Kirche – Der Staat neben dem Staat?

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Unbekannte Gesetze und unbekannte Gesetzgeber – Kirchenrecht für Anwälte und Mandanten. Ein Interview mit Rechtsanwalt Robert Hotstegs gibt Aufklärung über die Besonderheit des Kirchenrechts in Deutschland.

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123recht.de: Herr Hotstegs, Sie sind unter den heute bei uns gelisteten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten seit einigen Jahren der einzige, der das Rechtsgebiet „Kirchenrecht“ als Tätigkeitsschwerpunkt angegeben und hierzu regelmäßig auch Ratgeber veröffentlicht hat. Ist das Rechtsgebiet so klein und unbedeutend?

Rechtsanwalt Hotstegs: Ja und nein. Das Kirchenrecht ist tatsächlich ein kleines Rechtsgebiet. Insbesondere, wenn wir noch differenzieren müssen, dass es ja das Staatskirchenrecht (also die Sicht des Staates auf die Kirchen) und dann das kircheninterne Recht gibt, letzteres getrennt z.B. nach der römisch-katholischen Kirche und den evangelischen Landeskirchen.

Das heißt aber nicht, dass es unbedeutend ist. Für Mitarbeitende in kirchlichen Einrichtungen ist es häufig existenziell. Das gilt schon für Arbeitnehmer, von denen wir ja immer wieder hören, dass Scheidungen oder Streiks ein Problem darstellen, erst recht gilt das aber für Kirchenbeamte, denn deren Recht wird ausschließlich durch die Kirche bestimmt.

Ev. und Kath. Kirche haben unterschiedliche Gesetzgeber

123recht.de: Wer ist denn der zuständige Gesetzgeber?

Rechtsanwalt Hotstegs: Das bestimmt sich nach dem jeweiligen Kirchenrecht. Auf Seiten der römisch-katholischen Kirche gibt es sowohl päpstliches Kirchenrecht, wie auch z.B. das örtliche Kirchenrecht der Erzbistümer und Bistümer. Der Gesetzgeber dort ist also der jeweilige (Erz-)Bischof.

Auf evangelischer Seite gibt es vor allem das Recht der jeweiligen Landeskirchen, darüber und daneben dann das Recht der Zusammenschlüsse der Landeskirchen und in immer größerem Umfang dann das Recht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Hier sind es die jeweiligen Parlamente, die Synoden heißen und die internen Gesetze beraten und beschließen.

123recht.de: Eine Landessynode tagt in der Evangelischen Kirche häufig nur einmal im Jahr. Ein Gesetzgeber nur für eine Woche, das ist doch rechtsstaatlich undenkbar – oder?

Rechtsanwalt Hotstegs: Nein, es ist ungewöhnlich, aber nicht völlig undenkbar. Denn es gibt die Möglichkeit, dass die Kirchenleitung, also quasi die kirchliche „Landesregierung“, in der Zwischenzeit in dringenden Fällen so genannte gesetzesvertretende Verordnungen erlässt. Damit ist die Kirche also nicht etwa 11 Monate lang gelähmt.

123recht.de: Die kirchlichen Gesetzgeber sind den meisten Bürgern und auch Juristen unbekannt. Können dann Gesetze überhaupt Wirkung haben?

Rechtsanwalt Hotstegs: Das ist sicherlich ein Problem, aber kein juristisches. Denn tatsächlich „betritt“ die- oder derjenige, der in eine Kirche eintritt oder für einen kirchlichen Arbeitgeber arbeitet, diesen Rechtsraum ja freiwillig. Das ist – auch wenn es unpassend klingt – mit einem Fußballverein vergleichbar, auch dort unterwerfe ich mich Spielregeln und Satzungen, auch wenn ich sie nicht alle durchgelesen haben sollte oder nicht weiß, wer im Verein welche Regeln erlassen darf.

123recht.de: Sind Kirchen dann rechtlich gesehen mit Vereinen vergleichbar?

Rechtsanwalt Hotstegs: Nein, das würde sicherlich zu weit gehen. Denn die Kirchen haben in Deutschland schon seit Inkrafttreten des Grundgesetzes eine Sonderstellung erhalten. Sie dürfen sich im Rahmen der Gesetze nämlich sehr weitgehend selbst verwalten.

Den Kirchen obliegt ein Selbstverwaltungsrecht

123recht.de: Wie wirkt sich diese Selbstverwaltung aus?

Rechtsanwalt Hotstegs: Das lässt sich am besten am Recht der Pfarrer deutlich machen: In der evangelischen Kirche etwa bestimmt ein Nebeneinander von Regelungen der Landeskirchen und der EKD, wie man zum Pfarrer ausgebildet wird und welche Stellung ein Pfarrer innehat. Hierzu findet man nichts Vergleichbares auf staatlicher Seite, denn der Staat kennt ja eben das Berufsbild des Pfarrers nicht, er stellt in der Regel keine Pfarrer (als Pfarrer) ein. Will man also Pfarrer werden, einen Pfarrer kündigen, will man einen Pfarrer bezahlen oder hat ein Pfarrer gegen Dienstpflichten verstoßen und man will ihn sanktionieren – dann führt der Weg allein zum Kirchenrecht. Wer versucht, das staatliche Arbeitsrecht auf Pfarrer anzuwenden oder vor die staatlichen Arbeitsgerichte zu ziehen, der wird eine bitterliche Niederlage erleben.

123recht.de: Das bedeutet, dass also nicht nur die Gesetzgebung den Kirchen obliegt, sondern sie bestimmen auch die zuständigen Gerichte?

Rechtsanwalt Hotstegs: In der Tat. Sie bestimmen die Gerichte und diese sind dann in vielen Fällen auch als erste anzurufen. Das gilt nicht im Arbeitsrecht, aber eben für das kirchliche Pfarr- und Beamtenrecht, für das Disziplinarrecht, für Mitarbeitervertretungsangelegenheiten und für das gesamte kirchliche Verwaltungsrecht. Manche Fragen können auch allein Kirchengerichte entscheiden: ist eine römisch-katholisch geschlossene Ehe nichtig und zu annullieren? Das darf nicht der Staat entscheiden, er kann sie „nur“ staatlich scheiden, aber eben nicht über das kirchliche Sakrament entscheiden.

Man muss auch wissen, dass auch das anwaltliche Berufsrecht berührt wird. Denn nicht jeder Rechtsanwalt darf vor jedem Kirchengericht auftreten. Manchmal muss er der Konfession der betroffenen Kirche angehören, manchmal genügt es, einer christlichen Kirche anzugehören und schließlich gibt es in Bereichen auch spezielle Zulassungen als Kirchenanwalt. Deswegen ist es für Mandanten doppelt wichtig, sich schon vor der Wahl eines Rechtsanwalts gut zu informieren.

123recht.de: Vielen Dank!

Rechtsanwalt Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Geschäftsführer der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft in Düsseldorf. Er ist stellvertretendes Mitglied der Synode der Ev. Kirche in Deutschland seit 2009 und wirkte 2011/2012 als Richter am Kirchlichen Verwaltungsgericht der Ev. Kirche im Rheinland.