Rechtsmissbräuchliche Abmahnung gemäß § 8 Abs. 4 UWG

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Wann liegt ein Missbrauch eigentlich vor?

Rechtsmissbräuchliche Abmahnung gemäß § 8 Abs. 4 UWG

Das Landgericht Stade hat mit Urteil vom 23.4.2009, Geschäftsnummer 8 O 46/09 ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten festgestellt. Die Anzahl der ausgesprochenen Abmahnungen und die vom Abmahner erwirtschafteten Umsätze stünden in keinem angemessenen Verhältnis.

Die Fakten in Kürze:

  • 164 Abmahnungen
  • in einem Zeitraum von über fünf Jahren und
  • 238.000 EUR Jahresumsatz

Von einem Missbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele des Handelns eindeutig überwiegen.

Als typischen Beispielsfall eines solchen sachfremden Motivs nennt das Gesetz das Gebührenerzielungsinteresse. Nach dem letzten Halbsatz des § 8 Abs. 4 UWG, der mit „insbesondere" beginnt, ist die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs unzulässig, wenn die Geltendmachung vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Davon ist auszugehen, wenn die äußeren Umstände in ihrer Gesamtheit aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Anspruchsberechtigte kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend nur ein Gebühreninteresse verfolgt (BGH GRUR 2001, 260, 261 — Vielfachabmahner; Köhler, in: HefermehlfKöhler/Bornkamm, § 8 UWG, Rn. 4.12).

Geht es andererseits dem Gläubiger hauptsächlich um die Unterbindung unlauteren Wettbewerbs, genügt es für die Begründung des Missbrauchstatbestands nicht, wenn auch sachfremde Motivationen, ohne vorherrschend zu sein, bei der Anspruchsverfolgung eine Rolle spielen (BGH GRUR 2001, 82 — Neu in Bielefeld I). Ob die Anspruchsverfolgung vorwiegend von sachfremden Erwägungen bestimmt ist, muss im Einzelfall im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände bestimmt werden. Anhaltspunkte insoweit bilden Art und Schwere der Zuwiderhandlung, das Verhalten des Anspruchstellers bei der Rechtsverfolgung auch in anderen und früheren Fällen, das Verletzerverhalten nach der Zuwiderhandlung und auch das Vorgehen sonstiger Anspruchsberechtigter (BGH GRUR 2000, 1089, 1091 — Missbräuchliche Mehrfachverfolgung).

Grundsätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass die Abmahnpraxis von Mitbewerbern und Verbänden und die klageweise Anspruchsverfolgung dem Interesse (auch) der Allgemeinheit an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienen und deshalb, auch bei umfangreichen Tätigkeiten, insoweit für sich allein einen Missbrauch noch nicht hinreichend belegen (BGH GRUR 2005, 433, 434 — Telekanzlei; OLG Frankfurt GRUR-RR 2007, 56; Ohly-Piper, a.a.O., § 8 Rn. 184). Es müssen weitere Umstände hinzutreten, die die Missbräuchlichkeit der Geltendmachung des Anspruchs begründen (BGH GRUR 2001, 354, 355 — Verbandsklage gegen Vielfachabmahner; Senat, Urt. v. 01.04.2008, 4 U 10/08, S. 4 f.), so insbes. eine Rechtsverfolgung primär im Gebühreninteresse, eine Behinderungs- oder Schädigungsabsicht gegenüber dem Verletzer, ungerechtfertigte Mehrfachabmahnungen (dazu BGH GRUR 2002, 367, 368 — Missbräuchliche Mehrfachabmahnung), eine selektive Schuldnerauswahl oder auch eine fremdbestimmte Rechtsverfolgung lediglich im Interesse eines Dritten.

Was betrifft den Missbrauchseinwand?

Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs betrifft die Antrags- und Prozessführungsbefugnis. Bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ist der Antrag nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als unzulässig zurückzuweisen (vgl. BGH GRUR 1999, 509 — Vorratslücken; 2002, 357 — Missbräuchliche Mehrfachabmahnung; 2006, 243 — MEGA SALE). Die Frage des Missbrauchs ist insofern in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 176, 189).

Die Situation:

Ich unterstelle, dass jeder Händler seine Konkurrenz beobachtet, d.h. zum Beispiel Werbemaßnahmen beobachtet, Preise und Artikelbeschreibungen vergleicht etc. Ebenfalls unterstelle ich, dass jeder Händler zumindest weiß, dass von Ihm generell Informationspflichten beachtet werden müssen. Da es eine Vielzahl von Informationspflichten gibt erwarte ich nicht, dass ein Händler auf dem gleichen aktuellen Stand ist, wie etwa ein spezialisierter Jurist auf diesem Gebiet.

