Wasser - vom Menschenrecht zum Luxusgut?

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Eine europäische Richtlinie zur Privatisierung der Wasserversorgung verunsichert die Verbraucher. Die Gegeninitiative „Right 2 Water" beflügelt gleichzeitig die direkte Demokratie in Europa.

Die Vereinten Nationen haben 2010 das Recht auf sauberes Wasser als ein Menschenrecht anerkannt, mit 122 zu null Stimmen. Viele europäische Staaten haben die Resolution unterstützt. Die Europäische Kommission will jetzt allerdings mit einer Richtlinie die Privatisierung der Wasserversorgung ermöglichen. Ist das ein Widerspruch, und was bedeutet das für Verbraucher? 123recht.de fragte nach bei Rechtsanwalt Robert Hotstegs, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Lehrbeauftragter der FOM Hochschule, u.a. für Verfassungsrecht.

123recht.de: Herr Hotstegs, wer kümmert sich um unsere Wasserversorgung in Deutschland momentan und was genau will die Europäische Kommission mit ihrer Richtlinie ändern?

Rechtsanwalt Hotstegs: In Deutschland ist die Wasserversorgung, also sowohl die Trinkwasserversorgung als auch die Behandlung von Abwässern, typischerweise Aufgabe der Kommunen oder aber von speziellen Wasserzweckverbänden. Die Wasserversorgung ist damit Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Das ist in Hamburg beispielsweise schon seit 1843 der Fall.

Gleichzeitig ist Wasser aber natürlich auch ein wichtiges Gut, mit dem Handel getrieben werden kann. "Trinkwasser in privater oder teilprivatisierter Hand" und "Wettbewerb im Bereich der Wasserversorgung" sind hier die Schlagworte.

Nach dem aktuellen Stand, wie er sich jetzt aus einem Redemanuskript von EU-Binnenkommissar Barnier ergibt, möchte die Europäische Kommission ursprünglich diskutierte Ausschreibungspflichten im Wasserbereich deutlich einschränken. In der Diskussion befindet sich nun, dass man bei kommunalen Versorgern, also zum Beispiel Stadtwerken, den Wasserbereich separat betrachtet. Werden mehr als 20 % des Wassergeschäfts außerhalb der Kommune getätigt, sind Aufträge dann europaweit auszuschreiben.

Der Kommissionsvorschlag noch vor wenigen Tagen stellte auf 20% des Gesamtgeschäfts ab. Da aber alle Versorger mittlerweile im Gas- und Strombereich außerhalb der Kommune in weiten Teilen tätig sind, hätte dies zu einer eigentlich flächendeckenden Ausschreibungspflicht geführt. Mit dem Ergebnis einer sehr weitreichenden Liberalisierung und „Vermarktung" in diesem Sinne gehen erhebliche Befürchtungen einher, dass große Konzerne den Wassermarkt zukünftig dominieren und Menschen in der Europäischen Union den Zugang zum Menschenrecht Wasser erschweren könnten.

123recht.de: Menschenrecht auf sauberes Wasser einerseits, Wasserversorgung in der Hand von privaten Firmen andererseits - ist das nicht ein Widerspruch?

Rechtsanwalt Hotstegs: Genau das ist der Punkt. Nun ist es ja nicht so, als ob der Staat allein alle Menschen- und Grundrechte selbst garantieren und für ihre Umsetzung höchstpersönlich sorgen müsste. Im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit kennen wir das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privater Medienlandschaft. Aber wir kennen auch die Grenzen eines privaten Wettbewerbs, wenn am Ende der Gewinn am höchsten sein soll. Hier gibt es nur die Möglichkeit, entweder das Menschenrecht Wasser dem Wettbewerb weitestgehend zu entziehen und diesen Bereich nicht zu liberalisieren oder eine Kontrolle des Marktes einzuführen, die diesen Namen aber auch verdient.

