WM: Arbeitnehmer dürfen keine Toleranz erwarten

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Freistellung, Public Viewing, Bereitschaftsdienst: Tipps für Arbeitnehmer während der Fußball-Weltmeisterschaft

Die Fußball-WM ist seit Jahren eine der beliebtesten Veranstaltungen weltweit. Als wahrer Fan möchte man nichts verpassen - allerdings fallen die in Brasilien ausgetragenen Spiele mitten in unsere Arbeitszeit. Das kann dann schon ein paar arbeitsrechtliche Probleme mit sich bringen. 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt Dr. Eckart Jakob.

123recht.de: Herr Dr. Jakob, Habe ich als Arbeitnehmer einen Anspruch auf Freistellung oder Sonderurlaub während der WM?

Eckart Jakob
Partner
seit 2004
Rechtsanwalt
Walsroder Str. 65
30851 Langenhagen
Tel: 0511 / 262 779 80
Web: http://www.rajakob.de
E-Mail:
Zivilrecht, Mietrecht, Arbeitsrecht, Erbrecht, Familienrecht
Preis: 150 €
Antwortet: ∅ 82 Std. Stunden

Rechtsanwalt Dr. Jakob: Schauen Sie zunächst in Ihren Arbeitsvertrag, evtl. auch Tarifvertrag, wenn dieser für Sie gilt. Sollte sich dazu nichts finden, kommt es auf die allgemeine Gesetzeslage und die Rechtsprechung an. Ein Anspruch auf Sonderurlaub oder Freistellung wegen bestimmter Sportereignisse ist nicht bekannt. Wenn Sie erreichen wollen, dass Ihr Chef Ihnen außer der Reihe frei gibt, suchen Sie das direkte Gespräch. Wenn unbezahlter Sonderurlaub gemeint ist, kommt es auf die betriebliche Vereinbarkeit gegenüber den Arbeitnehmerinteressen an.

Bei eigenmächtigem Fernbleiben von der Arbeit drohen Abmahnung und Kündigung

123recht.de: Welche Folgen drohen mir, wenn ich eigenmächtig entscheide, zu Hause zu bleiben oder zum Spiel in die nächste Eckkneipe gehe?

Rechtsanwalt Dr. Jakob: Sie können eine fristlose Kündigung wegen Arbeitsverweigerung bekommen, mindestens aber eine Abmahnung. Wie weit eine Kündigung bei einem einmaligen Ereignis dieser Art durchgehen würde, ist fraglich. Im Zweifel gibt die Rechtsprechung immer eine „zweite Chance“. Man sollte es aber nicht darauf ankommen lassen. Auch hier steht das Gespräch mit dem Chef an erster Stelle. Eigenmächtigkeit ist im Arbeitsverhältnis immer schlecht.

123recht.de: Welche Konsequenzen drohen mir, wenn ich nach einem Spiel oder morgens noch angetrunken oder mit Fahne zur Arbeit komme?

Rechtsanwalt Dr. Jakob: Trunkenheit am Arbeitsplatz ist ebenfalls ein Abmahnungsgrund, bei Wiederholung kann es sogar ein Kündigungsgrund sein. Bei ernsthaften Alkoholproblemen gilt noch anderes. Das ist hier aber sicher nicht gemeint. Die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers ist jedenfalls von ihm selbst zu gewährleisten.

Bei Bereitschaftsdienst: Unbedingt Blick in den Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag werfen

123recht.de: Darf mir mein Chef die Teilnahme an "Public Viewing" im Bereitschaftsdienst untersagen?

Rechtsanwalt Dr. Jakob: Wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, Bereitschaftsdienst zu leisten, muss er natürlich bei Abruf sofort verfügbar sein. Bei einem Public Viewing könnte das schwierig werden, wenn der Arbeitnehmer dort bei Abruf nicht schnell genug wegkommt. Auch könnte die Erreichbarkeit per Handy eingeschränkt sein, weil bei solchen Ereignissen manchmal die Mobilfunknetze wegen Überbeanspruchung zusammenbrechen.

Also kann der Chef zwar nicht grundsätzlich die Teilnahme am "Public Viewing" untersagen, wenn dadurch aber die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Arbeitsaufnahme eingeschränkt ist, verbietet sich die Teilnahme schon objektiv.

Auch hier sollte der Arbeitnehmer zur Sicherheit aber in seinen Arbeitsvertrag oder den einschlägigen Tarifvertrag schauen, wenn dieser über den Arbeitsvertrag oder aus Branchenbezogenheit für das Arbeitsverhältnis maßgeblich ist. Dort könnten sich Bestimmungen zur näheren Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes finden. Diese sind dann zu beachten.

123recht.de: Dürfen Arbeitnehmer die Fußball-WM während der Arbeitszeit verfolgen, z.B. am Fernseher oder in der Firmenkantine?

Rechtsanwalt Dr. Jakob: Einen solchen Anspruch sehe ich grundsätzlich nicht. Welche Arbeit sollte das denn sein, bei der man gleichzeitig fernsehen kann, ohne dass die Arbeitsleistung leidet? In Betracht kommt lediglich ein Arbeitsplatz, in dem die Zeit ganz oder teilweise abgesessen wird. Alles, was Aufmerksamkeit erfordert, schließt das Ansehen eines Fußballspiels aus. Denn sonst haben Sie vom Fußball nichts, oder Sie sind in Ihrer Arbeit nicht bei der Sache.

Wenn der Arbeitnehmer dagegen in seiner Arbeitszeit Wartezeiten hat, in denen er sonst z. B. liest, fernsieht oder Karten spielt, kann er natürlich genauso gut auch Fußball laufen lassen. Ich würde als Nagelprobe also nehmen, ob auch sonst der Fernseher auf der Arbeit läuft und die Aufmerksamkeit sich nicht auf andere Gegenstände richten muss. Wenn das der Fall ist, kann statt der Nachrichten oder irgendeines anderen Programmes auch Fußball eingeschaltet werden.

