Rechte der Versicherungsnehmer gestärkt

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„Ewiges" Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen von vor 2008 möglich!

Die Rechte der Versicherungsnehmer wurden durch eine brandaktuellen Entscheidung vom 19.12.2013 des Europäischen Gerichtshofs gestärkt. In vielen Fällen können Versicherungsverträge auch noch nach längerer Zeit widerrufen werden. Die Folge: Im optimalen Fall muss der Versicherer sämtliche eingezahlten Beiträge zzgl. der gesetzlichen Zinsen, die zwischen 4 und 9 % liegen, erstatten.

Dies ist insbesondere für Lebensversicherungs- und Rentenversicherungsverträge interessant, bei denen die Kunden vom Versicherer häufig sogar deutlich weniger ausbezahlt erhalten, als sie einbezahlt haben.

Der Hintergrund der Entscheidung

Von 1994 bis 2008 galt in Deutschland die gesetzliche Regelung des § 5 a VVG, die das Zustandekommen des Versicherungsvertrages regelte.

Nach den europarechtlichen Vorgaben der zweiten Lebensversicherungsrichtlinie, aufgrund derer § 5 a VVG geschaffen wurde, ist dem Versicherungsnehmer ein Widerrufsrecht einzuräumen. Dies gilt uneingeschränkt. Die Frist für den Widerruf darf nach der Richtlinie nur dann beginnen, wenn dem Versicherungsnehmer vor (spätestens bei) Abgabe seiner Vertragserklärung die Widerrufsbelehrung sowie die Pflichtangaben gemäß § 10 a VAG vorliegen.

Widerrufsbelehrung muss vor Abgabe der Vertragserklärung vorliegen

Dies war seinerzeit in den allermeisten Fällen nicht so. Meistens erhielt man die Widerrufsbelehrung und die Verbraucherinformationen (Allgemeine Geschäftsbedingungen etc.) erst mit dem Versicherungsschein - also nach der Abgabe der Vertragserklärung, die im Versicherungsantrag liegt – oder gar nicht.

Die Richtlinie sah keine Regelung für den Fall vor, dass die Information verspätet oder nicht erfolgt.

Der deutsche Gesetzgeber hat eine in der Richtlinie nicht vorgesehene zeitliche Obergrenze eingebaut: Danach erlischt das Widerrufsrecht nach einem Jahr, unabhängig davon, ob die Widerrufsbelehrung und die Verbraucherinformationen überhaupt bzw. rechtzeitig vorlag.

Wie diese verbraucherfeindliche Regelung in das deutsche Recht gerutscht ist, lässt sich heute nicht mehr aufklären. Man könnte meinen, dass die Versicherungswirtschaft hier möglicherweise gute Lobbyarbeit geleistet hat. Im Gesetzgebungsverfahren ist die Entstehungsgeschichte dieser Einjahresregel nicht mehr dokumentiert.

In einem laufenden Verfahren hat der Bundesgerichtshof die Frage zu entscheiden, ob einem Versicherungsnehmer auch nach langer Zeit noch ein Widerrufsrecht zusteht, wenn die Belehrung nicht bzw. nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. Dabei war die Auslegung der zugrunde liegenden zweiten Lebensversicherungsrichtlinie im Verhältnis zur deutschen Regelung zu klären. Eine solche Frage darf der BGH nicht alleine entscheiden, sondern muss den Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens hierzu befragen.

Mit Beschluss vom 28.03.2012 hat der BGH eine solche Frage im Wege der Vorabentscheidung dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt (BGH, Beschluss vom IV ZR 76/11). Die Frage lautete sinngemäß dahin, ob die Jahresgrenze des § 5 a Abs. 4 VVG mit den europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie in Einklang zu bringen ist.

Ergebnis: Einjahresregel bzgl. Erlöschen des Widerrufsrecht ist unwirksam

Der Europäische Gerichtshof hat am 19.12.2013 seine Entscheidung (Verfahren C-209/12) gefällt und sich dem Schlussantrag der Generalanwältin angeschlossen. Diese hatte festgestellt:

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesgerichtshof vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

„Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Recht auf Rücktritt von einem Lebensversicherungsvertrag spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie unabhängig davon erlischt, ob der Versicherungsnehmer über dieses Recht ordnungsgemäß und rechtzeitig belehrt worden ist."

Im Klartext heißt dies: Die vom deutschen Gesetzgeber geschaffene Obergrenze der Jahresfrist des § 5 Abs. 2 Satz 4 VVG verstößt gegen höherrangiges Recht, nämlich Europarecht, und darf damit vom nationalen deutschen Gericht nicht angewendet werden.

Für Versicherungsnehmer bedeutet dies: Es kann unter bestimmten Voraussetzungen ein „ewiges Widerrufsrecht" bestehen. Auch nach langer Zeit können Versicherungsverträge dadurch rückabgewickelt werden, dass ein Widerruf der Vertragserklärung erfolgt. Im optimalen Fall könnten dann sämtliche eingezahlten Versicherungsbeiträge, zzgl. der gesetzlichen Zinsen von 4 bis 9 %, vom Versicherer verlangt werden.

Das Verfahren ist aber noch nicht abgeschlossen: Nach Beantwortung der Frage des EuGH muss der BGH seinem Verfahren nun klären, in welcher Weise sich diese Vorfrage auf das deutsche Recht auswirkt. In welcher Weise der BGH die Rückabwicklungsmöglichkeit ausgestaltet, bleibt abzuwarten.

Versicherungsnehmer, die eine Kündigung oder einen Verkauf ihres Lebensversicherungs- oder Rentenversicherungsvertrages planen, sollten anwaltlich prüfen lassen, ob ein Widerruf der Vertragserklärung in Betracht kommt, isoliert oder neben einer Kündigung, um den Rückkaufswert zu optimieren.

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