Örtliche Zuständigkeit: Wahl des Gerichtsstands darf bei Klagen wegen Filesharing nicht willkürlich erfolgen!

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Klage muss am Wohnort des Abgemahnten erfolgen, sonst ist Klage wegen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben unwirksam

In den vergangenen Jahren sind hunderttausende Abmahnungen der Musik- und Filmindustrie verschickt worden, um angebliche Urheberrechtsverletzungen in Internettauschbörsen zu verfolgen (sog. "Filesharing"-Abmahnung). In den umfangreichen Schreiben werden die Abgabe einer Unterlassungserklärung mit hoher Vertragsstrafe und die Zahlung von Schadensersatz und Rechtsverfolgungskosten verlangt. Meist wird schon in der Abmahnung die Vereinbarung eines Vergleichs angeboten, um den Rechtsstreit gütlich beizulegen. Hierbei soll sich der Empfänger des Abmahnschreibens - oft ohne Grund - zur Zahlung einer hohen Geldsumme von bis zu 1.200,00 Euro verpflichten.

Betroffene, die auf eine im Einzelfall bereits lange zurückliegende Abmahnung nicht oder unzureichend reagiert haben, werden nun im Rahmen von gerichtlichen Klageverfahren auf die Zahlung von hohen Schadenersatzbeträgen in Anspruch genommen. Die Klageforderungen bewegen sich meist zwischen ca. 1.000,00 Euro bis ca. 4.000,00 Euro. Aufgrund dieser "geringen" Streitwerte fallen die Klagen in die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte.

Thilo Wagner
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Die örtliche Zuständigkeit der angerufenen Gerichte ist jedoch in vielen Fällen zweifelhaft, da selten bei dem für den Beklagten zuständigen und nach dem Wohnort bestimmten Amtsgericht geklagt wird. Oft werden Gerichte bemüht, die hunderte Kilometer vom Wohnort des Beklagten entfernt sind.

Das Problem: Den beklagten Anschlussinhabern werden Prozesse vor weit entfernt liegenden Gerichten aufgezwungen!

Grundsätzlich gilt, dass Klagen bei dem für den Wohnort des Beklagten zuständigen Gericht geführt werden müssen (sog. Allgemeiner Gerichtsstand gemäß § 12 Zivilprozessordnung). Diese gesetzliche Regelung dient nach der Intention des Gesetzgebers dem zunächst schutzbedürftig erscheinenden Beklagten. Schließlich hat er den Prozess nicht in Gang gebracht hat. Der Beklagte befindet sich zunächst in der Defensive und muss sich verteidigen. Dieser Nachteil soll durch den "Heimvorteil" des dem Wohnort nahen Gerichts ausgeglichen werden.

In vielen Filesharing-Fällen werden die betroffenen Anschlussinhaber jedoch vor Gerichten in Anspruch genommen, die möglichst weit von dem Wohnort entfernt sind. So verklagt etwa ein in Berlin ansässiges Musikunternehmen durch in Hamburg ansässige Rechtsanwälte einen in Köln wohnenden Beklagten vor dem Amtsgericht Leipzig. In anderen Verfahren werden im Norden Deutschlands lebende Beklagte vor dem Amtsgericht München oder etwa im Osten der Republik lebende Personen vor den Amtsgerichten in Frankfurt oder Düsseldorf verklagt.

Hierbei berufen sich die Kläger meist auf den besonderen und eigentlich aus dem Presserecht stammenden "fliegenden Gerichtsstand" der unerlaubten Handlung. Im Internet begangene Urheberrechtsverletzungen seien prozessrechtlich als "unerlaubte Handlung" vor allen Gerichten in Deutschland verfolgbar. Schließlich sei auch das Internet in ganz Deutschland abrufbar. Somit habe die vermeintlich im Internet begangene Urheberrechtsverletzung Bezug zu jedem Gerichtsort, also könne auch überall geklagt werden.

Einen Sachgrund für die Anrufung eines weit entfernten Gerichts besteht meist nicht. Jedoch wird der Druck auf die Beklagten, die beteiligten Rechtsanwälte und auf mögliche Entlastungszeugen durch die weite Entfernung zu dem Prozessgericht enorm erhöht. Die Beteiligten werden dazu gezwungen, durch die gesamte Republik zu fahren, um an den Gerichtsterminen teilzunehmen. Hierdurch entstehen ganz erhebliche zeitliche, praktische und finanzielle Probleme. Häufig müssen mehrere Urlaubstage eingesetzt werden. Zudem werden die Kosten des Verfahrens und damit das gesamte Prozessrisiko massiv erhöht.

