Diskussion über das deutsche Strafrechtssystem

7. Januar 2004 Thema abonnieren
 Von 
123recht.de
Status:
Praktikant
(661 Beiträge, 247x hilfreich)
Diskussion über das deutsche Strafrechtssystem

Liebe Leute :)

Im Thread <a href="http://www.123recht.net/forum_topic.asp?topic_id=6747">"Ich bin unschuldig"</a> hat sich eine Diskussion entwickelt, die ich auf Bitten der Diskussionsteilnehmer hiermit in einen eigenständigen Thread gepackt habe. Wer die Vorgeschichte der Diskussion lesen will, klickt einfach auf obigen Link.

Viel Spaß!

Admin

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22 Antworten
Sortierung:
#1
 Von 
RQ
Status:
Schüler
(182 Beiträge, 17x hilfreich)

Eine Frage an die Fachleute:
wenn nun Ausage gegen Ausage steht. Also beklagter gegen Zeugin(hier in diesem Fall die Verkäuferin) und es geht zu Gunsten des Beschuldigten aus, da zuwenig Beweise, ausage gegen Aussage, verfahren wird eingestellt etc,etc, wird dann die Zeugin wegen Falschaussage belangt?

Noch eine Frage konkret an Bobo, welche Bereiche sollten denn nach ihrer Ansicht nach Vorbild des US- Rechts verschärft werden?

russ

rq

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#2
 Von 
RA DPMS
Status:
Praktikant
(998 Beiträge, 150x hilfreich)

Beide Fragen gefallen mir!

Zu ersten Frage: es kommt darauf, wem der Richter bzw. das Gericht mehr Glauben schenkt, auch wenn JOKER jetzt wieder rot sieht. Die Glaubwürdigekit der Person und die Glaubhaftigkeit der jeweiligen Aussagen sind entscheidend. Das hat letztlich viel mit Psychologie zu tun. Forensik...

Auf die Antwort zur zweiten Frage auch gespannt....


RA D.P.M. Sevriens
<a href="http://www.erecht.net" target="blank">www.erecht.net</a>

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#3
 Von 
!!Streetworker!!
Status:
Unbeschreiblich
(30226 Beiträge, 9522x hilfreich)

Zu Frage 1.)

Nein, der Zeuge wird nicht zwangsläufig wg. Falschaussage belangt, nur wenn das Gericht davon überzeugt ist, daß er gelogen hat.

-----------------
"Gruß, Bob
(Sozialarbeiter in der Straffälligen- und Drogenhilfe)"

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#4
 Von 
JuR
Status:
Unparteiischer
(9878 Beiträge, 1431x hilfreich)

Guten Abend,

die Frage 1. hinsichtlich der falschen Verdächtigung etc. wurde von meinen Kollegen ja schon ausreichend beantwortet. Ich schliesse mich an.

Zur Frage 2. kann ich folgendes sagen. Generell gesehen, ist das deutsche Strafrechtssystem durchaus effektiv und auch sehr gut organisiert. Jedoch sehe ich zB ein großes Problem in der Relation zwischen den Delikten gegen die Persönlichkeit (Körperverletzung etc.) und den Vermögensdelikte. Letzte sind im deutschen Strafrecht mit höherer Strafe ausgestaltet. Das passt mE nicht.

Im US-amerikanischen Strafsystem sind die Strafandrohungen genrell wesentlich höher, als hier in Deutschland. Eine generelle Strafandrohungserhöhung wäre zB in Körperverletzungsdelikten, Sexualdelikten etc. durchaus wünschenswert.

Als problematisch sehe ich auch unsere momentane Regelungen der Anordnung der Sicherheitsverwahrung an. Diese ist im Moment noch erst bei Verkündung des Urteils möglich, wird also vom Tatrichter verhängt. Eine Änderung ist in Planung, dass die Verhängung der Sicherheitsverwahrung auch nachträglich bei der Überprüfung des Täters möglich sein sollte. Dieses wäre auch wünschenswert. In den USA wird die Sicherheitsverwahrung wesentlich öfter ausgesprochen und auch die Verwehrung jeglicher Bewährung. Letztes wäre jedoch zu diskutieren.

Als weiter problematisch sehe ich die Strafandrohung im Jugendrecht an. Diese ist mE zu niedrig und in der heutigen Zeit nicht mehr angemessen. Bundesländer wie Bayern haben den Antrag gemacht, die Höchststrafe von 10 Jahren auf 15 Jahre auch für Jugendliche anzuheben. Dieses ist ein Schritt in die richtige Richtung. In den USA werden Jugendliche oft nach Erwachsenenstrafrecht geahndet, was natürlich aber auf die jeweilige Tat ankommt. Zudem könnte über eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 Jahren auf zB 12 Jahre nachgedacht werden. Heutzutage wissen auch 12 Jährige was strafbare Handlungen sind. Man muss sich dazu nur die Jugendkriminalität unter 14 Jahren ansehen (Stichwort Gangkriminalität etc.).

Desweiteren sollte nicht mehr so oft bei Jugendlichen von der Möglichkeit der Einstellung von Verfahren Gebrauch gemacht werden. Zumindest sollte man diese gesetzlich regeln. Diese liegen nämlich im Ermessen der Staatsanwaltschaften und sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht geregelt. Konsequenz sind Fälle, in denen jugendliche Schläger, zB bereits wegen Körperverletzung angezeigt wurden, es sich jedoch nichts zur Besserung tut, um es einfach auszudrücken. Fälle dazu gibt es genügend.

Zudem sollten die Beweisregelungen gelockert werden. Wie in den USA sollten zB gutachterliche Computeranimationen etc. zur Darstellung und Erforschung des Sachverhalts zugelassen werden, genauso wie die Videoaufnahmen zur Zeugenbefragung in evidenten Fällen.

Auch wäre eine weitere Ausdehnung der Registrierungen von Straftätern hinsichtlich der Speicherung von DNA-Informationen zu strafrechtlichen Zwecken vorteilhaft.

