: Beide. Der Vordermann trägt eine Mitschuld, da er nicht ohne triftigen Grund den Verkehrsfluss behindern darf. Der Hintermann muss seine Geschwindigkeit den Gegebenheiten anpassen und rechtzeitig bremsen können, da immer mit Hindernissen auf Autobahnen gerechnet werden muss.

123recht.de: Auch auf Parkplätzen kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen. Ich suche nach einer Parklücke, vor mir parkt rückwärts jemand aus, der beachtet mich nicht und fährt mir ins Auto. Hier ist die Schuldfrage doch eindeutig. Ich hatte Vorfahrt!

Kein "rechts vor links" auf Parkplätzen

Rechtsanwältin Helzel: Auf Parkplätzen gibt es keine generelle Vorfahrt. Mandanten mit Parkplatzunfällen wenden oft ein, „aber an der Einfahrt vom Parkplatz steht doch ein Schild, hier gilt die StVO". Diese Schilder sind mit Vorsicht zu genießen. Dieses Schild bedeutet lediglich, dass § 1 StVO Anwendung findet, somit auf Parkplätzen gegenseitige Rücksichtnahme herrscht. Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich auf dem Parkplatz so zu verhalten, dass kein anderer zu Schaden kommt.

Es gilt daher weder rechts vor links, noch hat auf einem Parkplatz der fließende Verkehr Vorrang. Generell sollte man Parkplätze nicht schneller als mit 10 km/h befahren, so dass man jederzeit auch ausparkende Fahrzeuge erkennen und rechtzeitig anhalten kann. Ist man schneller gefahren und kommt es zum Zusammenstoß, wird üblicherweise eine Haftungsteilung angenommen. Wobei es immer auf die Beurteilung im Einzelfall ankommt.

123recht.de: Ich habe auf dem Parkplatz ein Auto gestreift und die rechte Seite verkratzt. Da ich keine Lust und Zeit habe zu warten, klemme ich eine Visitenkarte mit einer kurzen Nachricht hinter den Scheibenwischer. Ein Klassiker?

Bei Unfallflucht drohen Punkte, Geldstrafe, Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis

Rechtsanwältin Helzel: Ja. Dies sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, da es rein rechtlich gesehen ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort darstellt. Allein das Hinterlassen der Personalien genügt nicht und man macht sich der Unfallflucht strafbar. Um dies zu vermeiden, sollte man unbedingt sofort die Polizei telefonisch benachrichtigen und dieser die Unfallstelle, das Kennzeichen des Geschädigten und die eigenen Personalien mitteilen, wenn man keine Zeit hat, auf den Eigentümer des Wagens zu warten. Die Polizei hinterlässt dann dem Geschädigten einen Zettel an der Windschutzscheibe mit der Bitte, dass sich der Geschädigte auf der zuständigen Polizeidienststelle melden soll.

Je nach Schadenshöhe drohen 5-7 Punkte in Flensburg, eine Geldstrafe und ein Fahrverbot oder sogar die Entziehung der Fahrerlaubnis. Die Haftpflichtversicherung holt sich außerdem den an den Geschädigten regulierten Betrag zurück.

123recht.de: Ich habe mein Auto verliehen und prompt ist ein Unfall passiert, bei dem der Fahrer meines Autos auch noch Schuld hat. Er hat aber selber eine eigene KFZ- sowie Vollkaskoversicherung. Seine Versicherung muss doch den Schaden zahlen?

Rechtsanwältin Helzel: Nein. Die Eintrittspflicht der KFZ-Haftpflichtversicherung richtet sich nach dem gefahrenen Auto und nicht nach dem Fahrer. D.h. es zahlt die Versicherung, die – untechnisch gesprochen - für das Auto abgeschlossen wurde und nicht für den Fahrer. Somit hat Ihre Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung den Schaden zu übernehmen.

Höherstufung der Versicherung auch bei verliehenem Auto

123recht.de: Werde ich dann auch noch in der Versicherung hochgestuft? Ich bin doch gar nicht gefahren. Das müssen doch die Versicherungen untereinander klären.

Rechtsanwältin Helzel: Sobald die Versicherung eine Schadensmeldung erhält, erfolgt eine Höherstufung. Auch wenn Sie nicht gefahren sind und den Unfall nicht verursacht haben, tragen Sie das Risiko eines Unfalls durch Dritte, die Ihr Auto fahren. Sie haben als Versicherungsnehmer alle Rechte und Pflichten aus dem Vertrag – auch das Unfall- und damit das Höherstufungsrisiko. Ausnahmen gibt es, wenn vertraglich ein Rabattschutz vereinbart ist.

123recht.de: Im Winter muss ich ja Winterreifen nutzen. Im Sommer dann entsprechend Sommerreifen. Ich habe aber vergessen, die Reifen zu wechseln. Im Sommer hat mir jemand die Vorfahrt genommen. Die Versicherung sagt nun, sie zahle nicht alles, weil ich im Sommer noch Winterreifen drauf hatte.

