Kindergeld und Ausland (EU, EWR, Drittstaaten)

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Was Familien bezüglich Kindergeldanspruch für im Ausland lebende Kinder wissen müssen und welche Fallgruppen gibt es

In letzter Zeit häufigen sich Anfragen nach Kindergeldansprüchen mit Auslandsbezug. Ein Grund mag sein, dass die Arbeitsagentur sich gezwungen sieht ein neues EugH-Urteil umzusetzen, dass sie verpflichtet, Kindergeld auch für Kinder von Personen zu zahlen, die in Deutschland einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen, deren Kinder aber im EU/EWR-Ausland leben (Rechtssachen Hudzinski, Az. C-611/10 und Wawrzyniak Az. C612/10 Urteile vom 12 Juni 2012). Medienberichten zufolge hat das zu einer beträchtlichen Aufstockung des Personalbestandes geführt, die anscheinend auch mit einer genaueren Prüfung bei Verdacht eines Missbrauchsfalles einhergeht. Anlass genug für den Versuch im Rahmen dieses Ratgebers ein wenig Systematik in die vielen oft einander widersprechenden Quellen zu bringen.

Wen überrascht, dass dieser Ratgeber unter der Rubrik Steuerrecht zu finden, so ist der Grund einfach der, dass das deutsche Kindergeld rechtlich als Steuervergütung angesehen wird, und etwaige Missbrauchsfälle auch als Steuerhinterziehung bzw. Steuerverkürzung und nicht als Sozialleistungsbetrug verfolgt werden (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Januar 2010 m. weit. Nachw.). Es gelten auch die steuerlichen Festsetzungs- und Verjährungsfristen (vier, fünf bzw. zehn Jahre). Der sozialrechtliche Kindergeldanspruch nach dem Bundeskindergeldgesetz ist nachrangig gegenüber dem steuerlichen Kindergeldanspruch aus §-§ 62 ff. EStG.

Wenn es aufgrund der momentanen Belastung der Familienkasse zu Verzögerungen bei der Antragsbearbeitung kommt, ist nach Ablauf der 6-Monatsfrist (§ 88 SGG) ab Antragsstellung eine Untätigkeitsklage zu prüfen. Dazu muss aber auch der Zugang des Antrags samt Datum beweisbar sein. Wer seinen Antrag aus dem Ausland stellt, sollte dazu entweder ein Fax-Gerät benutzen oder einen der privaten, internationalen Kurierdienste beauftragen, weil der Rückschein internationaler Einschreiben erfahrungsgemäß "sehr selten" zurück kommt.

Fallgruppen

Kindergeldfälle mit Auslandsbezug lassen sich, soweit es um das Bestehen des Anspruchs geht, tatsächlich grob in folgende vier Fallgruppen einteilen.

Fall 1: Funktionierende Familien, die im Ausland leben, von denen aber ein Teil zumindest in Deutschland als abhängiger Beschäftigter arbeitet (Beispiel Saisonarbeiter).

Fall 2: Funktionierende Familien, die vollständig ins Ausland ziehen und Kindergeld beziehen wollen bzw. deutsche Staatsangehörige, die sowieso im Ausland leben und Rentner.

Fall 3: Funktionierende Familien, die in Deutschland leben, aber von denen zumindest ein Teil im Ausland arbeitet oder sogar dort ansässig ist.

Fall 4: Nicht-Funktionierende Familien, die teilweise in Deutschland und teilweise im Ausland ansässig sind.

Die Handhabung dieser Fallgruppen hängt auch vom betroffenen Ausland ab. Es ist zu unterscheiden zwischen EU/EWR-Staaten und der Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island im Verhältnis zu denen die EU-Verordnungen 883/2004 und 987/2009 gelten und Drittstaaten.

Fallgruppe 1: Wander- und Saisonarbeiter aus EU/EWR-Ländern

Fallgruppe Nr. 1 (Bsp. Saisonarbeiter) ist momentan, April 2014, Gegenstand einer politischen Diskussion. Die Rechtslage ist aber nach einer Entscheidung des EuGH (Rechtssachen Hudzinski, Az. C-611/10 und Wawrzyniak Az. C612/10 Urteile vom 12 Juni 2012) vorerst geklärt: Um einen Kindergeldanspruch in Deutschland zu haben, ist es für EU/EWG-Ausländer ausreichend im Inland einer auch nur vorübergehenden, sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen, sofern die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Solange der deutsche Gesetzgeber nicht auf diese Urteile reagiert, wird sich daran auch nichts ändern.