Auch sollte die Bürokratie gelockert werden, damit die Menge an Strafverfahren teilweise nicht in den Unterlagenmassen untergeht und schneller bearbeitet werden, oder aufgrund von Justizpannen, unsachgemäß behandelt werden. Ich denke da an das evidente Beispiel der Fristversäumung zur Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft. Folge davon ist, dass das Oberlandesgericht dann zB einen Haftbefehl eines schuldigen Straftäters wieder aufheben muss.

Auch sollte in den Strafverfahren der Viktimologie (Opferschutzlehre) mehr Bedeutung zugewiesen werden. Denn im Moment steht immer noch eher der Täter im Vordergrund.

Natürlich kann man es immer so weiter ausführen. Aber der kleine Überblick sollte erstmal für Diskussionen reichen.

Ich bitte vorweg, meine Ausführungen nicht wörtlich zu nehmen und strikt auszulegen. Natürlich kann man und sollte man jede Ausführung diskutieren.


Mit freundlichen Grüßen,

- J. Roenner -

0x Hilfreiche Antwort

#5
 Von 
!!Streetworker!!
Status:
Unbeschreiblich
(30226 Beiträge, 9522x hilfreich)

Das das Jugendstrafrecht -zumindest in gewissen Punkten- überarbeitet gehört sehe ich ebenso.

z.B. Herabsetzung der Strafmündigkeit auf 12

Heraufsetzung der Höchststrafe auf 15 Jahre, zumindest für Heranwachsende (also 18 - 20jährige), auch wenn sie nach Jugendrecht behandelt werden.

-----------------
"Gruß, Bob
(Sozialarbeiter in der Straffälligen- und Drogenhilfe)"

0x Hilfreiche Antwort

#6
 Von 
Walter Hartmann
Status:
Frischling
(6 Beiträge, 1x hilfreich)

An die Gerechtikeit in Deutschland glaube ich schon lange nicht mehr. Bist du einmal vorbelastet und ein unbescholtener Bürger macht eine Anzeige, dann kannst du dich auch schon auf eine Verurteilung einstellen. Vor allen Dingen sollten keine Richter mehr Platz an den Gerichten finden, die zu Hitlers Zeiten die Leute noch zum Tode verurteilt haben.

0x Hilfreiche Antwort

#7
 Von 
Cyberfahnder
Status:
Schüler
(220 Beiträge, 20x hilfreich)

Ihre Thesen, lieber BOBO, sind mutig und verdienen es, ernsthaft diskutiert zu werden.

BOBO: Generell gesehen, ist das deutsche Strafrechtssystem durchaus effektiv und auch sehr gut organisiert. Jedoch sehe ich zB ein großes Problem in der Relation zwischen den Delikten gegen die Persönlichkeit (Körperverletzung etc.) und den Vermögensdelikte. Letzte sind im deutschen Strafrecht mit höherer Strafe ausgestaltet. Das passt mE nicht.

CF: Die eklatante Ungleichbehandlung zwischen "schwerem Diebstahl" und "gefährlicher Körperverletzung" hat der Gesetzgeber vor einigen Jahren aufgegeben. Beide schwereren (qualifizierten) Straftaten unterliegen jetzt einer Strafdrohung von mindestens 3 Monaten Freiheitsstrafe. Die Höchststrafen für Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und denen gegen das Eigentum und das Vermögen sind jetzt relativ gleich (5 Jahre mit diversen Abweichungen). Strafen, die sich strikt an Schadenswerten orientieren, hielte ich für falsch: nicht realisierte 20.000 Euro Außenstände können für ein Ein-Mann-Unternehmen der Genickbruch sein - nicht aber zwnagsläufig bei einem Grundstücksgeschäft, bei dem es um 6- oder 7-stelligen Werte geht. Mancher Vermögensschaden kann die Geschädigten zeit ihres Lebens in die Armut treiben - ein gebrochener Arm heilt schneller.

BOBO: Im US-amerikanischen Strafsystem sind die Strafandrohungen generell wesentlich höher, als hier in Deutschland.

CF: Nee, das Vorbild gilt nicht. Freiheitsstrafen im Ergebnis in Höhe von mehreren 100 Jahren sind einfach unmöglich und unmenschlich. Das kann es nicht sein.

BOBO: Eine generelle Strafandrohungserhöhung wäre zB in Körperverletzungsdelikten, Sexualdelikten etc. durchaus wünschenswert.

CF: Nein, ich glaube, dass weder die Erhöhung der Mindest- noch der Höchststrafen wirklich Sinn macht. Dabei sind wir gar nicht so weit auseinander: Die Regelfälle müssten wohl genauer vom Gesetzgeber definiert werden, so dass die Gerichte nicht (zwangsläufig) auf "minder schwere Fälle" ausweichen müssten.
Beispielhaft ist der Strafrahmen für Vergewaltigung gewesen. Die Mindeststrafe war bis vor einigen Jahren 2 Jahre Freiheitsstrafe. Auf die Mindeststrafe - und somit auf eine konsensfähige oder von der Verteidigung akzeptable Strafaussetzung zur Bewährung - konnten die Gerichte aber nur erkennen, wenn ein denkbar "mildester" Fall vorlag. Die Folge war, dass alle möglichen Verhaltensweisen der geschädigten Frauen dazu herangezogen wurden, einen minder schweren Fall zu konstruieren, um zu einem milderen Strafrahmen zu gelangen.
Es mag wie Satire klingen, aber mich und meine Kollegen hat diese Tendenz wütend gemacht: Jedes Lächeln der Frau, dass sie den Täter überhaupt kannte, dass sie ihn in seiner Wohnung besuchte uvm wurde als Maßstab für einen minder schweren Fall angenommen. Eine "normale" Vergewaltigung konnte letztlich nur noch unter asozialen Bedingungen vorkommen: Eine unschuldige Frau, die nach einer Autopanne unverschuldet durch einen dunklen Park gehen muss, wo ihr hinter einer Hecke der ihr völlig unbekannte Täter auflauert, wurde zum Regelfall ... jedes weitere Wort ist eines zu viel.

