Gestatten, Saurer Regen!

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Das Informationsfreiheitsgesetz – Wieviel Infos braucht das Land?

Einige Länder haben es, der Bund plant es: das Informationsfreiheitsgesetz. Es soll dem Bürger transparentere Vorgänge in Verwaltungen offerieren. Fatalisten unter den Kritikern befürchten nun das Schlimmste: vertrauliche Interna der Behörden könnten an die Öffentlichkeit gelangen, lautet nur eins der Bedenken, die im Zusammenhang mit dem Informationsfreiheitsgesetz geäußert werden.

Ach Leute, wovor habt ihr eigentlich Angst? Selbst wenn ultrageheime Infos ans Tageslicht gelangen, sind sie doch im Nu wieder vergessen. Neuigkeiten und Informationen haben angesichts der Schnelllebigkeit unserer postmodernen Popkultur eine kürzere Halbwertzeit als die Ehen von Elizabeth Taylor. Heutzutage werden wir durch Dutzende von Fernsehsendern, Radiosendern, Zeitungen und - nicht zu vergessen - Internetseiten mit einer immer größeren Flut von Informationen bombardiert. So sind auch die Nachrichten inflationär geworden.

Es sind die Zahlen der verkauften Exemplare und der Einschaltquoten, die in der Medienbranche zählen. Damit bedingen sie den unablässigen Zwang, dem reizüberfluteten Konsumenten immer neue, noch coolere Nachrichten und gewaltigere Sensationen zu präsentieren. Die Schlagzeile von gestern steigt zur Randbemerkung von heute ab. Wochenlang berichtete die Presse von Gefechten in den unbefriedeten Rebellenhochburgen des Irak. Und dann: Funkstille. Die verkaufswirksamen Neuigkeiten vom Folterskandal in Abu Ghureib liefen den Scharmützeln irakischer Aufständischer und amerikanischer Soldaten den Rang ab. Und wie steht es in Afghanistan, was ist mit den Bürgerkriegen in Afrika? Das steht, wenn überhaupt, in den unmotivierten Fußnoten, die sowieso keiner mehr liest.

Beim ersten Hamas-Führer, der von Israel weggebombt wurde, war das Geschrei in den Medien noch groß. Als der zweite starb, erhoben sich nur noch dünne Stimmchen. Bei jedem Nachrichtenkonsumenten stellt sich mit der Zeit eine Art Anpassung ein, ähnlich wie bei einem Patienten, der sich an die Schmerzen gewöhnt. So brauchen wir immer neue, noch sensationellere, noch haarsträubendere News, die uns dazu bewegen können, aus dem Sumpf der Abgestumpfheit zu kriechen. Damit wird unsere Gier nach der ultimativen Nachricht zum Wegbereiter der Junk-News und Boulevardpresse, denn schließlich gibt es kaum etwas Weltbewegenderes als die neuste Affäre eines drittklassigen Pop-Sternchens oder die neue Frisur von David Beckham. Flache Kost in kleinen Happen serviert.

Aus den Nachrichten aus dem Sinn. Wen interessiert schon noch, was letzte Woche up to date war; die Frage der Modernität auch in den Nachrichten? Nur leider lösen sich Probleme nicht dadurch, dass es über sie keine Berichterstattung mehr gibt. Saurer Regen, Wal(d)sterben und Ozonloch sind nicht aus der Welt geschaffen, nur weil immer neue Informationen sie aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängt haben. Wann hat mir zum letzten Mal jemand bei einer Tasse Café Latte die Frage gestellt: „Sach'ma Knuffelchen, haste mal wieder wat vom Sauren Regen gehört?“

Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich alle drei Jahre. Was Studenten unter Druck setzt, lässt auch den Normalbürger verzweifeln. Wer soll das alles wissen, wie sollen sich so viele Infos überhaupt bewältigen lassen. Viele haben längst resigniert und übergeben ihren sinnlos gewordenen Verstand furchtlos der neuesten Big Brother-Staffel.

Brauchen wir angesichts der ständigen Reizüberflutung noch ein Informationsfreiheitsgesetz? Sind Verwaltungsvorgänge nicht ohnehin wie Überraschungseier: Interessiert keinen, was drin ist, und nur in jedem siebten gibt's was Ordentliches.

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