Kündigung des Mietvertrags wegen Flüchtlingsaufnahme?

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Flüchtlinge als Kündigungsgrund oder Beschlagnahme von Gewerbeimmobilien? Was Mieter, Vermieter und Eigentümer wissen sollten.

Der Winter steht vor der Tür und der Flüchtlingsstrom reist nicht ab. Wohin aber mit all den Menschen? Es fehlt an geeigneten winterfesten Unterkünften. Erste Gemeinden kündigen angeblich Mietern, um Platz für Flüchtlinge zu schaffen, Beschlagnahme von Gewerbeimmobilien soll in einzelnen Städten möglich sein. Grund genug, die Situation einmal unter die Lupe zu nehmen. 123recht.de spricht mit Rechtsanwalt Maximilian A. Müller, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht.

Keine Kündigung wegen Vermietung an Flüchtlinge möglich

123recht.de: Herr Müller, darf ein Vermieter den Mietvertrag kündigen, weil er Flüchtlinge aufnehmen will?

Maximilian A. Müller
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Rechtsanwalt
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
Rathausplatz 1
76829 Landau
Tel: 06341 - 91 777 7
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Aufenthaltsrecht, Internetrecht, Miet- und Pachtrecht, Wohnungseigentumsrecht

Rechtsanwalt Maximilian A. Müller: Der Vermieter von Wohnraum darf einen Mietvertrag nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an einer Kündigung vorbringen kann. Gesetzlich genannt ist zum Beispiel eine Kündigung mit dem Ziel, die Wohnung selbst oder für nahe Angehörige zu nutzen (Eigenbedarf). Der Wunsch, die Wohnung Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen, dürfte hierbei zumindest bei einem privaten Vermieter alleine nicht den gesetzlichen Anforderungen an ein "berechtigtes Interesse" erfüllen. Kurzum: Der private Vermieter wird eine Kündigung nicht darauf stützen können, dass er die Wohnung Flüchtlingen zur Verfügung stellen möchte.

Kommunen müssen ein berechtigtes Interesse an der Vermietung an Flüchtlinge nachweisen

123recht.de: Man hörte doch aber von Städten, die Mietern wegen Eigenbedarf kündigen. Streng genommen liegt ja kein Eigenbedarf vor, ist die Kündigung trotzdem gültig?

Rechtsanwalt Maximilian A. Müller: Haben Sie einen Mietvertrag mit der Stadt oder einer Kommune, kann sich ausnahmsweise ein Kündigungsrecht ergeben. Hierbei wird sich Ihr Vermieter nicht auf den klassischen Eigenbedarf berufen können, denn eine Stadt kann als "juristische Person" keinen eigenen Wohnbedarf haben. Allerdings ergibt sich aus der Fürsorgepflicht der öffentlichen Kommunen auch die Verpflichtung, den Flüchtlingen eine menschenwürdige Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Für eine Stadt kann daher der Begriff des "berechtigten Interesses" anders zu verstehen sein als für eine Privatperson.

Ein berechtigtes Interesse wurde hierbei in der Vergangenheit bejaht, wenn eine Kommune die Räume für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben benötigt hat.

Es ist allerdings derzeit völlig offen, ob der derzeitige Druck, Unterkünfte für Flüchtlinge zu finden, tatsächlich die Kündigung von bestehenden Wohnraummietverhältnissen rechtfertigt.

Meines Erachtens dürfte ein berechtigtes Interesse regelmäßig zu verneinen sein, denn letztlich ändert es an der bestehenden Wohnungsknappheit nichts, wenn die Stadt einen Mieter durch einen anderen Mieter austauscht, egal, ob es sich um Einheimische oder Flüchtlinge handelt.

Bestandsschutz für lange Mietverhältnisse gibt es im Mietrecht nicht!

123recht.de: Wenn ein Mieter Jahre oder sogar Jahrzehntelang in der Wohnung gewohnt hat, hat er nicht sowas wie Bestandsschutz?