Die Bundesnetzagentur wäre hierfür eine mögliche Aufsichtsbehörde, aber sie muss einen deutlich abgesteckten Handlungsrahmen und wirksame Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten erhalten, um jedem Bürger sein Recht auf Wasser garantieren zu können.

123recht.de: "Wasser ist keine Ware", hört man von Gegnern der Europäischen Richtlinie immer wieder. Ist das Wasser auf dem Weg zum Wirtschaftsgut, zum Luxusgut sogar?

Rechtsanwalt Hotstegs: Ein Wirtschaftsgut ist es jetzt schon. Auch wenn es bislang von öffentlichen Versorgern gehandelt wird, kann man hierüber nur schwer hinwegsehen. Aber das sind andere Bereiche auch, die durch Menschen- und Grundrechte geschützt werden. Nehmen Sie noch einmal das Beispiel der Presse. Wir werden viele negative wie positive Beispiele finden, wie hier das Wirtschaftsgut „Meinung" sowohl zur öffentlichen Diskussion und zur Förderung der Meinungsfreiheit beiträgt, ebenso wie Meinungsfreiheit unter der Dominanz von großen Wirtschaftsunternehmen leidet.

Wasser darf kein Luxusgut werden, es darf nicht wenigen Privilegierten vorbehalten bleiben. Hierfür müssen wir jetzt in der politischen Diskussion streiten, um spätere Versorgungs- und Rechtsstreitigkeiten zu verhindern.

In Art. 2 des EU-Vertrages heißt es unter anderem

„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde [.. .] und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch […] Nichtdiskriminierung, [.. .] Gerechtigkeit [und] Solidarität [.. .] auszeichnet."

Dem gilt es auch hier zur Durchsetzung zu verhelfen.

123recht.de: Inwiefern darf Europa auf die Trinkwasserversorgung überhaupt Einfluss nehmen? Ist das nicht Sache der Kommunen selbst? Wieso ist eine europaweite Regelung erforderlich?

Rechtanwalt Hotstegs: Die Kommunen selbst haben in der Vergangenheit ihre eigenen lokalen Grenzen immer wieder überschritten. Dazu kommt, dass die Mitgliedsstaaten sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Wasserversorgung bereit halten. Hier kann eine Orientierung an „best practices" ebenso wie eine vertiefte Zusammenarbeit und ein Austausch sinnvoll sein. Trinkwasser und Abwasser kennen keine Grenzen, daher ist eine vertiefte europäische Standardisierung sinnvoll. Sie darf nur das Ziel nicht aus dem Blick verlieren: die Wasserversorgung für Bürgerinnen und Bürger sicher zu stellen. Wir müssen der UN-Resolution zur Wirksamkeit verhelfen.

123recht.de: Gibt es bereits Beispiele weltweit, wo die Privatisierung von Wasser funktioniert - oder auch nicht?

Rechtsanwalt Hotstegs: In Frankreich hat die Wasserversorgung durch die Privatwirtschaft eine lange Tradition. Schon im 19. Jahrhundert wurde die Wasserversorgung vieler Gemeinden in die Hände börsennotierter Unternehmen gelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde beim Wiederaufbau von vielen Gemeinden die Erhaltung und der Ausbau der Infrastruktur für die Wasserversorgung privaten Unternehmen übertragen, die dafür den Wasserpreis festsetzen konnten. Hier wurden teilweise Konzessionen bis zu 99 Jahre lang gewährt. Heute sind sie auf 12 bis 30 Jahre begrenzt.

In dieser Zeit sind französische, aber auch britische Konzerne entstanden, die heute weltweit operieren und den Markt dominieren. Die Vor- und Nachteile dieser Privatisierung kommen immer wieder unterschiedlich zum Ausdruck und haben auch beispielsweise in Frankreich zu unterschiedlichen Reaktionen des Gesetzgebers geführt. So wurden unter anderem stärkere Anreize für Wasserversorger geschaffen, einen bestimmten Prozentsatz des Jahresumsatzes für Partnerschaften mit Wasserversorgern in Entwicklungsländern zu verwenden.