BOBO: Als problematisch sehe ich auch unsere momentane Regelungen der Anordnung der Sicherheitsverwahrung an. Diese ist im Moment noch erst bei Verkündung des Urteils möglich, wird also vom Tatrichter verhängt. Eine Änderung ist in Planung, dass die Verhängung der Sicherheitsverwahrung auch nachträglich bei der Überprüfung des Täters möglich sein sollte. Dieses wäre auch wünschenswert. In den USA wird die Sicherheitsverwahrung wesentlich öfter ausgesprochen und auch die Verwehrung jeglicher Bewährung. Letztes wäre jedoch zu diskutieren.

CF: Heißes Thema! Es gibt in der Tat - einige wenige - wandelnde menschliche Zeitbomben. Und es gibt in der Tat viele Gelegenheiten, in denen durch einschneidende Grundrechtsbeschränkungen Leid verursacht und Missbrauch getrieben werden könnte.
Ich gebe Ihnen recht, BOBO, dass es Menschen gibt, die wahrscheinlich nicht mehr auf ihre Mitmenschen losgelassen werden dürften. Ich sehe bloß keinen Konsens dahin, welche menschlichen Verhaltensweisen so inakzeptabel sind, dass die Gesellschaft nicht auch auf persönliche Änderung und Besserung vertrauen müsste. Die US-amerikanische Kl(R)assen-Justiz ist kein erstrebenswertes Vorbild.
Bei diesem Thema sind wir ganz nahe an der Frage nach der Todesstrafe. Ich will sie nicht und ich bin glücklich über ein Grundgesetz, das sie ohne wenn und aber verboten hat. Sie, BOBO, fordern sie auch nicht - das weiß ich. Gleichwohl müssen wir uns Gedanken darüber machen, wann eine Verurteilung fast schon einer Todesstrafe gleich kommt. Heikel.

BOBO: Als weiter problematisch sehe ich die Strafandrohung im Jugendrecht an. Diese ist mE zu niedrig und in der heutigen Zeit nicht mehr angemessen. Bundesländer wie Bayern haben den Antrag gemacht, die Höchststrafe von 10 Jahren auf 15 Jahre auch für Jugendliche anzuheben. Dieses ist ein Schritt in die richtige Richtung.

CF: Ich widerspreche nicht. Es gibt bestialische Mordfälle, in denen ich eine Beschränkung der Höchststrafe auf 10 Jahre Jugendstrafe für falsch ansehe. Es müsste wohl genauer danach differenziert werden, ob es sich um Taten Jugendlicher oder Heranwachsender handelt (ab 18 Jahren Lebensalter).

BOBO: In den USA werden Jugendliche oft nach Erwachsenenstrafrecht geahndet, was natürlich aber auf die jeweilige Tat ankommt.

CF: Keine Widerrede von mir.

BOBO: Zudem könnte über eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 Jahren auf zB 12 Jahre nachgedacht werden. Heutzutage wissen auch 12 Jährige was strafbare Handlungen sind. Man muss sich dazu nur die Jugendkriminalität unter 14 Jahren ansehen (Stichwort Gangkriminalität etc.).

CF: Widerspruch!
Die Festlegung von Grenzen für die Schuldfähigkeit sind immer willkürlich. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, dass nur Kinder, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, strafmündig sind - also von einem Jugendrichter förmlich "bestraft" werden können.
Ich möchte keine Debatte lostreten, die darum geht, ob ein Dreizehnjähriger die "10 Gebote" schon in ihren Konsequenzen verstehen kann oder nicht. "Du darfst nicht stehlen" versteht ein Grundschüler.
Nötig wäre ein "Kinder-Sanktionsrecht". Das wird teuer. Es müsste zum Beispiel die gerichtliche Anordnung von Heimunterbringung ermöglichen. Gegen den grundgesetzlichen Schutz der Familie, gegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Freiheit der örtlichen Mobilität. Geschlossene Heime (Kinderknäste) gibt es eigentlich nicht mehr.
Das, was Sie ansprechen, ist das Aufbrechen schädlicher sozialer Strukturen.
Ich jedenfalls habe kein passendes Rezept.

BOBO: Desweiteren sollte nicht mehr so oft bei Jugendlichen von der Möglichkeit der Einstellung von Verfahren Gebrauch gemacht werden. Zumindest sollte man diese gesetzlich regeln. Diese liegen nämlich im Ermessen der Staatsanwaltschaften und sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht geregelt. Konsequenz sind Fälle, in denen jugendliche Schläger, zB bereits wegen Körperverletzung angezeigt wurden, es sich jedoch nichts zur Besserung tut, um es einfach auszudrücken. Fälle dazu gibt es genügend.

CF: Ein bißchen Widerspruch!
Als Berufsanfänger habe ich von einem weisen Oberamtsanwalt (danke, Herr Bieschke!) einen Sinnspruch vermittelt bekommen: Dann eben beim nächsten Mal. Wenn es dieses "nächste Mal" nicht gibt, dann war es auch nicht nötig, alle Register zu ziehen und fernliegende Ermittlungsansätze zu verfolgen. Wenn das "nächste Mal" aber kommt, dann ja ...
Jugendstaatsanwälte müssen monatlich mindestens 150 neue Verfahren bearbeiten. Das können Ladendiebstähle, Schwarzfahrten oder "Ritzelverbrechen" (Fahren ohne Fahrerlaubnis und ohne Versicherung, weil das Moped getunt wurde) sein, aber auch Banden- und Serientaten - alle zählen als ein Verfahren.
Die Praxis mag unterschiedlich sein. Weitere Regeln sind nicht hilfreich. Schon jetzt gilt regelmäßig: Keine zweite "Gnade"!

BOBO: Zudem sollten die Beweisregelungen gelockert werden. Wie in den USA sollten zB gutachterliche Computeranimationen etc. zur Darstellung und Erforschung des Sachverhalts zugelassen werden, genauso wie die Videoaufnahmen zur Zeugenbefragung in evidenten Fällen.

