Juristen: Diener ihrer Noten

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Jura-Examen für Geld - von Repetitorien bis zu korrupten Richtern

Ein Richter aus Hannover ist zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, weil er Prüfungslösungen für juristische Staatsexamen an Examenskandidaten verkauft hatte. Bis zu 10.000 Euro für Prüfungsfragen oder Lösungen. Der Richter und seine offensichtliche Ignoranz der Rechtsordnung ist das eine - aber was bringt Studenten dazu, auf solche Deals einzugehen?

Im Jurastudium gibt es eine Besonderheit, die man sonst in keinem anderen Studium findet: Die Note "vollbefriedigend", liebevoll auch "vb" genannt, ist für Juristen schon so etwas wie eine Auszeichnung, obwohl sie noch unterhalb von "gut" rangiert und auf der 18-Punkte-Skala noch 8 weitere Punkte nach oben möglich sind. Theoretisch, denn ein gut oder sehr gut schafft kaum ein Student. Selbst "vb" bleibt die Ausnahme. Die juristische Notenelite bleibt gerne unter sich, und man will auch, dass das so bleibt.

Es gibt noch eine weitere Besonderheit bei Juristen: In anderen Fächern ist die Note zwei Tage nach dem Examen, allerspätestens nach dem ersten Job völlig egal. Wenn ein Jurist aber nach jahrelanger Tätigkeit seinen Job wechseln will, muss er sich immer noch für seine Examensnote verantworten. Es gibt keine Fachrichtung, wo der Mensch, der vor einem sitzt, so hinter seinen Noten verschwindet wie in Jura.

Dabei ist es mittlerweile sogar in einzelnen Universitäten und Großkanzleien angekommen, dass gute Noten allein kein Kriterium für einen guten Mitarbeiter sind. Softskills wie Rhetorik und Verhandeln sind da nur die offensichtlichsten Kompetenzen, auf die Personaler Wert legen sollten. Und ist die Note VB garant dafür, dass ein potentieller Richter Menschenkenntnis mitbringt, Körpersprache und Stimme entlarven, tatsächlich "Recht" sprechen kann?

Die derzeitige Praxis verhindert auch, dass Staatsdienste und Gerichte nur schwer nach Spezialisten suchen können. Das führt dann zu einem großen Wissengefälle zwischen Richtern und Parteien - also Rechtsanwälten. Im Bereich IT-Recht ist das aktuell ganz deutlich, da muss man sich nur Urteile aus Köln anschauen.

Die nächste Besonderheit bei Juristen: Nirgendwo sonst wird man so konsequent inkonsequent auf seinen Abschluss vorbereitet wie in Jura. In jeder Fachrichtung studiert man, sammelt Scheine und macht dann seinen Abschluss. Nicht so in Jura. Da studiert man, sammelt Scheine, und bezahlt dann vier- bis fünfstellige Summen für private Repetitorien, die einen für das Examen vorbereiten - weil es die Universität nicht geschafft hat. Oder weil die Studenten glauben, dass es die Universität nicht geschafft hat. Oder weil es jeder so macht, und Juristen nicht gerade dazu erzogen wurden, gegen den Strom zu schwimmen - oder die Mindermeinung zu vertreten.

"Überlegen Sie sich das gut, mit der Anmeldung zum Examen. Wenn Sie da durchfallen, sind Sie nichts. Ein Abiturient mit Führerschein!" Nur ein Abiturient mit Führerschein. Dieser Satz fiel oft, vom Repetitor. Angstmacherei, die wirkt. Nicht wenige lassen sich beeinflussen, lassen sich Angst machen, buchen noch einen Zusatzkurs, Einzelkurs, Klausurkurs, schieben ihr Examen vor sich her oder lassen sich direkt vom Amtsarzt krankschreiben, sobald sie den Klausurtext ausgehändigt bekommen.

Angstmacherei ist ein gesellschaftliches Problem, das bei Jurastudenten besonders konsequent angewandt wird und auf besonders fruchtbaren Boden fällt. Juristen sind leider allzuoft Diener ihrer Noten und der herrschenden Meinung. Korrupte Richter und Studenten, die Examen kaufen, sind da nur eine logische Konsequenz.

Leserkommentare
von Blaki am 19.03.2015 19:46:08# 1
Unser Stadtgebiet zählt 14.500 Seelen, der Amtsgerichtsbezirk im Stadtgebiet ca. 50.000 Menschen. Im Stadtgebiet sind 18, und im gesamten AG-Bezirk 70 Anwälte zugelassen. Das entspricht einem RA auf rd. 720 Personen vom Baby bis zum Greis.

Eine 1-Mann Kanzlei braucht rd. 10.000 Euro Bruttoeinnahmen monatlich. Selbst die Hälfte dürfte nur von den Wenigsten erreicht werden.

So ist bekannt, dass verschiedene Vertreter der Zunft von der Hand in den Mund leben, oder neben der Wohnzimmerkanzlei noch irgendwo einen sozialversicherungspflichtigen Erstjob als Sachbearbeiter haben.

So wundert letztlich nicht, dass Verfahren in die Länge gezogen und im Gerichtssaal nichts anderes als der festgesetzte Streitwert eifrig notiert wird.

Eine gewisse Schwemme in verschiedenen akademischen Berufen ist kaum damit abzustellen, dass sich die Lehrstühle Prüfungsschikanen einfallen lassen.

Das Grundproblem liegt ehr darin, dass es in Deutschland mehr eingeschriebene Studenten als Auszubildende in Lehrberufen gibt. Da wundert der Fachkräftemangel nicht.


    
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