Todesstrafe? An Hessen führt kein Weg vorbei
Mehr zum Thema: Meinung, Hessen, Todesstrafe, Verfassung, RechtsstaatDie in der Hessischen Verfassung verankerte Todesstrafe ist kein Schönheitsfehler, sondern Unrecht
Der Rechthaber
Die Zahl von Hinrichtungen ist weltweit angestiegen. Zwar gibt es immer mehr Länder, die die Todesstrafe abschaffen - gleichzeitig morden die verbliebenen Länder aber auch exzessiver als früher. Im Ergebnis führt das insgesamt zu mehr Hinrichtungen durch Gift, Kopf ab, Strang oder Kopfschuss. Und wir reden hier von den offiziellen Zahlen. Die Dunkelziffer wollen wir lieber gar nicht wissen.
USA und Iran sind bei Todesstrafen recht weit vorne. In der Neuinterpretation Persiens wird man für Kapitalverbrechen wie Homosexualität und Abwendung vom Islam weggetötet. Spezialität in den USA ist es, völlig Unschuldige umzubringen und die entlastenden DNA-Analysen irgendwann später zufällig in einer Akte zu finden. Ganz vorn ist wohl China, wo die Zahlen über Hinrichtungen allerdings gehütet werden wie ein Staatsgeheimnis. Es wird vermutet, dass Hinrichtungen proportional mit der Internetzensur zunehmen. In Deutschland verliert die Bevölkerung mit jeder neuen Webseite Datenschutz - in China verliert sie Köpfe.
O Deutschland, bleiche Mutter! In Deutschland ist die Todesstrafe laut Grundgesetz seit 1949 "abgeschafft". Naja, zumindest fast. In dem beschaulichen Bundesland Hessen ist auch heute noch die Todesstrafe vorgesehen. Und Hessen gehört ja irgendwie auch zu Deutschland. Noch. Artikel 21, Absatz 1, Verfassung des Landes Hessen, lautet:
Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, so können ihm auf Grund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden.
Bundesrecht bricht zwar Landesrecht, und somit ist die Todesstrafe auch in diesem Bundesland per se "abgeschafft". Hinrichtungen hat es auch in Hessen keine mehr gegeben. Es ist ja nur auf dem Papier. Ein altes Relikt, keine Panik. Ein Schönheitsfehler. Aber wir reden hier immerhin von der Verfassung eines Landes. Die Verfassung, so Wikipedia, ist "das zentrale Rechtsdokument oder der zentrale Rechtsbestand eines Staates". Und wenn der Staat selbst Unrecht wie die Tötung eines Menschen proklamiert, dann ist es ein Unrechtsstaat. Daran ändert auch nichts, dass Hessens Landesrecht von Bundesrecht gebrochen wird. Mit der formellen Abschaffung würde man daher nicht nur ein wichtiges Zeichen setzen - man würde die Seiten wechseln. Vom Unrechts- zum Rechtsstaat.
Warum hat sich in den letzten 60 Jahren keiner die Mühe gemacht, diesen gruseligen Passus in der Landesverfassung mal zu streichen? Ist es bloße Faulheit? Ignoranz? Gibt es Wichtigeres? Selbst in Bayern, traditionell eher konservativ angehaucht, wurde ein vergleichbarer Artikel immerhin im Jahre 1998 gestrichen. Recht spät, aber es ist passiert. Warum nicht in Hessen?
Wahrscheinlich hat man dort einfach Angst. Denn die Verfassung von Hessen lässt sich nur per Volksabstimmung ändern. Und vielleicht fürchtet man, dass eben dieses hessische Volk die Todesstrafe gar nicht abschaffen will. Keine schlafenden Hunde wecken. Lieber totschweigen, bloß keine öffentliche Diskussion vom Zaune brechen.
Der offizielle Wahlspruch von Hessen lautet: "An Hessen führt kein Weg vorbei." Erinnert irgendwie an "Don't mess with Texas" - der amerikanische Bundesstaat ist ja ebenfalls großer Verfechter der Todesstrafe. "Legt euch nicht mit Hessen an." Klingt albern, ist es auch. Aber nur Mut, liebe Hessen, auch ihr könnt den Schritt vom Unrechtsstaat zum Rechtstaat tun. Und wenn nicht, dann schmeißen wir euch eben raus. Dann könnt ihr mal sehen, wie viele Wege doch an euch vorbeigehen können.