CF: Ich glaube, Sie haben das etwas unüberlegt geschrieben.
Ich brauche z.B. einen persönlichen Eindruck von Zeugen und schrecke vor Konserven zurück.
Vor etwa 10 Jahren gab es die schlimme Mode, dass kinderpsychologische Fachleute und Laien in Vorschulkinder suggestiv niemals erfolgte Misshandlungen hineinmanipuliert haben. Sollte ich mich wirklich kritiklos auf solche mittelbaren Zeugen verlassen, ohne mir einen Eindruck von dem geschädigten Kind selber zu verschaffen? Nein!
Ich habe ein Lehrstück erlebt: Vor einigen Jahren hat der Bundesgerichtshof gegen die Meinungen lauter Psychologen und Juristen bestimmt, dass der Lügendetektor kein zulässiges Beweismittel im Strafverfahren ist, wenn er nach der Einleitung der strafrechtlichen Ermittlungen eingesetzt wird. Das war weise!
Ich habe in einem Gerichtsverfahren, das sich über 1 1/2 Jahre hingezogen hat, erlebt, dass zwei Angeklagte eine Lügendetektor-Untersuchung durchführen ließen und von einem anerkannten Fachmann und Universitätsprofessor bescheinigt bekamen, sie hätten die Wahrheit gesprochen. Nur leider war es so, dass ihre Bekundungen ihren (nachweislich) eigenhändig unterschriebenen Urkunden widersprachen. Sie hatten sich im Verlauf ihres Ermittlungs- und Strafverfahrens ihre persönliche Realität zurechtgelegt und lebten schließlich mit dieser Privatrealität. Der Lügendetektor konnte diese psychischen Manifestationen nicht aufdecken und aufbrechen.
Auf der Basis dieser Erfahrung soll ich mich als Staatsanwalt auf Computeranimationen und Videoaufzeichnungen von Zeugenvernehmungen verlassen? Nein!

BOBO: Auch wäre eine weitere Ausdehnung der Registrierungen von Straftätern hinsichtlich der Speicherung von DNA-Informationen zu strafrechtlichen Zwecken vorteilhaft.

CF: Der genetische Fingerabdruck ist wohl das wichtigste Beweismittel geworden, um längst erfolglos abgeschlossene Kapitalverbrechen - vor allem sexuell motivierte Morde - doch noch aufzuklären.
Wichtig ist es, die Voraussetzungen und Grenzen der Datenspeicherung zu präzisieren.
Einen allgegenwärtigen Überwachungsstaat möchte ich ebenso wenig wie eine ständige Durchleuchtung von Privatpersonen - z.B. von Lebens- oder Krankenversicherungen, Arbeitgebern und vielen anderen mehr.
So, wie ich Ihre Äußerungen kenne, BOBO, wollen Sie das auch nicht.
Wo sollen also die Grenzen sein, wo die effektive Kontrolle und Vermeidung?

BOBO: Auch sollte die Bürokratie gelockert werden, damit die Menge an Strafverfahren teilweise nicht in den Unterlagenmassen untergeht und schneller bearbeitet werden, oder aufgrund von Justizpannen, unsachgemäß behandelt werden.

CF: Heißes Thema!
Warum müssen sich Staatsanwälte und Richter überhaupt mit "Kleinkram", mit Ladendiebstählen, Schwarzfahrten, besoffenen Bedrohungen ("Ich bringe dich um") usw. befassen. Noch schlimmer: Warum müssen mehrere gutbezahlte OLG-Richter amtsgerichtliche Urteile über Ordnungswidrigkeiten in zweiter Instanz überprüfen?
In echten Massendezernaten bei den Staatsanwaltschaften schaut die Staatsanwältin oder der Staatsanwalt nur ein einziges Mal in die Akten und entscheidet dann - Einstellung oder Anklage. Mehr ist nicht drin. Das Massengeschäft läuft.

BOBO: Ich denke da an das evidente Beispiel der Fristversäumung zur Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft.

CF: Das sind ganz seltene Einzelfälle.

BOBO: Folge davon ist, dass das Oberlandesgericht dann zB einen Haftbefehl eines schuldigen Straftäters wieder aufheben muss.

CF: Das hat der Gesetzgeber so gewollt. Wenn nach 6 Monaten Untersuchungshaft noch keine Hauptverhandlung vor dem zuständigen Gericht stattfindet, dann ist der Haftbefehl in aller Regel aufzuheben. Basta.
Ob der Beschuldigte wirklich "schuldig" ist, ist dann noch nicht geklärt.

BOBO: Auch sollte in den Strafverfahren der Viktimologie (Opferschutzlehre) mehr Bedeutung zugewiesen werden. Denn im Moment steht immer noch eher der Täter im Vordergrund.

CF: Das ist ein bißchen knapp, BOBO. Natürlich steht der Täter im Vordergrund der strafrechtlichen Untersuchung, denn um seine Bestrafung und seine Grundrechtsbeschränkungen geht es.
Die Folgen der Straftat für das Opfer werden häufig genug nicht richtig und vollständig in der Justizpraxis gesehen und berücksichtigt. Insoweit gebe ich Ihnen vollständig recht.
Die Hilfen für Opfer sind spärlich und unzureichend. Auch insoweit gebe ich Ihnen recht.
Bloß: Ist das eine Frage des "Bestrafungsverfahrens" oder der Gesellschaft samt ihren Regeln, Praktiken und Zuwendungen drumherum?
Opferschutz findet nicht im Strafverfahren statt, sondern muss von Mitmenschen und der Gemeinschaft geleistet werden.

BOBO: Natürlich kann man es immer so weiter ausführen. Aber der kleine Überblick sollte erstmal für Diskussionen reichen.

CF: Sehe ich auch so. Vielen Dank für Ihren (unkonventionellen) Mut!

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"Grüße vom
CyberFahnder
www.cyberfahnder.de"

0x Hilfreiche Antwort

#8
 Von 
JuR
Status:
Unparteiischer
(9878 Beiträge, 1431x hilfreich)

Lieber "Cyberfahnder",

erstmal ein Frohes Neues Jahr. Ich hoffe, dass Sie ein schönes Weihnachtsfest und Silvester hatten. Ich freue mich, wieder von Ihnen zu hören.

Ein großes Dankeschön an Sie, dass Sie sich so ausführlich mit meinem Beitrag auseinandergesetzt haben. Es hat mich sehr gefreut. Ich werde in den nächsten Tagen auf Ihren Beitrag antworten und mich bei Ihnen per eMail melden.


