Gerichtlicher Vergleich kann wegen Drohung des Vorsitzenden angefochten werden

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Verträge können wegen Drohung angefochten werden, wenn eine Partei zur Abgabe der betreffenden Willenserklärung durch Drohung bestimmt wurde, § 123 BGB. Dies gilt auch für den Fall, dass ein Richter einen Kläger oder Beklagten bedroht, damit er einen Vergleich schließt. Das hat Bundesarbeitsgericht in dem zugegebermaßen bizarren Urteil vom 12.05.2010, AZ 2 AZR 544/08 bestätigt.

In dem entschiedenen Fall erhielt ein Personalreferent eine verhaltensbedingte Kündigung. Hiergegen ging er vor und gewann in der ersten Instanz. In der zweiten Instanz wurde der Rechtsstreit dann durch einen Vergleich beendet. Zuvor hatten sich die Parteien außergerichtlich über einen Vergleich unterhalten, aber ohne Ergebnis. Der Arbeitnehmer wurde dann von dem Vorsitzender Richter im Verhandlungstermin massiv beeinflusst, etwa mit den Worten: „Was Sie machen, ist unverantwortlich im Hinblick auf Ihre familiäre Situation“, „Seien Sie vernünftig. Sonst müssen wir Sie zum Vergleich prügeln“, „Ich reiße Ihnen den Kopf ab“, „Sie werden sonst an die Wand gestellt und erschossen“. Er wurde weiter darauf hingewiesen: „Dann wechseln Sie eben die Stadt“ und „Dann müssen Sie eben wieder unten anfangen und sich hocharbeiten“. Der Arbeitnehmer gewann daraufhin den Eindruck, er könne kein rechtsstaatliches Urteil erwarten. Nachdem der Vorsitzende sich dann noch äußerte „Stimmen Sie dem jetzt endlich zu, ich will Mittag essen gehen“, stimmte er dem Vergleich zu.

Elke Scheibeler
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Fast ein Jahr später erklärte der Arbeitnehmer dann die Anfechtung des Vergleichs wegen Drohung und begehrte die Fortsetzung des Verfahrens. Das Landesarbeitsgericht lehnte dies zunächst ab, auf die Revision stellte das Bundesarbeitsgericht dann aber fest, dass der Rechtsstreit fortgesetzt werden müsse. Zwar seien einige der vom BAG als unstreitig angesehenen Drohungen vom Vorsitzenden nicht wörtlich gemeint gewesen, wie etwa „Ich reiße Ihnen den Kopf ab“. Es sei aber insgesamt der Eindruck erweckt worden, dem Vorsitzenden sei jedes, ggf. auch ein anrüchiges Mittel recht, um den Vergleich zu erreichen, und der Arbeitnehmer könne diesem Druck nur ausweichen, wenn er den Vergleich schließe. Der Arbeitnehmer habe annehmen müssen, dass er mit Sachargumenten nicht mehr durchdringen könne.

Der Vergleich sei auch nicht durch den Arbeitnehmer bestätigt worden, indem er sein Restgehalt bis zum vereinbarten Beendigungstermin und das Zeugnis einforderte. Die Entgegennahme des Arbeitslohns beruhe schon auf wirtschaftlichen Notwendigkeiten, das Zeugnis habe ihm schon aufgrund der Kündigung zugestanden. Eine Bestätigung im Sinne des § 144 BGB könne zwar auch stillschweigend angenommen werden. Dann müsse aber das Verhalten Ausdruck eines entsprechenden Willens und jede andere Deutung den Umständen nach ausgeschlossen sein. Auch darin, dass der Arbeitnehmer zwischenzeitlich bei einem anderen Arbeitgeber gearbeitet habe, sei keine Bestätigung zu erkennen gewesen.

Grundsätzlich sollen Arbeitsgerichte immer auf eine gütliche Einigung hinwirken, § 57 Abs. 2 ArbGG. Diese Einigung wird regelmäßig mit einem Hinweis auf die Aussichten der Parteien im Prozess begründet. Wenn aber die Parteien den Eindruck erhalten, dass sie mit ihren Argumenten nicht mehr gehört werden, wenn sie den Vergleich nicht schließen, liegt eine Drohung vor, die zur Anfechtung  berechtigt. Die Frist hierfür beträgt ein Jahr nach Abgabe der Willenserklärung, § 124 Abs. 1 BGB, also nach dem Tag des Vergleichsschlusses.

Wenn Sie also den Eindruck haben, bei einem Vergleichsschluss vom Gericht bedroht worden zu sein, sollten Sie den gesamten Fall anwaltlich überprüfen lassen. Die Überschreitung der Grenze zwischen zulässigen Hinweisen auf die prozessualen Aussichten und unzulässiger Drohung kann dazu führen, dass bereits abgeschlossene Fälle weitergeführt werden können.

Dr. Elke Scheibeler
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