Nachts hat der Schlaf Vorrang

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1. Sachverhalt

Umkehr der Beweislast: Nachts hat der Schlaf Vorrang vor der Luftverkehrswirtschaft

Von Rechtsanwalt Matthias Möller-Meinecke

  • Kurswechsel der Rechtsprechung
  • Erste höchstrichterliche Entscheidung zugunsten eines Nachtflugverbotes
  • Schutz des Nachtschlafes durch ein Flugverbot für alle Flughäfen
  • Fluglärmschutzgesetz muss um Nachtflugverbot ergänzt werden

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 16. März 2006 zum Projekt des Ausbaus des Flughafens Berlin-Schönefeld die Planfeststellungsbehörde verpflichtet, ein weitgehendes Nachtflugverbot in der nächtlichen Kernzeit von 0.00 Uhr bis 5.00 Uhr anzuordnen.

2. Begründung des Bundesverwaltungsgerichts

Der Planfeststellungsbeschluss wies eklatante Defizite in seinem Lärmschutzkonzept auf. Zur Fehlerbehebung bedarf es einer Planergänzung. Der Planfeststellungsbeschluss genügt den Anforderungen des Abwägungsgebotes vor allem deshalb nicht, weil er einen zeitlich unbeschränkten Nachtflugbetrieb zulässt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Grundsatzurteil entschieden, dass es der Planungsträger auch bei einem stadtfernen Flughafen, der gleichwohl im An- und Abflugbereich von Siedlungsflächen umgeben ist, mit

„bloßen Maßnahmen des passiven Schallschutzes nur dann bewenden lassen, wenn gewichtige Bedarfsgesichtspunkte es rechtfertigen, die Lärmschutzbelange der Nachbarschaft hinter die öffentlichen Verkehrsinteressen zurückzusetzen."

Im Ergebnis dürfen die Anwohner nicht auf ein Leben und Schlafen hinter geschlossenen und stark schallgedämmten Fenstern mit Zwangsbelüftung der Räume verwiesen werden. Dies ist angesichts der heute üblichen gegenläufigen Planungspraxis, den Anwohnern insbesondere auch ihren Anspruch auf ein Schlafen bei (teil-) geöffneten Fenster abzusprechen, ein gewichtiger Schritt zugunsten eines menschenwürdigen Lebens.

Zudem setzt das Bundesverwaltungsgericht damit erstmals Kriterien für Abwägung vor der Entscheidung über ein Nachtflugverbot.

Als gewichtige Belange pro Nachtflugverbot sind danach zu ermitteln:

  1. Der auf die Wohnanlieger einwirkende Fluglärm, wobei die Maximalpegel und nicht der gemittelte Dauerschallpegel entscheidend ist.

  2. Die Zahl der beim Einschlafen bzw. im Schlaf durch den (vorhandenen/ zu erwartenden) Fluglärm beeinträchtigten Wohnanliegern in den An- und Abflugkorridoren.

  3. Das Maß der Fluglärmbeeinträchtigung der Anwohner während der gesetzlichen Nacht von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr.

  4. Diese Belange sind mit den gegenläufigen Argumenten contra Nachtflugverbot abzuwägen:

  5. öffentliche Verkehrsinteressen, die unverzichtbare nächtliche Starts und Landungen einfordern.

Dabei fordert das Bundesverwaltungsgericht „nachvollziehbare Gründe", warum sich Flugbewegungen nicht während des Tages abwickeln lassen.

Wie streng dabei die Anforderungen vom Bundesverwaltungsgericht gesehen werden, wird daran deutlich, dass das Gericht im Fall Schönefeld diese „nachvollziehbaren Gründe" vom Vorhabensträger als nicht erbracht ansieht:

„Jedenfalls in der Kernzeit der Nacht (0.00 Uhr bis 5.00 Uhr) überwiegt das Interesse der Anwohner, von Fluglärmbeeinträchtigungen verschont zu bleiben. Auch in der Zeit von 22.00 Uhr bis 24.00 Uhr und von 5.00 bis 6.00 Uhr ist nur der Flugbetrieb unbedenklich, der sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht innerhalb des Tagzeitraumes abwickeln lässt."

Die Planfeststellungsbehörde hat dabei auf die Maximalpegel in der Nacht und den Nachtrandzeiten abzustellen.

Details werden sich erst aus den noch nicht vorliegenden schriftlichen Urteilsgründen ableiten lassen (Urteil vom 16. März 2006, BVerwG 4 A 1001.04, 4 A 1073.04, 4 A 1075.04, 4 A 1078.04)

3. Wirkungen für die Praxis

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Schönefeld ist das erste höchstrichterliche Urteil, das ein Nachflugverbot für einen Flughafen gegen die Planfeststellungsbehörde und gegen die Interessen des Flughafenunternehmers anordnet. Das hier ein internationaler Verkehrsflughafen und der zukünftig einzige Hauptstadt-Flughafen zur Entscheidung stand, stärkt das Gewicht dieser Grundsatzentscheidung.

Das Bundesverwaltungsgericht postuliert eine Umkehr der Beweislast: Nachts hat der ungestörte Schlaf Vorrang vor den Interessen der Luftverkehrswirtschaft. Will ein Flughafenbetreiber von diesem Grundsatz abweichen, obliegt ihm die Beweislast, welche Gründe dies erfordern und der Planfeststellungsbehörde obliegt die Prüfungspflicht, ob diese Gründe nachvollziehbar und unabweisbar sind und welche Wirkungen die von den nächtlichen Flügen ausgelösten Maximalpegel zu Lasten der Schläfer auslösen.

Den erheblich im Nachtschlaf durch Fluglärm gestörten Anwohnern deutscher Flughäfen und insbesondere den durch Ausbauplanungen Betroffenen eröffnet das Urteil eine Stärkung ihrer Argumentation, dass die Nacht von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr vorrangig dem durch Lärm ungestörten Schlaf auch bei (teil-) geöffneten Fenster dient.

Das Urteil gibt den Betroffenen Kriterien an die Hand, welchen Sachverhalt die Luftverkehrsbehörde vor der nun einzufordernden Entscheidung über ein Nachtflugverbot zu ermitteln hat. Dies sind zu den Ziffern (1) bis (4) oben erläutert.

Das Urteil eröffnet mit der Absage an ein Leben und Schlafen in schallgedämmten Räumen einen Gewinn an Lebensqualität.

Diese Bewertung und die Kriterien wurden in den vorliegenden luftverkehrsrechtlichen Genehmigungen von Flughäfen nicht zu Grunde gelegt. Sie sind daher auf Antrag der am stärksten Betroffenen Anwohner zu überprüfen.

Der Bundestag ist zudem im Sinne des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts aufgefordert, den Entwurf des Fluglärmschutzgesetzes in einem wesentlichen Punkt nachzubessern: In den Gesetzentwurf muss als Regel ein Flugverbot für die Nachtstunden von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr aufgenommen werden.

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