Ein deutscher Kindergeldanspruch kann sich ergeben aus den § 62 bis § 78 EStG oder aus dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Beide Anspruchsgrundlagen sind unabhängig voneinander, und die Anspruchsgrundlage aus dem EStG ist vorrangig (DA-BAKG auf Seite 10). Gem. § 62 EStG hat Anspruch auf steuerrechtliches Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für das Bestehen eines Wohnsitzes kommt es insoweit nicht auf den Meldewohnsitz an, der nur ein Indiz ist, sondern auf das tatsächliche Innehaben einer Wohnung. Ein gewöhnlicher Aufenthalt liegt vor, wenn man zumindest sechs Monate im Inland lebt, wobei auch mehrere Aufenthalte zusammengerechnet werden können (DA 62.2.1, AEAO zu § 8 und § 9 AO). Letzteres ist wohl der Grund, warum die Wanderarbeiter aus Fallgruppe 1 in Deutschland keinen Wohnsitz begründen müssen, sondern in diesen Fällen der gewöhnliche Aufenthalt ausreicht. Außerdem stehen diese, sofern sie nicht gerade Schwarz arbeiten, auch in einem sozialversicherungspflichtigen Verhältnis zur Agentur für Arbeit, so dass sich auch ein sozialrechtlicher Kindergeldanspruch aus § 1 Abs. 1 Ziff. 1 BKGG i.V.m. § 24 SGB III ergibt.

Fallgruppe 2: Deutsche Familien im Ausland

Wer seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgibt, hat zunächst keinen steuerrechtlichen Kindergeldanspruch gem. § 62 Abs.1 Nr. 1 EStG. Dieser kann jedoch bestehen, wenn man trotzdem zumindest als unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig zu behandeln ist (§ 62 Abs.2 EstG). Das betrifft, vereinfacht gesagt, Beamte und Personen, die nur deswegen der deutschen Steuerpflicht unterliegen, weil sie einen Antrag darauf stellen, da sie „Einkünfte" i.S.d. § 49 EStG aus Deutschland beziehen. Dazu gehören auch Leistungen der deutschen Rentenversicherung (§ 1 Abs. 2 und Abs. 3 EstG). Das könnte aber außer für Rentner auch für Personen gelten, die aus steuerlichen Gründen ausgewandert sind. Nur werden diese wohl niemals einen Antrag darauf stellen wieder in Deutschland beschränkt einkommenssteuerpflichtig zu werden.

Wenn für Betroffene von Fallgruppe Nr.2 kein steuerrechtlicher Kindergeldanspruch besteht, ist als nächstes der sozialrechtliche Kindergeldanspruch aus dem § 1 BKGG zu prüfen. Das betrifft zunächst die eher seltenen Fälle von Missionaren, Entwicklungshelfern oder Mitglieder von in Deutschland stationierten NATO-Truppen (§ 1 BKGG Abs.1 Ziff.2 bis 4.). Das betrifft theoretisch aber auch jeden Bezieher von ALG-1, Insolvenz-, Kurzarbeitergeld usw. (§ 1 BKGG Abs. 1 Ziff.1 und SGB III). Dabei dürfte es allerdings kaum allzu viele Bezieher dieser Leistungen geben, die im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 30 SGB I). Ein Anspruch aus § 1 BKKG ergibt sich ferner auch für Rentner, Bezieher von Erwerbsminderungsrenten und wenige andere (§ 1 Abs. 1 Ziff. 1 Alt. 2 BKGG i.V.m. § 28 SGB III). Zu dieser Fallgruppe gehören auch eher exotische Fälle, die alle paar Jahre für Schlagzeilen sorgen, in denen männliche Deutsche noch im hohen Alter in exotischen Entwicklungsländern eine gewissen Vitalität beweisen.

Zur Vermeidung von Missverständnissen: Wer auswandert, verliert im Grundsatz etwaige, deutsche Kindergeldansprüche, sofern nicht die eben genannten Ausnahmen eingreifen. Das hat der BFH auch erst kürzlich nochmals bestätigt (BFH Urteil vom 27 Februar 2014 für einen Vater, der vorübergehend bei einer Drittland-NGO gearbeitet hat). Das gilt zumindest dann, wenn beide Elternteile Deutschland mit den Kindern verlassen. Wenn dagegen einer von beiden hier noch einen Wohnsitz hat oder zumindest beschränkt einkommenssteuerpflichtig ist, steht zumindest diesem ein eigener Kindergeldanspruch zu.

Fallgruppe 3: Deutsche Familien mit einem Arbeitnehmer im Ausland, (Entsendungsfälle).