Viele Händler haben sich von Rechtsanwälten z.B. allgemeine Geschäftsbedingungen erstellen lassen oder lassen sich sogar - löblicherweise - permanent beraten. So erfahren die Händler von Neuerungen in der Rechtsprechung. Dies hat aber auch zur Folge, dass der Händler seinen Onlineauftritt gelegentlich überarbeiten muss, um sich rechtmäßig zu verhalten.

Was ich zum Ausdruck bringen möchte ist, dass Händler für die Probleme im Onlinehandel sensibilisiert werden, d.h. sie sind in der Lage einen Wettbewerbsverstoß zu erkennen.

Beispiel:

Ein Händler wird z.B. im Rahmen eines Updateservice darüber informiert, dass das OLG Hamburg mit Beschluss vom 24.01.2008 (Az. : 3 W 7/08) entschieden hat, dass ein Hinweis, der die Kosten der Rücksendung vom Preis der zurückzusendenden Ware abhängig macht, nach § 357 Abs. 2 Satz 3 BGB zulässig ist, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde, was auch im Rahmen von allgemeinen Geschäftsbedingungen erfolgen könne.

Der Händler nimmt daraufhin nach anwaltlicher Beratung diesen Hinweis zum Anlass, in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen eine zusätzliche Vereinbarung über die Kostentragungspflicht des Verbrauchers aufzunehmen. Dem Händler sind selbstverständlich Anwaltskosten für die Beratung entstanden. Jedoch kann sich der Händler nun auch wieder sicher fühlen und muss keine Abmahnungen der Konkurrenz befürchten.

Diesem Händler wird bei der Beobachtung seiner Konkurrenz gewiss auffallen, ob diese auch den von ihm in den allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgenommenen Hinweis bereithalten oder nicht. Bei der Recherche stellt der Händler aber fest, dass seine Konkurrenz derartige Hinweise gar nicht gibt. Er selbst hat Zeit und Geld in die Beratung und Überarbeitung seiner Internetseiten investiert, die Konkurrenz beachtet die maßgeblichen Vorschriften aber nicht. Was kann er dagegen machen?

Das Gesetz sieht es in § 12 Abs. 1 Satz 1 UWG ausdrücklich vor, dass die zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten den Schuldner vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abmahnen und ihm Gelegenheit geben sollen, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen.

Der Händler kann also eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung aussprechen.

Die Entscheidung des LG Stade:

In dem vom LG Stade zu entscheiden Fall hatte der Händler in mehr als fünf Jahren 164 Abmahnungen aussprechen lassen. Der Jahresumsatz des Händlers lag bei 238.000 EUR.

Dies hält das Landgericht Stade für rechtsmissbräuchlich. In den Entscheidungsgründen heißt es:

„Die Verfügungsklägerin hat nach eigenem Bekunden in gut fünf Jahren 164 Abmahnungen ausgesprochen. Damit entfallen auf alle 14 Tage deutlich mehr als durchschnittlich eine Abmahnung. Demgegenüber stehen Jahresumsätze im unteren sechsstelligen Euro-Bereich. Für 2007 waren dies nach Darstellung der Verfügungsklägerin 238.000,00 €. Das Verhältnis zwischen Umsatz und Abmahnverhalten führt vorliegend zu einem missbräuchlichen Vorgehen.

Der Umfang ihrer Abmahnaktionen steht in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu dem eigenen betrieblichen Nutzen. Der Verfügungsbeklagte ist für die Verfügungsklägerin bislang kein relevanter Wettbewerber gewesen. Die Verfügungsklägerin überprüft fortlaufend das Internet; ihr Verhalten dient jedenfalls ganz überwiegend dazu, ihrem Anwalt kontinuierlich besondere Einnahmen zu verschaffen. Vor diesem Hintergrund gelangt die Kammer zu der Feststellung, dass mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde Ziele das vorherrschende Motiv gebildet haben. Da die Verfügungsklägerin nur ein Kleinunternehmen führt und gleichwohl systematisch bundesweit abmahnt, gelangt die Kammer zu der Feststellung, dass hier Gebührenerzielungsinteressen im Vordergrund bei den kontinuierlichen Abmahnaktionen stehen."

Kritik an der Entscheidung

Ich halte die vorgenannte Entscheidung für falsch.

Das eingegangene Kostenrisiko ist durchaus überschaubar. Alle 14 Tage etwa eine Abmahnung ist bei weitem nicht viel.

Es muss berücksichtigt werden, dass das Kostenrisiko bereits dann ausgeräumt ist, wenn der Gegner eine strafbewehrte Unterlassungserklärung nach Erhalt der Abmahnung abgibt. In diesem Fall ist die Sache nämlich meist nach etwa 10 Tagen abgeschlossen. Ebenfalls wird das Kostenrisiko dann ausgeräumt, wenn auf eine einstweilige Verfügung hin eine Abschlusserklärung abgegeben wird. Dies ist in den meisten Angelegenheiten der Fall.