Viele Grüße,

- J. Roenner -


0x Hilfreiche Antwort

#9
 Von 
JuR
Status:
Unparteiischer
(9878 Beiträge, 1431x hilfreich)

Sehr geehrter Herr Hartmann,

ich kann Ihre Meinung sehr gut verstehen. Dass jedoch noch nationalsozialistische Richter in unserem derzeitigem Rechtssystem tätig sind, wage ich zu bezweifeln. Generell sollte man vieles im deutschen Strafrecht nicht so pauschalisiert sehen.


Mit freundlichen Grüßen,

- J. Roenner -


0x Hilfreiche Antwort

#10
 Von 
!!Streetworker!!
Status:
Unbeschreiblich
(30226 Beiträge, 9522x hilfreich)

Das lag mir auch auf der Zunge.

Ein Richter an einem für Strafsachen zust. Strafgericht ist gewöhnlicherweise min. 30 Jahre alt. Wer 1945 30 war, wäre heute roundabout 90 und damit kaum noch zum Bekleiden des Richteramtes fähig ;)

@ BOBO: Ich (und bestimmt andere auch) freue mich schon auf Deine Antwort auf den Beitrag vom CF. Eine sehr interessante Diskussion!

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"Gruß, Bob
(Sozialarbeiter, Straffälligen-/Drogenhilfe)"

0x Hilfreiche Antwort

#11
 Von 
Cyberfahnder
Status:
Schüler
(220 Beiträge, 20x hilfreich)

@ Diskussion zwischen BOBO und CyberFahnder:
Ja, ich bin auch sehr gespannt auf Ihre Antwort, BOBO - zumal ich glaube, dass unsere Meinungen im Ergebnis gar nicht weit auseinander liegen werden.
Ich wundere mich nur, warum sich kein anderer beteiligt. Wir könnten ja beide ganz falsch liegen und Wesentliches übersehen haben.
Z.B. die Sicht eines erfahrenen Strafverteidigers würde mich sehr interessieren.
Eine Anregung an den Webmaster : Sollte es wirklich noch zu einer richtigen Diskussion kommen, so könnte es sich anbieten, die Themen etwas zu strukturieren und womöglich in verschiedene Foren zu teilen - Strafrahmen, Sicherungsverwahrung, Strafen gegen Jugendliche und Heranwachsende, zulässige Beweismittel usw.

@ Bob:
Sie haben völlig recht: Echte Nazirichter sind längst nicht mehr aktiv. Sie waren es vor allem noch in den 60er Jahren und haben durch ihre Anschauungen, ihre Praxis und ihre Beurteilungen den juristischen Nachwuchs geprägt.
Die 70er Jahre haben auch in der Justiz das berufliche Klima verändert und die 80er Jahre haben eine Juristengeneration in die Praxis gebracht (dazu gehöre auch ich), die zwar dogmatisch im rechtlichen Sinne, (überwiegend) nicht aber im politischen praktiziert. Prägend sind eher wirtschaftliche und technologische Fragen und der unzweifelhafte Anstieg der Arbeitsmenge (quantitativ und qualitativ) geworden.

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"Grüße vom
CyberFahnder
www.cyberfahnder.de"

0x Hilfreiche Antwort

#12
 Von 
Walter Hartmann
Status:
Frischling
(6 Beiträge, 1x hilfreich)

Seid gegrüsst,
ich möchte dazu sagen, dass ich nicht das gesamte Rechtssystem über einen Kamm schere. Fakt ist doch, dass der Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" kaum noch Anwendung findet. Viel mehr wird hier nach Indizien oder nach Überzeugung gerichtet. Wie kann man nach einem Indiz oder Überzeugung einen Menschen verurteilen. Hierbei handelt es sich ausschliesslich um Verdachtsmomente, aber nicht um e i n d e u t i g e B e w e i s e. Dieses ist eben ein Überbleibsel des Nationalsozialismus.
Und viele der an den Gerichten sitzenden alten Garde - auch wenn sie zu der Zeit erst im ganz jungen Alter waren, haben von der Art und Weise Urteile zu vollstrecken noch genug mit bekommen.
Mir schon klar, dass dort keine Richter sitzen, die den ganzen Nationalsozialismus erlebt haben.
Es gibt genügend Fälle wo Menschen verurteilt wurden weil der werte Richter zur Überzeugung gekommen ist und sich auf Indizien gestützt hat, wo sich im Nachhinein heraus stellte, dass er/sie unschuldig ist/war.
Eine lächerliche Abfindung von 5 Euro wird dann pro abgesessenem Tag gezahlt. 5 Euro für einen ganzen verlorenen Tag in seinem Leben. Da kann man nur noch die Hassmütze aufsetzen und diesen Leuten die Pest an den Hals wünschen.
In diesem Sinne Gruss an alle Beteiligten dieses Forums.

0x Hilfreiche Antwort

#13
 Von 
JuR
Status:
Unparteiischer
(9878 Beiträge, 1431x hilfreich)

Guten Abend,

so, jetzt komme ich endlich mal dazu, zum Beitrag meines Kollegen "Cyberfahnders" Stellung zu nehmen. Freue mich auch über die interessante juristische Diskussion.

Selbstverständlich sehe ich es auch so, dass sich auch noch andere an der Diskussion beteiligen können, was durchaus auch wünschenswert wäre, um auch andere Meinungen zum Thema kennenzulernen.

Ich übernehme mal Ihr System:

CF: Die eklatante Ungleichbehandlung zwischen "schwerem Diebstahl" und "gefährlicher Körperverletzung" hat der Gesetzgeber vor einigen Jahren aufgegeben.

BOBO: Sicherlich. Jedoch bei Betrachtung der Rechtsprechung fällt auf, dass Vermögensdelikte, im Gegensatz zu den Delikten gegen die Persönlichkeit, im Durchschnitt schärfer bestraft werden, trotz des ähnlichen Strafrahmens.

CF: Strafen, die sich strikt an Schadenswerten orientieren, hielte ich für falsch: nicht realisierte 20.000 Euro Außenstände können für ein Ein-Mann-Unternehmen der Genickbruch sein - nicht aber zwnagsläufig bei einem Grundstücksgeschäft, bei dem es um 6- oder 7-stelligen Werte geht. Mancher Vermögensschaden kann die Geschädigten zeit ihres Lebens in die Armut treiben - ein gebrochener Arm heilt schneller.

