Wie ist die Rechtslage wenn Autofahrer blinken und trotzdem geradeaus fahren?

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Für die Schuldfrage ist die Gesamtsituation entscheidend

Viele Unfälle entstehen dadurch, dass ein vorausfahrender Autofahrer oder ein Vorfahrtsberechtigter an einer Kreuzung erst blinkt und dann doch geradeaus weiterfährt. Doch liegt in solchen Fällen überhaupt ein Verkehrsverstoß des Falschblinkenden vor? Und darf der Irritierte auf das Abbiegen des Falschblinkenden vertrauen?

Das OLG München hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem ein vorausfahrender Kfz-Fahrer den Rechtsblinker gesetzt hatte, mit verlangsamter Geschwindigkeit auf die Rechtsabbiegerspur gewechselt und dann plötzlich wieder auf der linken Spur geradeaus weitergefahren ist. Der nachfolgene Wagen kam beim Ausweichmanöver ins Schleudern und prallte gegen eine Leitplanke.

Carsten Herrle
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Das Gericht war der Ansicht, dass der Vorausfahrende nicht nur den Unfall durch das Falschblinken verursacht hat, sondern auch dass der Nachfolgende auf das Abbiegen vertrauen durfte. Mit einem plötzlichen Spurwechsel habe der Nachfolgende nicht rechnen müssen. Das OLG nahm daher eine vollständige Haftung des Falschblinkenden gem. § 17 Abs. 1 StVG an (OLG München, Urteil v. 22. Juni 2012 – 10 U 306/12).

Haftungsverteilung

Die meisten Land- und Oberlandesgerichte sehen das – zumindest bei Unfällen auf Kreuzungen – anders und lassen vor allem den wartepflichtigen Linksabbieger im Vergleich zum Falschblinkenden haften.

Das LG Saarbrücken etwa hielt eine Mithaftung des Falschblinkenden von nur 20 % für angemessen. Ein vorfahrtsberechtigter Fahrer an einer Kreuzung hatte irrtümlich rechts geblinkt und war beim Geradeausfahren mit dem wartepflichtigen Pkw des Klägers zusammengestoßen. Anders als das OLG München 2012 ging das LG zwar davon aus, dass der Kläger den Unfall alleine verursacht habe, sah aber in dem Verhalten der Beklagten die Schaffung einer erhöhten Betriebsgefahr. Durch das irrtümliche Setzen des Blinkers habe die Beklagte eine Gefahr geschaffen, die sich in dem Unfall realisiert habe (LG Saarbrücken, Urteil v. 7. Juni 2013 – 1 S 34/13).

Ein ähnlicher Fall wurde wiederum vor dem OLG München verhandelt. Diesmal stellte das OLG klar, dass der wartepflichtige Linksabbieger nicht darauf vertrauen dürfe, dass der Falschblinkende rechts abbiegt. Das Gericht sah in dem Verhalten des Falschblinkenden einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO:

„Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird."

Den Verstoß des Wartepflichtigen (§ 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVO) gewichtete das OLG indes schwerer und nahm eine Haftungsverteilung von 70:30 zu seinen Lasten an (OLG München, Urteil v. 6. September 2013 – 10 U 2336/13).

Falschblinken allein reicht nicht

Die obergerichtliche Rechtsprechung ist sich weitgehend einig, dass allein aufgrund des Falschblinkens der andere Kfz-Fahrer nicht auf das Abbiegen vertrauen dürfe. Das OLG Dresden etwa schloss sich einem Urteil des OLG Saarbrücken (4 U 228/07) an und machte deutlich, dass darüber hinaus „in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers eine zusätzliche tatsächliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt". Die Beweislast trage insoweit der Wartepflichtige. Ihn treffe gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 StVO beim Einfahren in die Vorfahrtsstraße eine „gesteigerte Sorgfalt", wodurch er „mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen muss". Die unzureichende Vergewisserung wiege schwerer als das fälschliche Blinkersetzen; eine Mithaftung des Falschblinkenden von 30 % sei sachgerecht (OLG Dresden, Beschluss v. 24. April 2014 – 7 U 1501/13).

In einer weiteren Entscheidung bekräftigte das OLG Dresden seine Argumentation und Haftungsverteilung (Urteil v. 20. August 2014 – 7 U 1876/13).

Unfall an Tankstellenausfahrt

Das LG Arnsberg beschäftigte sich mit einem Fall, in dem der Beklagte beim Herausfahren aus einer Tankstellenausfahrt mit der falsch blinkenden Klägerin zusammengestoßen war. Entgegen der Auffassung der ersten Instanz trete die Betriebsgefahr des klägerischen Wagens hinter das überwiegende Verschulden des Beklagten zurück. Dem Beklagten sei ein Verstoß gegen § 10 StVO vorzuwerfen, der Klägerin dagegen kein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO. Denn an eine Vertrauenslage wegen des irrtümlich gesetzten Blinkers seien strenge Anforderungen zu knüpfen. Sei eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit und (!) der Beginn des Abbiegens nicht erkennbar, trage der Falschblinkende keine Schuld an dem Unfall. Die Verringerung der Geschwindigkeit allein reichte dem Gericht nicht; die falsch blinkende Klägerin bekam Recht (LG Arnsberg, Urteil v. 23. November 2011 – I-5 S 104/11).

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