Sind Ärzte stets an Patientenverfügungen gebunden?

Mehr zum Thema: Medizinrecht, Arztrecht, Arzt, Patient, Verfuegung
0 von 5 Sterne
Bewerten mit: 5 Sterne 4 Sterne 3 Sterne 2 Sterne 1 Stern
0

Diese Frage beschäftigt sowohl Klinikärzte als auch niedergelassene Mediziner immer häufiger. Es besteht Unsicherheit bezüglich der möglichen Konfrontation mit Vorschriften des Strafgesetzbuches. Vorwürfe wegen Körperverletzung beziehungsweise unterlassener Hilfeleistung stehen eventuell im Raum.

Grundsätzlich sind Patientenverfügungen als Ausdruck des Selbstbestimmungsrecht eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten für den Arzt bindend.

Bianca Meier
Partner
seit 2006
Rechtsanwältin
Tiergartenstraße 105
30559 Hannover
Tel: 0511-270428-0
Tel: 0177-6858691
Web: http://www.matlach.de
E-Mail:
Medizinrecht, Strafrecht

Hierzu führt der Bundesgerichtshof in einer richtungsweisenden Entscheidung vom 07. März 2003 (Az. : XII ZB 2/03) aus:

Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor – etwa in Form einer Patientenverfügung – geäußerten Willen entspricht.

Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist.

Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden kann, beurteilt sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell – also aus dessen Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen – zu ermitteln ist.

Ist für einen Patienten ein Betreuer bestellt, so hat dieser dem Patientenwillen gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Ausdruck und Geltung zu verschaffen.

Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder lebensverlängernde Behandlung kann der Betreuer jedoch nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern.

Eine solche Behandlung des einwilligungsunfähigen Patienten ist bei medizinischer Indikation deshalb auch ohne die Einwilligung des Betreuers zunächst – bis zur Entscheidung des Vormundschaftsgerichts – durchzuführen oder fortzusetzen.

Für eine Einwilligung des Betreuers und eine Zustimmung des Vormundschaftsgerichts ist allerdings dann kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung nicht angeboten wird – sei es, dass sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist.

Zudem heißt es in der Entscheidung, dass die Verfügung nur dann verbindlich ist, wenn sie

1. auf die konkrete Behandlungssituation anwendbar ist und

2. keine Anhaltspunkte für eine nachträgliche Willensänderung erkennbar sind.

In einer anderen grundlegenden, ebenfalls diese Thematik betreffenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 08. Juni 2005 (Az. : XII ZR 177/03) führt das Gericht aus:

Die mit Hilfe einer Magensonde durchgeführte künstliche Ernährung ist ein Eingriff in die körperliche Integrität, der deshalb der Einwilligung des Patienten bedarf.

Eine gegen den erklärten Willen des Patienten durchgeführte künstliche Ernährung ist folglich eine rechtswidrige Handlung, deren Unterlassung der Patient verlangen kann. Dies gilt auch dann, wenn die begehrte Unterlassung zum Tode des Patienten führen kann. Das Recht des Patienten zur Bestimmung über seinen Körper macht Zwangsbehandlungen, auch wenn sie lebenserhaltend wirken, unzulässig.

So hatte im geschilderten Fall der als gesetzliche Betreuer bestellte Vater des Patienten, der seit einem Suizidversuch an einem Wachkoma litt, der künstlichen Ernährung in Befolgung des Willens seines Sohnes widersprochen.

Empfehlenswerte Vorgehensweise des Arztes, wenn zu entscheiden ist, ob lebenserhaltende Maßnahmen beendet bzw. nicht eingeleitet werden – in folgenden, immer wiederkehrenden Konstellationen:

Patient einwilligungsfähig: Ermittlung des Patientenwillens, Aufklärung des Patienten, Behandlung entsprechend seines Willens.

Patient nicht einwilligungsfähig – Betreuer oder Bevollmächtigter vorhanden: gemeinsame Ermittlung des vorausverfügten oder mutmaßlichen Patientenwillens mit Betreuer/Bevollmächtigtem/Angehörigem.
Konsens? Wenn ja: Behandlung im Sinne des (mutmaßlichen) Patientenwillens.
Kein Konsens: Überprüfung durch das Vormundschaftsgericht, so genannter Konfliktfall.

Patient nicht einwilligungsfähig – kein Betreuer oder Bevollmächtigter bestellt:Akutsituation?
Wenn ja: Gemeinsame Ermittlung des vorausverfügten oder mutmaßlichen Patientenwillens mit Angehörigen.
Konsens? Wenn ja: Behandlung entsprechend dem Willen des Patienten.
Kein Konsens: Lebensverlängernde Maßnahmen zunächst durchführen, dann Einrichtung einer Betreuung veranlassen, dann gemeinsame Ermittlung des vorausverfügten oder mutmaßlichen Willens mit dem Betreuer, wenn dann Konsens besteht, Behandlung dem Willen des Patienten entsprechend. Besteht kein Konsens zwischen Arzt und Betreuer, muss das Vormundschaftsgericht entscheiden.
Keine Akutsituation: Einrichtung einer Betreuung veranlassen und dann wie zuvor.

Das könnte Sie auch interessieren
Medizinrecht, Arztrecht Fixierung von Patienten im Krankenhaus