BOBO: Ich stimme mit Ihnen überein, dass ein großer finanzieller Schaden zur Armut führen kann. Man sollte sich jedoch auch vor Augen führen was für ein Schaden es für eine Person ist, wenn diese durch eine gefährliche oder schwere Körperverletzung permanente Schäden davonträgt. Diesem wird die Rechtsprechung mE nicht gerecht. Natürlich ist dieses immer Sache des Einzelfalls, jedoch kann es mE nicht sein, dass zB für schwere Körperverletzungen der Täter zB eine milde Bewährungsstrafe bekommt. Täter betrachten die Bewährungsstrafe häufig als "zweitklassigen Freispruch".

Dieses sieht man immer wieder, besonders auch bei Jugendlichen. Erst kürzlich wurde eine jugendliche Straftäterin, 16 Jahre, (wiederholte gefährliche Körperverletzung) zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Diese nahm das Urteil als "zweitklassigen Freispruch" auf und lief jubelnd durch das Gericht. Darauf legte der Oberstaatsanwalt, obwohl er dieses erst nicht vorhatte, Berufung ein, da er die mangelnde Einsicht der Täterin erkannte. Muss der Täter erst jubelnd durch das Gericht laufen, oder mehrfach wiederholt strafbar werden damit man auf das Problem aufmerksam wird? Wie sähe es aus, wenn der Täter anstatt gefährlicher Körperverletzung mehrfache Steuerhinterziehung begangen hätte?

CF: Freiheitsstrafen im Ergebnis in Höhe von mehreren 100 Jahren sind einfach unmöglich und unmenschlich. Ich glaube, dass weder die Erhöhung der Mindest- noch der Höchststrafen wirklich Sinn macht.

BOBO: Das kommt dadurch zustande, dass im US-Amerikanischen Strafsystem die einzelnen Strafen addiert werden, je nachdem wieviele einzelne Straftaten der Täter begangen hat (Summe der Einzelstrafen). Im deutschen Rechtssystem hingegen gilt das Prinzip der Bildung einer Gesamtstrafe gemäß §§53-55 StGB .

Natürlich ist eine Strafe zu mehreren hundert Jahren schon der Natur nach nicht möglich. Ich bezog mich auch eher auf einzelne Straftaten, wie zB Vergewaltigung, die in einigen Staaten der USA mit Strafandrohung bis zu 10 Jahren versehen ist. Dieses gilt auch für andere Delikte wie zB Mord und Körperverletzung und viele andere, deren einzelne Strafandrohung wesentlich höher ist, als im deutschen Rechtssystem. Dieses wird dem Unrechtsgehalt und dem Schaden für das Opfer mE wesentlich besser gerecht. Dieses kann man auch im Vergleich zu anderen Strafrechtsordnungen sehen (Groß-Britannien, Frankreich, Spanien, Italien, Russland, asiatische Strafrechtsordnungen etc.), in denen die Strafandrohung der jeweiligen Delikte auch höher ist, als im deutschen Strafrechtssystem.

CF: Die Folge war zB bei Vergewaltigung, dass alle möglichen Verhaltensweisen der geschädigten Frauen dazu herangezogen wurden, einen minder schweren Fall zu konstruieren, um zu einem milderen Strafrahmen zu gelangen. Jedes Lächeln der Frau, dass sie den Täter überhaupt kannte, dass sie ihn in seiner Wohnung besuchte uvm wurde als Maßstab für einen minder schweren Fall angenommen.

BOBO: Ich bin ganz Ihrer Meinung. Auch in diesem Kontext zu kritisieren wäre die Vergewaltigung in der Ehe und sexuelle Straftaten innerhalb der Familie.

CF: Ich sehe bloß keinen Konsens dahin hinsichtlich der Sicherheitsverwahrung, welche menschlichen Verhaltensweisen so inakzeptabel sind, dass die Gesellschaft nicht auch auf persönliche Änderung und Besserung vertrauen müsste.

BOBO: Beispiele wären zB besondere Grausamkeit, oder wiederholte Strafbarkeit bei besonders grausamen Straftaten. Eine generelle Annahme, dass sich jeder Straftäter resozialisieren könnte, sehe ich als falsch an.

CF: Bei diesem Thema sind wir ganz nahe an der Frage nach der Todesstrafe. Ich will sie nicht und ich bin glücklich über ein Grundgesetz, das sie ohne wenn und aber verboten hat. Sie, BOBO, fordern sie auch nicht - das weiß ich. Gleichwohl müssen wir uns Gedanken darüber machen, wann eine Verurteilung fast schon einer Todesstrafe gleich kommt.

BOBO: Richtig, ich bin auch gegen die Todesstrafe. Jedoch argumentiere ich nicht gegen Strafen ohne jegliche Aussicht auf Bewährung bei besonders schweren und grausamen Straftaten. Damit sind wir jedoch wieder bei der Sicherheitsverwahrung, die oben angesprochen wurde. ME wird jedoch zu oft von der Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung (§§56 ff. StGB ) Gebrauch gemacht. Zudem sind zu viele psychologische Gutachten in diesem Zusammenhang fehlerhaft. Dass die psychologische Bewertung generell schwierig ist, zweifel ich nicht an. Jedoch kann es nicht sein, dass Straftäter, die sich eines schweren Verbrechens schuldig gemacht haben, trotz vermeintlicher guter Führung etc., schon nach Verbüßung eines Teils der Strafe (2/3 etc.) auf Bewährung entlassen werden. Auch hier wird wieder speziell auf den Täter konzentriert, dessen Grundrechte beschränkt werden. Jedoch sollte man in diesem Kontext nicht das Opfer vergessen und den Grund, warum man die Grundrechte des Täters beschränkt hat.