Amtsgericht Frankfurt: Keine völlig willkürliche Wahl des Gerichtsstands möglich!

Die grundlose Anrufung weit entfernt liegender Gerichte wird nun in einem aktuellen Hinweisbeschluss des Amtsgericht Frankfurt als unzulässig gerügt (Hinweisbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 29.4.2013 – 31 C 16/13). Nach dem Hinweis verstößt eine völlig willkürliche Wahl des angerufenen Gerichts gegen den auch im Prozessrecht geltenden allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben. Eine solche Klage wäre wegen „Treuwidrigkeit" insgesamt als unzulässig abzuweisen, wenn nicht zuvor die Verweisung an das zuständige Gericht beantragt würde.

Fazit:

Die verbreitete Praxis, dass weit entfernt liegende Gerichte für die Verfolgung oft unberechtigter Zahlungsansprüche aus angeblichen Filesharing-Vorfällen bemüht werden, hat keinen Sach- oder Rechtsgrund und ist damit unzulässig. Derzeit tritt das Problem häufig bei Klagen der Rechtsanwälte RASCH aus Hamburg im Auftrag der UNIVERSAL MUSIC auf. Zur Rechtsverteidigung kann sich auf den hier vorgestellten Hinweisbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt berufen werden.

Handlunsgempfehlung für Betroffene

Bei Erhalt einer Klageschrift sollte zur effektiven Rechtsverteidigung ein im Urheberrecht erfahrener Rechtsanwalt eingeschaltet werden. Gegen die derzeit anhängigen Klagen finden sich eine Vielzahl von Verteidigungsansätzen. Die sogenannte "Rüge der örtlichen Unzuständigkeit" gehört hierzu. Häufig kann die Klageforderung ganz oder zu einem großen Teil abgewehrt werden. Besser ist es jedoch, dass ein in jedem Fall mögliches Gerichtsverfahren schon von vorneherein verhindert wird. Hierzu ist eine sachgerechte und professionelle Reaktion auf die Abmahnung, wie zum Beispiel die Abgabe einer modifizierten Unterlassungserklärung, zu empfehlen.

Der genaue Wortlaut des Hinweisbeschlusses des Amtsgerichts Frankfurt lautet (Hinweisbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 29.4.2013 – 31 C 16/13):

Das Gericht weist darauf hin, dass eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main nicht ersichtlich ist.

Der Beklagte hat seinen allgemeinen Gerichtsstand nach § 12 ff. ZPO nicht im Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt am Main. Einzig in Betracht kommende Norm, die eine Zuständigkeit begründen könnte, ist § 32 ZPO. Das Gericht folgt der Rechtsauffassung, wonach alleine eine Abrufbarkeit eine örtliche Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO begründet, nicht. Dieses würde dem Bild des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) widersprechen. Denn das Willkürverbot und das Gebot der Einhaltung des gesetzlichen Richters im Sinne des Artikels Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz gebieten, dass keine willkürliche Gerichtsstandswahl erfolgt, sondern ein örtlicher Gerichtsstand des Begehungsorts der unerlaubten Handlung nur dort gegeben sein kann, wo sich der behauptete Rechtsverstoß in dem konkreten Verhältnis der Prozessparteien tatsächlich ausgewirkt hat (OLG Celle, Urteil vom 17.10.2010, Az. 4 AR 81/02 – juris; LG Potsdam, MMR 2001, 833; LG Bremen, ZUM 2001, 257). Damit ergibt sich eine Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO (nur) an den Orten, in denen sich die behauptete unerlaubte Handlung im konkreten Verhältnis der Prozessparteien tatsächlich ausgewirkt hat, mithin zum einen am Wohnort/Geschäftssitz des Beklagten, weil davon auszugehen ist, dass hier das angeblich urheberrechtswidrige Angebot in das Internet eingestellt worden ist, zum anderen aber auch am Wohnort des Klägers, da er dort das Angebot des Beklagten bestimmungsgemäß aus dem Internet abgerufen und sich demgemäß auch dort in seinem Urheberrecht verletzt gesehen hat (vgl. OLG Celle a.a.O.). Die Klägerin hat ihren Sitz in Berlin. Die Klägervertreter haben ihren Sitz in Hamburg. Der Beklagte hat seinen Wohnsitz in Köln.

Die Wahl des Amtsgerichts Frankfurt am Main als zuständigen Gerichts ist vor diesem Hintergrund nicht nach vollziehbar.

Selbst wenn man eine Wahlmöglichkeit der Klägerin über den „fliegenden Gerichtsstand" als grundsätzlich für möglich erachten würde, so wäre die Klage vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main trotzdem unzulässig, denn die Klägerin wäre dann zumindest verpflichtet, ihre Wahl nach Treu und Glauben auszuüben. Dies hat die Klägerin offensichtlich nicht getan."