Rechtsanwalt Maximilian A. Müller: Auch ein langjähriger Mieter kann grundsätzlich - wenn denn überhaupt ein Kündigungsgrund besteht - gekündigt werden. Er erhält einen höheren Schutz, indem das Gesetz ihm eine deutlich längerer Kündigungsfrist gewährt.

In besonderen Konstellationen steht dem Mieter auch gegen eine wirksame Kündigung ein Widerspruchsrecht zu, mit der er eine Verlängerung des Mietverhältnisses verlangen kann. Dies ist dann der Fall, wenn der Auszug für den Mieter eine besondere Härte darstellen würde. Gerade ältere Personen, die schon lange in einer Mietwohnung leben und denen im hohen Alter ein Umzug nicht mehr zuzumuten ist, können sich im Einzelfall hierauf berufen.

123recht.de: Darf der Vermieter grundsätzlich also auch zum Winter kündigen?

Rechtsanwalt Maximilian A. Müller: Eine besondere zeitliche Einschränkung beim Ausspruch einer Kündigung ist im Mietrecht nicht vorgesehen. Auch hier können etwaige besondere Härten durch das Widerspruchsrecht nach § 574 BGB abgefangen werden.

Betroffene Mieter sollten Kündigung anwaltlich prüfen lassen

123recht.de: Was kann ich als Mieter gegen eine Kündigung tun?

Rechtsanwalt Maximilian A. Müller: Natürlich müssen Sie als Mieter eine Kündigung nicht so ohne Weiteres akzeptieren. Die Erfahrung zeigt, dass viele Kündigungen von Vermietern formell unwirksam sind oder aber der Vermieter überhaupt keinen Kündigungsgrund hat. Hierbei muss der Vermieter schon im Kündigungsschreiben alle Kündigungsgründe offenlegen, was Ihnen die Prüfung erleichtert.

Haben Sie Zweifel an einer Kündigung, sollten Sie diese überprüfen lassen, wobei die Hinzuziehung eines spezialisierten Rechtsanwaltes bei schwierigen Kündigungen sicherlich anzuraten ist.

Im ersten Schritt wird sodann überprüft werden, ob es überhaupt einen tragfähigen Grund für die Kündigung gibt. Ist dies der Fall, kann der Kündigung möglicherweise gleichwohl entgegengetreten werden, wenn die Kündigung für Sie eine besondere Härte darstellt.

Vermieter erhalten keine Belohnung für die Aufnahme von Flüchtlingen

123recht.de: Bekommen Vermieter für die Aufnahme von Flüchtlingen eine Belohnung? Und wer zahlt eigentlich die Miete für die Flüchtlinge?

Rechtsanwalt Maximilian A. Müller: Soweit mir dies derzeit bekannt ist, werden an die Vermieter keine "Belohnungen" gezahlt, wenn sie ihre Räume Flüchtlingen zur Verfügung stellen. Dennoch kann die Vermietung wirtschaftlich attraktiv sein, denn die Mieträume werden regelmäßig von den Städten und Kommunen angemietet, die gegenüber dem Vermieter als Mieter auftreten.

Der Vermieter erhält hierdurch einen sehr solventen Mieter und weiß, dass er seine Zahlungsansprüche, die aufgrund der Vermietung entstehen, auch durchsetzen kann.

Die Miete wird hierbei von der Stadt als Mieter übernommen. Auch alle weiteren Ansprüche des Vermieters richten sich gegen die Stadt, so z.B. auf Nachzahlung von Nebenkosten. Selbst dann, wenn es in den Räumen zu Beschädigungen kommen sollte, kann sich der Vermieter an die Stadt wenden.

"Die Kündigung bestehender Mietverhältnisse muss daher das letzte Mittel bleiben, auf das zurückgegriffen wird."