Das Gericht scheint diesen Umstand zu verkennen. Vielmehr scheint das Gericht rückblickend die gesamte Anzahl der 164 Abmahnungen in fünf Jahren zu betrachten und abstrakt auf das Gesamtkostenrisiko zu schließen. Dies ist absurd.

Die Ausführung des Gerichts „Ihr Verhalten dient jedenfalls ganz überwiegend dazu, ihrem Anwalt kontinuierlich besondere Einnahmen zu verschaffen." ist eine reine Unterstellung. Dies kann immer behauptet werden. Aber eine solche Behauptung müsste auch vom Gegner entkräftet werden. Es käme eine Umkehr der Beweislast gleich, müsste der Abgemahnte den Gegenbeweis erbringen. Vielmehr müsste der Gegner darlegen und beweisen, dass z.B. immer gleiche Verstöße abgemahnt wurden, überhöhte Gebühren gefordert wurden, eine Vielzahl von Abmahnungen ausgesprochen wurden, die ausgesprochenen Abmahnungen nicht konsequent vom Abmahner verfolgt wurden etc.

Hier scheinen das Gericht andere Gründe dazu bewogen zu haben, einen Missbrauch zu bejahen. Es wird der Eindruck erweckt, als scheine es allgemein Richtern negativ aufzustoßen, wenn sich Mitbewerber erfolgreich gegen Ihre Konkurrenz zur Wehr setzen. Die erfolgreiche Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche und die konsequente Durchsetzung ist auf eine kompetente, fachliche Rechtsberatung zurückzuführen. Wäre in dem vom Landgericht Stade zu entscheiden Fall die Verfügungsklägerin von einem „Feld-Wald-und -Wiesen-Anwalt" vertreten gewesen, so hätte sie sich gewiss nicht über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren erfolgreich gegen ihre Konkurrenz zur Wehr gesetzt. Vielmehr scheint die Verfügungsklägerin einen Experten auf ihrer Seite zu haben, der sie stets kompetent beraten hat. Die Verfügungsklägerin hat lediglich die ihr zustehenden Ansprüche konsequent durchgesetzt.

Genau diese konsequente, erfolgreiche Anspruchsdurchsetzung wird ihr jetzt vorgeworfen und ihr Verhalten als missbräuchlich bewertet.

Es kann und darf einem Mitbewerber nicht verwehrt sein, die ihm zustehenden gesetzlichen Ansprüche mit dem ihm zustehenden Möglichkeiten und Risiken geltend zu machen. Es käme einer Rechtsbeugung gleich, würde man einem Mitbewerber dieses Rechts verwehren wollen. Gefühlsbezogene oder „Bauchentscheidungen" oder politische Hintergründe müssen bei einer Entscheidungsfindung unberücksichtigt bleiben. Es müssen allein vom Gericht die Fakten berücksichtigt werden.

Auch verkennt das Gericht den enormen eigenen Vorteil der Verfügungsklägerin durch die ausgesprochenen Abmahnungen. Diese hat nämlich gegen ihre Konkurrenz durch die Unterlassungserklärung ein Druckmittel in der Hand. Sie erreicht, dass sich auch die Konkurrenz - so wie sie selbst - wettbewerbskonform verhält und dadurch Chanchengleichheit unter den Mitbewerbern hergestellt wird. Andere, als die gesetzlichen Möglichkeiten gegen die Mitbewerber vorzugehen, hat die Verfügungsklägerin nicht. Dies kann und darf ihr nicht verwehrt sein.

Es ist absolut unverständlich, das Verhalten der Verfügungsklägerin als rechtsmissbräuchlich zu bewerten. Viele Verstöße erfordern viele Abmahnungen. Ein Missbrauch ist im Rahmen einer Gesamtschau zu überprüfen. Es kann nicht z.B. Heute die Zeitraum der gesamten letzten fünf Jahre betrachtet werden, um dann zu sagen, dass 164 Abmahnungen zu viel waren. Dies ist absolut lebensfremd. Ein kontinuierlich am Markt wachsendes Unternehmen muss sich auch permanent gegen die Konkurrenz zur Wehr setzen dürfen.

Aus vorgenannten Gründen halte ich daher das Urteil des LG Stade für falsch.

Die Entscheidungsgründe sind nicht überzeugend und spiegeln vielmehr eine allgemeine Einstellung vieler Personen zum Thema Abmahnungen wieder, nämlich, dass Abmahnungen nicht gern gesehen sind. Vorliegend wird der im Ergebnis zwar von der Verfügungsklägerin zu Recht Abgemahnte sogar noch für sein wettbewerbswidriges Verhalten belohnt, da die Verfügungsklägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

Fazit:

Das Sprichwort „Vor Gericht und auf hoher See bist du in Gottes Hand!" erscheint mir zutreffend zu sein.

Ich würde mich über Kommentierungen und Anregungen zu diesem Thema sehr freuen.

Für Rückfragen stehe ich zur Verfügung.

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