CF: (Thema Viktimologie - Opferschutzlehre): Natürlich steht der Täter im Vordergrund der strafrechtlichen Untersuchung, denn um seine Bestrafung und seine Grundrechtsbeschränkungen geht es.
Die Folgen der Straftat für das Opfer werden häufig genug nicht richtig und vollständig in der Justizpraxis gesehen und berücksichtigt. Insoweit gebe ich Ihnen vollständig recht.
Die Hilfen für Opfer sind spärlich und unzureichend. Auch insoweit gebe ich Ihnen recht.
Bloß: Ist das eine Frage des "Bestrafungsverfahrens" oder der Gesellschaft samt ihren Regeln, Praktiken und Zuwendungen drumherum?
Opferschutz findet nicht im Strafverfahren statt, sondern muss von Mitmenschen und der Gemeinschaft geleistet werden.

BOBO: Sicherlich trifft auch die Gesellschaft die Aufgabe des Opferschutzes. Jedoch hat das Strafrecht auch pönalisierenden, mithin bestrafenden Charakter. In diesem Zusammenhang sollte die Rechtsprechung genauer auch auf die Folgen für das Opfer abstellen und dieses mehr in das Urteil einfliessen lassen. Desweiteren sollte es juristische Möglichkeiten im Vorfeld geben, um bestimmte Verhaltensweisen und Angriffe gegen das Opfer zu unterbinden. Beispiel wäre das sogenannte "Stalking" (Belästigung durch den Täter), welches im deutschen Strafrecht nur unzureichend aufgegriffen ist. Wesentlich besseren Schutz bietet in dieser Hinsicht die anglo-amerikanischen Strafrechtssysteme, in denen im Vorfeld schon Möglichkeiten der Unterbindung bestehen, und Nichtbeachtung durch den Täter mit empfindlichen Strafen geahndet wird. Natürlich gibt es noch wesentlich mehr Beispiele bezüglich Viktimologie.

CF: Die Festlegung von Grenzen für die Schuldfähigkeit sind immer willkürlich. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, dass nur Kinder, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, strafmündig sind - also von einem Jugendrichter förmlich "bestraft" werden können.

BOBO: Richtig. Jedoch ist dieses mE nicht mehr der jetzigen Zeit angepasst. Die jugendlichen Gewalttäter werden immer jünger und sind immer öfter jünger als 14 Jahre. Diese Strafunmündigkeit jugendlicher Täter wird nicht selten durch Gangs ausgenutzt. Beispiele dafür gibt es genügend.

CF: (Thema: Wiederholte Einstellungen bei jugendlichen Wiederholungstätern) Schon jetzt gilt regelmäßig: Keine zweite "Gnade"!

BOBO: Nun, das mag durchaus sein. Jedoch sind die auf eine wiederholte Strafbarkeit verhängten Strafen, mE immer noch zu milde, um bleibenden Eindruck und Weisungsrichtung zur Besserung beim Täter zu geben, nicht scharf genug. Und darauf kommt es an. Die Wiederholungsrate ist hoch.

CF: Ich brauche z.B. einen persönlichen Eindruck von Zeugen und schrecke vor Konserven zurück. Auf der Basis dieser Erfahrung soll ich mich als Staatsanwalt auf Computeranimationen und Videoaufzeichnungen von Zeugenvernehmungen verlassen? Nein!

BOBO: Ich spreche der Strafprozessordnung das Prinzip der Unmittelbarkeit nicht ab. Ich glaube wir haben uns da etwas mißverstanden. Mit der Verwendung von Computertechnologie meinte ich, dass man zB Programme in der Strafprozesspraxis zulassen sollte, um zB einen Tatverlauf nachzustellen (zB eines Verkehrsunfalls etc.). Mit Videoaufzeichnungen meinte ich zB die Verhinderung einer mehrfach wiederholenden Vernehmung des Opfers, zB bei einer Sexualstraftat. Die Tat an sich ist schon sehr schwer für das Opfer, genauso ist es mit der häufig wiederholenden Vernehmung und Darstellung des Tatverlaufs. Auch hier spielt die Viktimologie wieder mit ein. Dieses ist in den anglo-amerikanischen Strafsystemen berücksichtigt. Es bestehen zudem mehrere Möglichkeiten im Beweisverfahren.

CF: Der genetische Fingerabdruck ist wohl das wichtigste Beweismittel geworden, um längst erfolglos abgeschlossene Kapitalverbrechen - vor allem sexuell motivierte Morde - doch noch aufzuklären. Wichtig ist es, die Voraussetzungen und Grenzen der Datenspeicherung zu präzisieren. Einen allgegenwärtigen Überwachungsstaat möchte ich ebenso wenig wie eine ständige Durchleuchtung von Privatpersonen - z.B. von Lebens- oder Krankenversicherungen, Arbeitgebern und vielen anderen mehr.
So, wie ich Ihre Äußerungen kenne, BOBO, wollen Sie das auch nicht.
Wo sollen also die Grenzen sein, wo die effektive Kontrolle und Vermeidung?

BOBO: Wo die Grenzen sind, ist genau die Frage. Zwangsläufig muss man Einschnitte beim Datenschutz und der Privatssphäre machen, wenn man die strafrechtliche Überwachung (DNA-Speicherung, Videoüberwachung etc.) erweitert. Auch sind dann Möglichkeiten des Mißbrauchs der Informationen gegeben. Es ist somit eine Abwägungsfrage. Ich sehe jedoch noch wesentlichen Spielraum für die Erweiterung zur Speicherung von Daten zur Strafverfolgung.

Im englischen Strafrechtssystem ist zB die Videoüberwachung schon sehr weit vorangeschritten.


Genau wie im US-Amerikanischen Strafsystem. Dort gibt es zB eine Auflistung der Sexualstraftäter je nach Region. Dadurch können sich Bürger über die in Ihrer Nähe wohnenden Sexualstraftäter informieren. Beispiel für New York ist der - The New York Sex Offender Registration Act "SORA" - vom 25. Juli 1995 zum besseren Schutz für die Öffentlichkeit. Dabei wird zwischen 3 Gefährlichkeitsstufen (jeweils hinsichtlich des Deliktes etc.) unterschieden. Näheres in "Doe v. Pataki - U.S. Court of Appeals 2nd Cir. 1997".

CF: Vielen Dank für Ihren (unkonventionellen) Mut!