123recht.de: Müssten nicht zunächst leerstehende gewerbliche Gebäude verwendet werden, bevor man bestehenden Wohnraum für Flüchtlinge freigibt?

Rechtsanwalt Maximilian A. Müller: Üblicherweise wird eine Kündigung beispielsweise wegen Eigenbedarf als unwirksam angesehen, wenn dem Vermieter auch alternativer Wohnraum zur Verfügung steht. Nimmt man dies ernst, so wird man tatsächlich sagen müssen, dass die Städte und Kommunen zunächst einmal versuchen müssen, die Unterbringung der Flüchtlinge auf eine Art und Weise zu gewährleisten, die Kündigungen von bestehenden Mietverhältnissen weitestgehend ausschließen. Im Rahmen der Beurteilung, ob ein berechtigtes Interesse für die Kündigung besteht, wird man daher sicherlich zu berücksichtigen haben, ob es für die Kommunen auch gleichwertige Alternativen gibt.

Die Kündigung bestehender Mietverhältnisse muss daher das letzte Mittel bleiben, auf das zurückgegriffen wird.

Eigentümer werden nicht enteignet

123recht.de: Drohen Eigentümern von gewerblichen Immobilien Enteignungen?

Rechtsanwalt Maximilian A. Müller: Von einer "Enteignung" spricht man dann, wenn einem Eigentümer sein Eigentum dauerhaft entzogen wird. Dies will niemand. Man sollte daher in der Diskussion nicht von einer Enteignung sprechen, da diese Begifflichkeiten dazu geneigt sind, die Stimmung in einer schwierigen Situation anzuheizen.

Richtig ist, dass in einigen größeren Städten darüber nachgedacht wird, Immobilien kurzzeitig auch gegen den Willen des Eigentümers für die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. Hamburg hat ein erstes Gesetz hierzu erlassen. Was aber häufig nicht gesagt wird: Der Eigentümer enthält hierfür natürlich auch Miete, das Hamburger Gesetz spricht von einem "angemessenen Ausgleich". Ob diese Nutzung gegen den Willen des Eigentümers zulässig ist und ob auch andere Städte nachziehen werden, ist derzeit völlig ungeklärt.

Man wird sagen können, dass auch die Rechtsprechung sich durch die unerwartete Entwicklung mit Fragen konfrontiert sieht, die man sich so in der Vergangenheit gar nicht stellte.

Kurzfristig ist mit steigenden Mieten auf dem Wohnungsmarkt zu rechnen

123recht.de: Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? Wird die Zunahme von Flüchtlingsunterbringungen Auswirkung auf die Miethöhe haben?

Rechtsanwalt Maximilian A. Müller: Sicherlich wird es auf dem Wohnungsmarkt zu Veränderungen kommen. Kurzfristig wird es sicherlich zu weiteren Preissteigerungen kommen, insbesondere dort, wo es sich um eher kleinere Wohnungen handelt, die sich an sozial Schwache richten. Auch wird der Druck auf einen Mieter steigen, sich einer Kündigung des Vermieters entgegenzusetzen, schlicht und ergreifend deshalb, weil ihm die Alternativen fehlen. Es ist also mit einem höheren Aufkommen an Räumungsprozessen zu rechnen, mit denen der Mieter versucht, weitere Zeit für einen Auszug zu verschaffen.

Mittel- und langfristig kann die derzeitige Situation allerdings auch positive Effekte haben. Der lange Zeit vernachlässigte soziale Wohnungsbau muss nun zwangsläufig vorangebracht werden, so dass auf lange Sicht damit zu rechnen ist, dass sich die Wohnungssituation wieder entspannt.

123recht.de: Wir bedanken uns ganz herzlich für das informative Gespräch.

RA Maximilian A. Müller
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
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Der vorstehende Artikel erhebt nicht den Anspruch, eine abschließende rechtliche Beratung darzustellen. Fragen, Lob, Kritik und sonstige Anregungen zu dem Artikel sind gerne gesehen.