Mögliche Alternative: Liveticker am eigenen Rechner

123recht.de: Und was ist mit dem eigenen Computer?

Beim Ansehen von Fußball auf dem Computer ist das schon etwas anderes. Hier dürfte es sich um private Internetnutzung handeln. Diese ist im Allgemeinen untersagt, so dass eine persönliche und möglichst schriftliche Genehmigung durch den Vorgesetzten eingeholt werden sollte, wenn nicht der Arbeitsplatz oder zumindest eine Abmahnung riskiert werden sollte.

An manchen Arbeitsplätzen könnte ein Radio die Lösung sein oder die Einschaltung eines Livetickers auf dem Rechner. Immer sollte der Arbeitgeber gefragt werden, beim Radio schon wegen Stromverbrauch und „GEZ“, beim PC wegen der privaten Nutzung, die gestattet worden sein muss.

123recht.de: Angenommen, ich beim "Public Viewing" gegenüber Kollegen oder dem Chef ausfallend. Kann das arbeitsrechtliche Folgen haben?

Rechtsanwalt Dr. Jakob: Außerbetriebliches Verhalten und Verhalten im Betrieb, also Verhalten am Arbeitsplatz, sind grundsätzlich zu trennen. Im Extremfall kann aber die Teamfähigkeit des Arbeitnehmers in Frage stehen, wenn sich dieser bei außerbetrieblichen Veranstaltungen daneben benimmt. Das gilt umso mehr, als ein "Public Viewing" auch eine Veranstaltung wie ein Betriebsausflug sein könnte. Dann reicht das Verhalten auf einer derartigen Veranstaltung in gewissem Umfang in das betriebliche Verhalten hinein.

Im Zweifel sollte der Arbeitnehmer in sich hineinhorchen. Falls er von sich weiß, dass er zu emotionalen Überreaktionen bei Fußballspielen neigt, sollte er lieber auf der Veranstaltung alles für sich behalten oder diese ganz meiden und privat im kleinen Kreis fernsehen.

123recht.de: Wie sieht es aus, wenn mir während "Public Viewing" etwas passiert und ich nicht arbeitsfähig bin?

Rechtsanwalt Dr. Jakob: Hier dürfte kein Unterschied zu anderen Unfällen im Urlaub und in der Freizeit bestehen. Diese werden arbeitsrechtlich grundsätzlich nicht bewertet. Wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist, wird dies als Tatsache hingenommen, und er erhält seine Lohnfortzahlung. Die entsprechenden Formalien sind wie immer zu beachten (Krankmeldung mit ärztlicher Bescheinigung).

Bei Urlaubsanträgen während der WM muss Arbeitgeber abwägen

123recht.de: Was können Arbeitnehmer und Arbeitgeber machen, um Konflikten während der Fußball-WM vorzubeugen?

Rechtsanwalt Dr. Jakob: Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten sich, wenn sie einem Betrieb angehören, in dem viele Fußballinteressierte arbeiten, frühzeitig zusammensetzen. Die wesentlichen WM-Termine (erste Deutschlandspiele, Finalbegegnungen) sind bekannt. Es ist jedem Arbeitnehmer unbenommen, sich für die Fußball-WM seinen Erholungsurlaub im notwendigen Umfang zu nehmen. Bei der Urlaubsgewährung hat der Chef dann, wie üblich, die betrieblichen Interessen, insbesondere die Interessen der übrigen Belegschaft, aber auch die Rahmenbedingungen des sachlichen Betriebsablaufs gegen die Urlaubsinteressen des beantragenden Arbeitnehmers abzuwägen. Je früher alle und insbesondere der Chef wissen, wann wer nicht kommt, weil er tagsüber oder am Vorabend Fußball guckt, desto besser.

Fußballbegeisterte Arbeitnehmer dürfen nicht automatisch auf Toleranz hoffen

Erfahrungsgemäß rückt das Thema Fußball bei einer Weltmeisterschaft mit der Zeit immer weiter in den Vordergrund, desto mehr, je besser Deutschland spielt. Das sollte Arbeitnehmer aber nicht verleiten, automatisch Toleranz bei ihren Freizeitbedürfnissen zu erwarten. Die Arbeit muss immer noch gemacht werden. Die Konkurrenz nimmt auch keine Rücksicht. Deshalb muss rechtlich gesehen von Chefseite nicht allzu viel geduldet werden. Die Medien sind voll von Großereignissen, so dass es für die Interessen des Arbeitgebers sogar gefährlich ist, allzu großzügig zu sein, da hierdurch ein Anspruch auf Gleichbehandlung von anderen Arbeitnehmergruppen, die andere Vorlieben haben, entstehen könnte. Deshalb sollte die Arbeitnehmerseite den Bogen nicht überspannen. Auf der anderen Seite wird ein kluger Chef das betriebliche Klima durch geschickte Beachtung der wesentlichen WM-Termine aufbessern.

Da viele Arbeitnehmer möglicherweise gar nicht mit dem direkten Chef ihres Unternehmens zu tun haben, sondern häufig mit einem Vertreter des Mittelbaus, müssen sie aber auch berücksichtigen, dass dieser seine Vorgaben hat. Sie können also nicht erwarten, dass er von sich aus allzu viele Freiheiten für Fußball einräumt. Wenn die Arbeitnehmer entsprechende ausgeprägte Bedürfnisse haben, sollten sie diese möglichst offen nach oben hin artikulieren. Dann wird es am wenigsten Probleme geben.

123recht.de: Vielen Dank für das Gespräch.

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