BOBO: Danke für Ihre umfassende Stellungnahme. Ich freue mich auf eine weitere Diskussion.


Gruesse,

- J. Roenner -


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#14
 Von 
JuR
Status:
Unparteiischer
(9878 Beiträge, 1431x hilfreich)

Sehr geehrter Herr Hartmann,

Fakt ist doch, dass der Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" kaum noch Anwendung findet. Viel mehr wird hier nach Indizien oder nach Überzeugung gerichtet. Wie kann man nach einem Indiz oder Überzeugung einen Menschen verurteilen. Hierbei handelt es sich ausschliesslich um Verdachtsmomente, aber nicht um e i n d e u t i g e B e w e i s e.

Ich möchte Ihnen in diesem Punkt widersprechen. Der Grundsatz "in dubio pro reo" findet nach wie vor wichtige Anwendung. Wenn man nur noch wegen eindeutiger 100%iger Beweise jemanden verurteilen könnte, so wären kaum noch Verurteilungen möglich. Denn in den meisten Fällen kann ein Tatverlauf nicht 100%ig beweisbar nachkonstruiert werden. Die Punkte der Überzeugung des Gerichts und der sogenannten Indizienbeweise sind somit wichtige Punkte im Strafprozess. Dieses gilt aber nicht nur bei uns in Deutschland so, sondern ist hingegen auch in vielen anderen Strafrechtssystemen international verankert. An die Indizienbeweise sind natürlich hohe Anforderungen gestellt.

Es gibt genügend Fälle wo Menschen verurteilt wurden weil der werte Richter zur Überzeugung gekommen ist und sich auf Indizien gestützt hat, wo sich im Nachhinein heraus stellte, dass er/sie unschuldig ist/war.

Sicherlich gibt es diese Fälle. Jedoch gibt es die Rechtsmittel der Beschwerde, Berufung, Revision etc. bei Zweifeln der Urteilsfindung. Zudem: Es mag zynisch klingen, aber im wesentlichen geht es ja auch darum, ein funktionierendes Strafrechtssystem zu konstruieren. Kein Rechtssystem der Welt ist 100%.


Mit freundlichen Grüßen,

- J. Roenner -


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#15
 Von 
Bob.Vila
Status:
Student
(2644 Beiträge, 438x hilfreich)

@ BOBO:
"Dieses sieht man immer wieder, besonders auch bei Jugendlichen. Erst kürzlich wurde eine jugendliche Straftäterin, 16 Jahre, (wiederholte gefährliche Körperverletzung) zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Diese nahm das Urteil als "zweitklassigen Freispruch" auf und lief jubelnd durch das Gericht. Darauf legte der Oberstaatsanwalt, obwohl er dieses erst nicht vorhatte, Berufung ein, da er die mangelnde Einsicht der Täterin erkannte. Muss der Täter erst jubelnd durch das Gericht laufen, oder mehrfach wiederholt strafbar werden damit man auf das Problem aufmerksam wird? Wie sähe es aus, wenn der Täter anstatt gefährlicher Körperverletzung mehrfache Steuerhinterziehung begangen hätte?"

Die Einlegung der Berufung durch die StA war in diesem Fall ja wohl auch eindeutig politisch motiviert - sieht halt für die Justiz nicht so gut aus, wenn am nächsten Tag sämtliche Zeitungen über diese Freundenstänze berichten... Zumal wenn im Innensenat die letzten Vertreter der PRO-Fraktion sitzen, die sich ja die innere Sicherheit und die Kriminalitätsbekämpfung ganz groß auf ihre Fahnen geschrieben haben...

-----------------
"fiat justitia et pereat mundus..."

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#16
 Von 
Posen
Status:
Lehrling
(1183 Beiträge, 212x hilfreich)

--- editiert vom Admin

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#17
 Von 
Cyberfahnder
Status:
Schüler
(220 Beiträge, 20x hilfreich)

Lieber BOBO, liebe Leute,
die Themenbreite, die BOBO vorgelegt hat, macht es schwierig, die zusammenhängende Argumentation im Griff zu behalten. Ich melde mich wieder, weil einige Punkte der tieferen Diskussion bedürfen.
Admin , können Sie bei der Strukturierung helfen?

-----------------
"Grüße vom
CyberFahnder
www.cyberfahnder.de"

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#18
 Von 
123recht.de
Status:
Praktikant
(661 Beiträge, 247x hilfreich)

Hi CF und alle anderen! En guets Nüs!

Interessante Diskussion hier! Bei der Strukturierung helfen könnte ich schon, aber wollt ihr das wirklich? Ich meine, die Diskussion auseinanderzufleddern und in verschiedene Themenbereiche aufzuteilen wäre nicht gut, da zu verteilt und zu unübersichtlich? Besser, wenn alles gebündelt ist?
Aber vielleicht denkt ihr ja alle anders, dann füge ich mich natürlich :)

Mein Vorschlag: Ich eröffne einen neuen Thread und packe die obigen Postings dort hinein. Entweder unter Strafrecht oder unter Dafür und dagegen?
Was meint ihr?

Grüße
Admin

0x Hilfreiche Antwort

#19
 Von 
!!Streetworker!!
Status:
Unbeschreiblich
(30226 Beiträge, 9522x hilfreich)

Wenn dann würde ich "Strafrecht" befürworten :)

-----------------
"Gruß, Bob
(Sozialarbeiter, Straffälligen-/Drogenhilfe)"

0x Hilfreiche Antwort

#20
 Von 
Cyberfahnder
Status:
Schüler
(220 Beiträge, 20x hilfreich)

Ich bin auch für "Strafrecht".

-----------------
"Grüße vom
CyberFahnder
www.cyberfahnder.de"

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#21
 Von 
JuR
Status:
Unparteiischer
(9878 Beiträge, 1431x hilfreich)

Ich schliesse mich an. Sie werden schon eine gute Lösung finden Admin :)

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#22
 Von 
JuR
Status:
Unparteiischer
(9878 Beiträge, 1431x hilfreich)

Guten Tag,

möchte sich doch keiner mehr zu dieser Diskussion äußern?


Mit freundlichen Grüßen,

- J. Roenner -


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