Rechtsanwältin Helzel: Es gibt keine Sommerreifenpflicht. Lediglich wenn die Sommerreifen aus technischen Gründen unfallursächlich waren, kann die Versicherung sich darauf berufen, nicht den gesamten Schaden zu übernehmen, etwa, wenn die Reifen abgefahren waren o.ä.
Der Wechsel auf Sommerreifen ist jedoch – im Gegensatz zum Wechsel auf Winterreifen – nicht verpflichtend, sodass die Versicherung zur Zahlung verpflichtet ist.

Versicherung kann Leistungen bei Flip Flops nicht automatisch kürzen

123recht.de: Meine Frau fährt immer in Flip Flops Auto. Neulich hat sie einen Unfall gehabt. Sie stand an der Ampel und ihr ist jemand hinten auf das Auto gefahren. Die Versicherung geht von einer Teilschuld aus, weil sie in Flip Flops gefahren ist und diese Schuhe zum Autofahren ungeeignet seien. Hat die Versicherung recht?

Rechtsanwältin Helzel: Nein. Eine Teilschuld wegen der Flip Flops scheidet in diesem Fall aus. Die Versicherung kann ihre Leistungen nur dann kürzen, wenn aufgrund der Flip Flops eine Gefahrenerhöhung eingetreten ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn man vom Bremspedal abrutscht, oder mit den Schlappen hängen bleibt. Ist das Tragen der Flip Flops nicht unfallursächlich, wie hier bei einem Auffahrunfall, kann die Versicherung ihre Leistungen nicht kürzen.

Es gibt kein Barfußfahrverbot

123recht.de: Darf man barfuß Auto fahren?

Rechtsanwältin Helzel: Es gibt – jedenfalls für Privatfahrten – keine Vorschrift, die ein Barfußfahren verbietet. Etwas anderes gilt für Arbeitnehmer, auf die spezielle Unfallverhütungsvorschriften Anwendung finden. Auch vertritt der ADAC die Auffassung, dass es zur Pflicht eines Autofahrers gehört, ein Auto sorgfältig und somit auch mit einem ordnungsgemäßen Schuhwerk zu führen, in dem der Fuß einen ordentlichen Halt hat.Gesetzlich verboten ist es aber nicht, barfuß zu fahren.

123recht.de: Haben wir irgendwelche wichtigen Irrtümer vergessen?

Rechtsanwältin Helzel: Gelegentlich höre ich von Mandanten, dass sie der Auffassung sind, dass ein Überholen innerorts verboten und somit doch der Überhohler an dem Unfall Schuld sei. Auch dies ist ein Irrglaube. Innerorts darf – sofern nicht ausdrücklich verboten - überholt werden. Kommt es dabei zur Kollision mit einem Linksabbieger, der z.B. sehr langsam und rechts am Straßenrand fuhr, trifft meistens den Linksabbieger das überwiegende oder alleinige Verschulden.

123recht.de: Welche Tipps haben Sie allgemein, um mich bei einem Unfall gleich richtig zu verhalten und von Anfang an alles richtig zu machen?

Keinen Kontakt mit der gegnerischen Versicherung aufnehmen

Rechtsanwältin Helzel: Keine Schuldeingeständnisse abgeben, Fotos machen von der Endstellung der Fahrzeuge (mittlerweile hat fast jeder ein Fotohandy dabei, nur die wenigsten machen leider davon Gebrauch); Kennzeichen des Unfallverursachers notieren, damit problemlos dessen Versicherung ermittelt werden kann.

Es ist auch davon abzuraten, mit der gegnerischen Versicherung sofort und selbst Kontakt aufzunehmen, da dies in der Regel zu Kürzungen der berechtigten Ansprüche führt.

Wenn Sie an dem Unfall keinerlei Verschulden trifft, sind die Kosten für eine anwaltliche Vertretung von der Versicherung des Unfallverursachers ebenfalls zu übernehmen. Sie können die gesamte Regulierung abgeben, müssen sich um nichts kümmern und können sich auf die professionelle Unterstützung eines Anwalts verlassen. In der Regel haben Sie unterm Strich mehr raus, als wenn sie die Regulierung der Versicherung überlassen.

123recht.de: Vielen Dank!

Leserkommentare
von BinNeugierig am 09.05.2013 16:53:08# 1
Festes Schuhwerk in gewerblichen Firmenwagen - Montagaarbeit mit Wohnwerkmobil - gut und schön: UVV verlangt Sicherheitsschue mit Stahlsohlen. Damit hat man auf den Pedalen so wenig Trittgefühl, dass ich schon fast Auffahrunfälle produziert habe und bei langen Arbeitstagen (Sommerwetter) Fußpilz riskiere: Mit Sicherheitsschuhen "ertaste" ich Brens - Gas - und Kupplungspedal besser in Socken, mit Stahlsohlen sind Bremse und Gas schwer ertastbar. Wie ist hier die Rechtslage? Privat fahre ich Moped und Auto meist in Sandalen (Auto längere Strecken in Socken), da gibt es das Stahlsohlenproblem nicht.
    
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