Der deutsche Kindergeldanspruch von Angehörigen von Familien, die zwar in Deutschland leben, von denen aber einer sein Einkommen im Ausland erwirtschaftet, ist nun wiederum vergleichsweise einfach zu behandeln. Ein Ehepartner/Lebenspartner, der nicht dauerhaft getrennt lebt, hat seinen Wohnsitz dort, wo seine Familie lebt (BFH Urteil vom 6. Feb. 1985; Az. I R 23/82 und AEAO zu § 8 AO.). Daraus dürfte sich unproblematisch auch ein vorrangiger deutscher Kindergeldanspruch von echten und unechten Grenzgängern ergeben, die zwar außerhalb Deutschlands in Grenznähe arbeiten, aber jeden Abend zu ihrer Familie nach Deutschland zurückkehren. In Fällen von längeren Arbeitnehmerentsendungen ins Ausland ohne Familiennachzug sollte man diesen Leitsatz aber vermutlich lieber nicht überstrapazieren.

Fallgruppe 4: Dysfunktionale Familien, die teilweise im Inland und teilweise im Ausland leben.

Diese Konstellation ist diejenige, die zwischen dem inländischen Antragsteller und den deutschen Familienkassen bislang wohl am häufigsten vor den Finanzgerichten geendet hat. Hier ist die Rechtsentwicklung noch im Fluss und hier werden auch regelmäßig die EU-Verordnungen 883/2004 und 987/2009 relevant. Diese setzten aber zunächst voraus, dass im Ausland überhaupt ein konkurrierender Kindergeldanspruch besteht (etwa FG-Nds. 15. Dez. 11, Az. 3 K 155/11).

Sonstiges: Differenzkindergeld

Falls dieser besteht und im Ausland auch Leistungen bezogen werden, die dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind, kommt immer noch ein Anspruch auf Differenzkindergeld in Betracht (§ 65 EstG) bzw. die ausländischen Leistungen werden vom deutschen Kindergeld abgezogen. Dabei sollte man sich nicht etwa vom Namen der ausländischen Leistung in die Irre führen lassen: Nicht alle ausländischen Sozialleistungen, die an das Vorhandensein von Kindern anknüpfen (siehe etwa siehe: L-531-1 bis Article L 531-10 Code de la Securité Socialé für Frankreich oder das „Ley General de Subsidios familares por hijos"), sind dem deutschen Kindergeld bereits vergleichbar. Die meisten ausländischen Leistungen innerhalb der EU, die an das Vorhandensein von Kinder anknüpfen, wie die genante Sozialleistung aus Spanien sind dem deutschen Kindergeld vergleichbar aber eben nicht alle. Vergleichbar sind z.B. die Child Benefits aus UK, Irland und der Child-Tax-Benefit aus Kanada, obwohl letzterer nur ein Freibetrag ist, der nicht einmal ausgezahlt wird. Verneint wird die Vergleichbarkeit dagegen für den Child-Tax-Benefit aus den USA (eine Länderübersicht findet in BstBl. 2012 I ab Seite 18).

Leserkommentare
von Rechtsanwalt Andre Jahn am 02.09.2014 12:50:32# 1
Für einige Nicht-EU-Staaten werden in Entsendungsfällen auch völkerrechtliche Verträge über Sozialleistungen relevant. Das sind Tunesien, Marokko, Teile Ex-Jugoslawiens und die Türkei. Lesenswert für Arbeitnehmerentsendungsfälle, sowie den Begriff des Familienwohnsitzes ist auch FG Münster. 12. Juli 2012, Az.13 K/2675 10 KG).
    
von family100 am 13.11.2014 10:50:02# 2
Es taucht die Frage auf, was passiert mit Kindern, die Deutsche sind und nicht in EU /EWR Ländern leben z.B. Ecuador, wo der eine Elternteil als Deutscher im Inland hier voll 365 Tage
nicht selbstständig Einkommensteuerpflichtig ist.
Sind die Kinder jetzt beim Kindergeld benachteiligt gegenüber z.B.polnischen E.U - Wanderarbeitern mit
Kindern polnischer Nationalität die in Polen leben und Wohnsitz haben?
Welche Fallkonstellation liegt hier vor???
Europa gerät jetzt wohl aus den Fugen was Diskriminierung deutscher Staatbürger betrifft!
    
von Rechtsanwalt Andre Jahn am 13.11.2014 10:59:02# 3
wenn die eltern der kindlichen, nicht-deutschen eu-bürger nicht in dtl. einkommens-steuerpflichtig sind, haben auch diese kinder/eltern keinen anspruch.
    
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