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Leserkommentare
von micgau2 am 22.09.2015 09:45:11# 1
Also von meinem Anschluss wurde illegal ein Film herunter geladen.
Ich bekam Post von einer Anwaltskanzlei. Nennen wir sie mal Schnullenberg
& Lenk und stellen wir uns vor sie kommen aus Hamburg. In dem Brief wurde
ich aufgefordert 850 Euro Schadensersatz zu zahlen. Da ich nichts getan habe,
weigerte ich mich die Summe zu zahlen. Es folgte der gerichtliche Mahnbescheid
und mein Widerspruch darauf. Nach geraumer Zeit wurde von der Kanzlei ein neues
Angebot von 500 Euro unterbreitet. Da ich mich im Recht fühlte und ich der Meinung war, dass die sowieso nicht vor Gericht gehen, weigerte ich mich erneut die Summe zu bezahlen und so kam etwas später die Klageschrift. Meine Verteidigung habe ich in der Klagerwiderung bestens vorbereitet. Meinte ich jedenfalls. Das ganze habe ich bis dato ohne Anwalt, also ohne Kosten durchgezogen.

Da es nun vor Gericht ging und ich meine Unschuld beweisen konnte nahm ich mir
schließlich doch eine Anwältin. Eine reine Formsache dachte ich. Die ganze Posse ereignete sich vor dem Amtsgericht Bochum. Meine Anwältin, die wie ich im Nachhinein Glaube über den zweiten Bildungsweg kam, hatte sich an jenem Tag um 10 Minuten verspätet. So hielten der Vorsitzende, der gegnerische Anwalt und ich einen lockeren Smalltalk über illegalen Download. Irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl, dass Ding ist schon gelaufen, dass Urteil steht schon fest. Als es schließlich losging und ich gerade darlegen wollte, dass ich Unschuldig bin, meinte der Vorsitzende das ist uninteressant. Ich sollte ihm sagen wer Film angeboten hat. Mir war wohl bewusst, dass bei Urheberrecht nicht die Unschuldsvermutung gilt, was an sich schon eine Lachnummer ist. Nein man muss gleich vor Gericht den Täter nennen. Besser gleich mitbringen. In dem Zusammenhang fällt mir nur eins ein: Bananenrepublik.

Schließlich wollte der Vorsitzende Richter mir als Fachinformatiker die Welt der Bits und Bytes erklären. Seine Ausführungen konnte man aber getrost als laienhaft abtun. Je länger ich seiner Argumentation gefolgt bin, desto mehr wurde mir bewusst dass seine Computer Kenntnisse sich auf das ein und ausschalten eines selbigen beschränken.

Als ich ihn höflich auf ein kürzlich gefälltes Urteil, des Amtsgerichts München aufmerksam machte, bei dem identischer Fall zu Gunsten des Beklagten entschieden wurde, meinte er nur lapidar: "Wir sind hier in Bochum und nicht in München".

Letztendlich gab es einen sogenannten Vergleich, der wie folgt aussah. Der Richter sagte 200€ für den Film + "Hab ich vergessen" mal den Faktor 1,3. Macht zusammen 323 Euro und ein paar gequetschte. Worauf der gegnerische Anwalt meinte: Das wäre Ihm zu wenig. Sein Mandant möchte 400 Euro, sonst gehe er in die Berufung. Worauf der Vorsitzende, mit einem lächelnden Blick in meine Richtung meinte: „Dann kostet Sie der Spaß 600 Euro pro Film". Meine Anwältin schaute mich an, als wenn das alles ein Riesenspaß wäre und ein tolles Angebot für mich. Spätestens da war mir klar, die Frau ist so überflüssig wie ein Pickel am A....

Aber kommen wir nun zu dem Sahnehäubchen. Meine völlig überflüssige Anwältin brachte in 20 Minuten Verhandlung einen einzigen Satz zu Stande: "Aber die Gerichtskosten werden geteilt".

Nun bin ich mit 400 Euro Schadensersatz, 26 Euro Gerichtskosten und nur 457 Euro für meine Anwältin dabei.

Hätte ich die 500 Euro besser akzeptiert. Ich hätte die Summe garantiert noch drücken können. Bestimmt hätte man eine Ratenzahlung vereinbaren können. Dann wäre es günstiger gewesen.

Oder noch besser, ich hätte meine nichtsnutzige Anwältin zu Hause gelassen und wäre noch günstiger weggekommen. Jedenfalls kann man das ohne Anwalt billiger durchziehen und der Kläger macht richtig Verlust.

    
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