Testamentsauslegung und Testamentsanfechtung

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Anders als vielfach angenommen, kommt es bei der Auslegung von Testamenten nicht zwingend auf den Wortlaut an. Im Gegensatz zu Verträgen entfalten Testamente nämlich keinen Vertrauensschutz zugunsten der Erben, so dass nur der wirkliche Wille des Testators maßgeblich ist. Im Zweifelsfalle muss dieser Wille auch unter Zuhilfenahme anderer Beweismittel erforscht werden. Briefe, Testamentsentwürfe, Tagebuchaufzeichnungen, Randbemerkungen in erbrechtlicher Literatur und auch Zeugenaussagen können ggf. bei der Ermittlung des Erblasserwillens dienlich sein.

Der subjektive Wille des Testators kann insbesondere dann vom Wortlaut eines Testamentes abweichen, wenn der Erblasser sein Testament eigenhändig aufgesetzt hat und dabei juristische Fachausdrücke verwendet hat. Prinzipiell kann nämlich nicht unterstellt werden, dass ein Erblasser die Konzepte, welche hinter bestimmten juristischen Begriffen stehen, vollständig gedeutet und auf seine Situation richtig angewendet hat.

Anlass für eine Korrektur des testamentarischen Wortlauts kann auch bestehen, wenn eine bestimmte Gerechtigkeitsvorstellung des Erblassers, die dem Testament zugrunde liegt, aufgrund nachträglich eingetretener Umstände mit ebenjenem Testament nicht mehr umsetzbar ist. Ein solcher Fall läge z.B. vor, wenn ein Erblasser mit dem Willen, seine Abkömmlinge gleich zu behandeln, einem Kind den Weinberg und dem anderen Kind den Winzerbetrieb nebst Weinkeller überschreibt. Würde jetzt nach der Testamentserrichtung eine Autobahn quer durch den Weinberg gebaut und verlöre der Weinberg dadurch erheblich an Wert, hätte das Nachlassgericht die Möglichkeit einer Ergänzung des Testaments. Wenn sich im Testament auch nur andeutungsweise Hinweise auf die Gerechtigkeitsvorstellung des Testators finden lassen, hätte der Richter dann die Möglichkeit, im vorliegenden Fall dem Testament posthum einen weiteren Absatz hinzuzudichten, in welchem dem mit dem Weinberg bedachten Kind z.B. zusätzlich eine Abfindung in Geld oder eine Unterbeteiligung an dem Winzerbetrieb zugesprochen wird. Vor solchen richterlichen Ergänzungen sind nicht nur eigenhändig verfasste, sondern auch notariell beurkundete Testamente nicht gefeit, was mitunter zu Unbehagen in dieser Profession führt.

Neben der – notfalls ergänzenden - Auslegung der Testamente gibt es ferner die Möglichkeit einer Anfechtung gegenüber dem Nachlassgericht. Gegenstand der Anfechtung sind die einzelnen letztwilligen Verfügungen im Testament und nicht das Testament als solches, weshalb der Begriff der „Testamentsanfechtung“ irreführend ist. Neben einer widerrechtlichen Drohung oder einer arglistigen Täuschung kann als Anfechtungsgrund angeführt werden, dass der Erblasser bestimmte wesentliche Sachverhalte unterstellt hat, welche in Wirklichkeit jedoch nicht vorlagen. Hierbei kann es sich um einen Inhaltsirrtum, einen Erklärungsirrtum oder einen Motivirrtum handeln.

Der Anwendungsbereich der Anfechtung kann sich mit dem Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung überschneiden. Bei der Auswahl, welchem Mittel im konkreten Fall der Vorzug zu geben ist, muss die unterschiedliche Zielrichtung der beiden Instrumente berücksichtigt werden: Die Anfechtung kassiert eine letztwillige Verfügung, d.h. sie setzt nichts an deren Stelle. Die ergänzende Vertragsauslegung repariert dagegen das Testament und verhilft dem Willen des Erblassers zur Geltung.

Für seine Entscheidung zwischen den ihm zur Verfügung stehenden Alternativen hat der Erbe in der Regel wenig Zeit, weil die Erklärung der Anfechtung an kurze Fristen gebunden ist. Andererseits ist eine Korrektur des Testaments über eine ergänzende Testamentsauslegung fristlos möglich. Auch ein bereits erteilter Erbschein steht einer späteren Auslegung durch das Nachlassgericht nicht entgegen. Erweist sich dieser nach einer „Überarbeitung“ des Falles als unrichtig, wird er kraftlos und ist nachträglich einzuziehen.

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