In London konnten die Bürger vor einigen Jahren beobachten, wie die Sanierung von Wasserleitungen versäumt wurde. 10.000 Liter Trinkwasser ließ der private Betreiber in der Sekunde in den Boden sickern, ohne dass die Aufsichtsbehörde ihn davon abhielt. Das führte dazu, dass 2006 in Rede stand, die Bevölkerung bei anhaltender Dürre im Sommer nur noch über öffentliche Zapfstellen zu versorgen. Eine abstruse Situation, dass Wasserverschwendung und Kapitalisierung hier das Leben einer Millionenstadt derart zurückgeworfen hätten.

123recht.de: Wenn ein Konzern über 20 Jahre das Konzessionsrecht über die Wasserversorgung hat - kann er dann gleichzeitig auf die Talsperren und Natuschutzgebiete Einfluss nehmen, von denen das Wasser stammt?

Rechtsanwalt Hotstegs: Dies muss konkret im Auge behalten werden. Denn das Ökosystem ist nun mal ein zusammenhängendes. Naturschutz, Wasserspeicherung und -versorgungen gehen hier Hand in Hand. Die jetzt diskutierte Privatisierung der Versorgung darf nicht dazu führen, dass auch der Naturschutz sich den wirtschaftlichen Zwängen unterordnet. Das wäre Raubbau an der nächsten Generation.

123recht.de: Wenn besorgte Bürger gegen die Privatisierung der Wasserversorgung vorgehen wollen, was können sie tun?

Rechtsanwalt Hotstegs: Sie können und sollten die derzeit aktive Europäische Bürgerinitiative „Right 2 Water" unterstützen. Hierbei handelt es sich um ein echtes direktdemokratisches Instrument, dass wir erst seit letztem Frühjahr in der EU zur Verfügung stehen haben. Es ist leider noch kaum bekannt geworden. Aber gerade „Right 2 Water" hat das Potential, hier einen großen demokratischen Schub auszulösen. Bis heute sind knapp 1,2 Millionen Unterschriften gesammelt worden. Bis September möchte die Initiative die 2 Millionen Marke knacken. Wenn die Initiative erfolgreich ist, d.h. auch bestimmte Quoren in einzelnen Mitgliedsstaaten erfüllt, dann findet eine Anhörung vor Kommission und Parlament statt. Wir brauchen diese kritische Diskussion und die Öffentlichkeit dieses Themas.

Auch alle anderen Interessierten sollten sich online über die Europäische Bürgerinitiative (EBI) und EBI's zu anderen Themen informieren. Mit wenigen Klicks kann hier Politik beeinflusst werden. Wir sind daher seit 2012 einen weiteren demokratischen Schritt vorangekommen.

123recht.de: Vielen Dank!


Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Lehrbeauftragter der FOM Hochschule u.a. für Verfassungsrecht. Er ist Mitglied im Landesvorstand NRW des Fachverbandes Mehr Demokratie e.V. und stellvertretendes Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Leserkommentare
von baysat am 01.03.2013 06:13:26# 1
Es wäre wichtig zu erwähnen, das gerade in Frankreich und Großbritannien die Wasserprivatisierung mehr und mehr zurück genomen wird, weil man mit Konzernen wie VEOLIA (Frankreich) schlechte Erfahrung gemacht hat. Nicht nur wurden die Wasserpreise massiv erhöht, sondern man hat das Leitungsnetz auch nicht gepflegt um höhere Profite zu erzielen. Leider sind inzwischen schon über 300 deutsche Kommunen mit VEOLIA in "Kooperationen". Das wird sich rächen. Deutschland hat ein fantastisches Wassserversorgungsssystem um das uns die ganze Welt beneidet. Es muss in öffentlicher Hand bleiben und darf nicht profitgierigen Spekulanten in die Hand fallen.