Früher war alles besser?

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Warum ich den Begriff Helikopter-Eltern und die pauschale Abwertung nicht mag

von Dipl. jur. Denise Gutzeit

Früher war alles besser. Heute sitzen Kinder nur noch vor Spielekonsolen, Fernsehen oder Smartphone. Eltern sind zu unsicher, bereiten ihre Kinder nicht mehr richtig auf das Leben vor. Kinder dürfen keine eigene Erfahrungen mehr machen. Eltern haben ständig Angst und kutschieren ihre Kinder bis ins Erwachsenenalter überall hin und schrecken auch vor GPS Überwachung nicht zurück. Die breite Masse hat ein Synonym für die heutigen Eltern gefunden: Helikopter-Eltern.

War früher alles besser? Es müsste 4. oder 5. Klasse gewesen sein, also Mitte der 90er. Ein Pädophiler sprach mich auf dem Schulweg an, ob ich nicht Lust hätte, mich auszuziehen. Ich war geplättet, verstand nicht, was der Mann da von mir wollte. Ich ging weiter. Der Mann verfolgte mich auf seinem Rad und hielt neben mir fahrend mit mir mit. Ich bekam Angst - und das nicht zu knapp. Was war da los, was wollte der Mann? Fast am Straßenende angelangt sah ich auf der gegenüberliegenden Straße eine Frau an einer anderen Ampel stehen. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, rannte über die rote Ampel zur der Frau und erzählte ihr, was mir gerade passiert war. Der Mann verschwand.

Der Mann hatte kurz nach mir zwei andere Kinder angesprochen, die beiden waren so eingeschüchtert, dass sie sich tatsächlich ausgezogen haben. Unsere Aussagen und Beschreibungen des Mannes haben zur Ergreifung des Täters geführt. Angst hatte ich trotzdem noch lange Zeit, wenn ich mich auf den Weg zur Schule gemacht habe.

Ich wurde damals noch längere Zeit heimlich von Polizisten zur Schule gebracht. Mein Stiefvater war bei der Kriminalpolizei, wahrscheinlich hatte ich das ihm zu verdanken.

Überfürsorglichkeit von Eltern kann nerven und ist vielleicht auch nicht immer und in jeder Situation angebracht. Kinder ständig und überall mit GPS zu überwachen oder ihnen heimlich überall hin zu folgen ist wohl ein bisschen viel des Guten. Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, aber sie müssen nicht alle Erfahrungen machen, die das Leben bereit hält.

Ich bin seit der ersten Klasse alleine zur Schule gegangen und wieder nach Hause. Zum Mittag habe ich mir irgendwas zu Essen bereitet, anschließend noch unsere Katzen versorgt und Hausaufgaben gemacht, wenn ich Lust hatte. Wenn nicht dann nicht, irgendwie konnte ich mich immer durchmogeln. Irgendwohin gefahren wurde ich nie.

Ich habe mir in meinem Leben alles selbst erkämpfen müssen, bin früh von zuhause ausgezogen und war auf mich gestellt. Die Verantwortung für mich lag bei mir. Ich habe meine eigenen Erfahrungen gemacht und es zur Akademikerin geschafft. Ich werde dafür sorgen, dass meine Kinder behüteter als ich aufwachsen und ich werde sie bestimmt mal zur Schule fahren oder zum Sport oder wohin auch immer. Bin ich deswegen eine Helikopter-Mutter? Wird der Ausdruck überhaupt irgendjemandem gerecht?

Ich finde nicht, denn ich will meine Kinder stark machen für das Leben, ihnen beibringen, dass man für Ziele kämpfen muss, dass das Leben ein hartes Stück Arbeit ist und dass man niemals über eine vermeintliche Kategorie Menschen urteilen sollte. Der Blick dahinter macht den Unterschied.