Willkommen in der Schafherde

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Verbraucher haben alle Macht. Sie wissen es nur nicht.

Der Rechthaber

Verbraucherschutz ist ja so eine Art Tierschutz. Tiere sind gegenüber uns Menschen im Nachteil und müssen geschützt werden. Vor der Quälerei oder Ausrottung etwa. Verbraucher ausrotten dagegen ist ziemlich schwierig. Es gibt enorm viele davon, und diese vermehren sich auch noch wie die Karnickel. Trotzdem wird dem Massenphänomen Verbraucher ein Nachteil gegenüber Herstellern und Dienstleistern zugesprochen: Sie haben weniger Information, Wissen und Erfahrung als die Unternehmen. Verbraucherschutzgesetze sollen die Masse daher vor Übervorteilung und Abzocke schützen.

Wollte man den Verbraucher als Tier darstellen, welches eignet sich am besten? Richtig, das Schaf: Allgemein eher dümmlich und uninteressiert, lethargisch, eher passiv, ängstlich, kann sich nicht wehren. Im Frühstadium total süß, später fängt es dann an, unproportional dick zu werden und streng zu riechen. Eine Menge von 200 lässt sich von einem einzigen kleinen Kläffer einschüchtern und zusammenhalten. Schafe eben. Verbraucher. Praktisch dasselbe.

Und so gibt es die recht bekannten Regelungen des Verbraucherschutzes, um die Schafe vor Wölfen und sich selbst zu schützen. Die Bestimmungen für Allgemeine Geschäftsbedingungen etwa, oder das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften und im Fernabsatz. Die Button-Lösung gegen Abo-Fallen. Oder das Eichgesetz und die Fertigpackungsverordnung, die z.B. Mogelpackungen in Deutschland verbieten. Packungen dürfen keine größere Füllmenge vortäuschen, als tatsächlich enthalten ist. Enthält die Verpackung viel Luft, aber wenig Inhalt, dann wird der Verbraucher an der Nase herumgeführt.

Mit diesen Verbraucherschutzgesetzen ist es wie mit dem Wettrüsten: Da baut wieder jemand eine neue Waffe, also müssen neue Abwehrraketen her. Hier hat eine Firma wieder neue Wege ausgeheckt, Verbraucher zu betrügen, also müssen neue Verbraucherschutzgesetze her. Allerdings: So viele Gesetze kann man gar nicht erlassen, wie Firmen sich innovative Tricks ausdenken, Verbraucher für dumm zu verkaufen.

Die Verbraucherzentrale Hamburg deckt immer wieder besonders dreiste Fälle auf, bei denen die Schafe ausgenommen werden. Die aktuellen prominenten Beispiele der Verbraucherschützer sind Pampers und Senseo. Pampers hat in den letzten Jahren die Anzahl der Windeln in einer Packung von 47 auf 34 verringert. Weder wurde der Preis entsprechend gesenkt, noch hat sich die Verdauung von Babys quantitativ geändert. Macht Pampers so weiter, ist die Packung bald leer.

Bei Senseo Kaffeepads „Typ Cappuccino" ist die Anzahl der Pads zwar gleich geblieben, dafür ist die Füllmenge jetzt 8 Gramm leichter als vorher und ein Pad enthält nur 1/5 der bisherigen Kaffeemenge. Ein Fünftel! Stattdessen doppelt so viel Zucker, mehr Fette, Zusatzstoffe und Aromazusatz.

In das eine Produkt kommen eklige Erzeugnisse rein, in dem anderen sind sie schon drin.

Das ist völlig legal, solange nur die Verpackung selbst nicht zu viel Luft enthält und irgendwo auf der Verpackung steht, was den Verbraucher drinnen erwartet. Und es ist üblich, durch alle Branchen. Der Verbraucher soll verbrauchen, der Gewinn soll steigen.

Dabei wird nicht nur eine bestehende Schafherde möglichst geschröpft - es werden auch neue Herden erschlossen. Im Falle von Pampers z.B. wird China erobert, ein Land, in dem Wegwerfwindeln überhaupt nicht bekannt waren und die Bevölkerung seit Jahrtausenden ganz hervorragend ohne auskommt. Babys haben entweder wiederverwertbare Windeln oder gar keine, stattdessen aber Kleidung mit Schlitzen. Chinesische Mütter sind gleichzeitig sehr gut darin, ihrem Baby ein sich anbahnendes Geschäft an der Nasenspitze anzusehen - eine Fähigkeit, die wir im Westen kaum noch können, denn wir brauchen sie nicht. Stattdessen produzieren wir lieber einen Haufen Müll, der Chinesen jetzt als fortschrittlich verkauft wird.

Die Sache mit der Schafherde klappt deshalb so gut, weil wir Verbraucher diese Rolle dankbar angenommen und verinnerlicht haben. Jeden Tag reden wir uns selbst ein, dass wir Herdentiere sind und passen uns den Trends der Masse an. Gegen den Strom schwimmen ist undenkbar, und selbst wenn, erreicht man dadurch nichts. Was kann der einzelne schon machen? Man kann sich ja gar nicht informieren, bei all diesen Produkten, wie soll das gehen? Man muss ja zwangsläufig glauben, was die einem erzählen. Der Typ in der Werbung hat einen Doktortitel, der muss es ja wissen.

Verbraucherschutz ist zweischneidig. Zum einen hilft es akut gegen Abzocke. Gleichzeitig suggeriert es aber dem Verbraucher auch, dass er schützenswert ist und sich alleine nicht helfen kann.

Solange man sich das einredet, ist es auch wahr. Solange aber nur ein Schaf aus der Reihe tanzt, dazu steht und den anderen vorlebt, dass es auch anders geht - ohne Missionierung, ohne Belehrung, ohne erhobenen Zeigefinger - wird es andere Schafe um sich herum verändern. Verbraucher können sich heute über so gut wie alles informieren, was auf der Welt passiert. Verbraucherzentralen und Portale wie Foodwatch.de oder Lebensmittelklarheit.de im Netz sind nur wenige Beispiele. Immer mehr werden folgen.

Verbraucher können einen riesigen Konzern wie Shell durch Boykott dazu zwingen, die Brent Spar fachgerecht zu entsorgen.

Verbraucher sind Schafe im Tiefschlaf. Doch mit einer ganz einfachen Frage kann sich alles verändern:

"Möchte ich da noch mitmachen?"

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